„Depressionen sind im Leistungssport ähnlich verteilt wie in der Normalbevölkerung. In der Vergangenheit wurde selten darüber berichtet, weil das in Sportarten, in denen es um viel Geld geht, negativ besetzt ist.“ Für Schneider liegt es daran, dass „seelische Probleme für viele noch ungreifbar sind“. Die Familie von Iniesta wusste 2009 auch nicht, wie sie damit umgehen sollte. „Er wollte nichts essen, nur schlafen“, sagte seine Mutter.
„Als ich mit Depressionen zu kämpfen hatte, war der schönste Teil des Tages, wenn ich meine Pille nahm und abends einschlief. Man verliert die Freude am Leben. An allem“, sagte Iniesta. Freunde bemerkten, dass er sehr abwesend und nicht er selbst war. „Ich umarmte meine Frau, aber es fühlte sich an, als würde ich ein Kissen umarmen. Du fühlst nichts.“
Zu dieser Zeit fiel der Mittelfeldspieler vom Karrierehoch ins tiefste Loch. Zuerst schoss er Barça gegen Chelsea ins Champions-League-Finale, verletzte sich und fiel für drei Monate aus. „Die Tage vergehen, und du merkst, dass es nicht besser wird. Über allem ziehen Wolken auf, es wird dunkel.“ So beschrieb Iniesta seine Situation. Im selben Jahr starb zudem ein Freund an einem Herzinfarkt.
„Das war wie eine körperliche Verletzung. Etwas Mächtiges, das mich erneut zu Boden warf.“ Mit Unterstützung begann er eine Therapie. „Das war extrem wichtig, um wieder ich selbst zu sein – um besser als ich selbst zu sein.“ Sein damaliger Trainer Pep Guardiola half ihm durch diese Zeit und sagte: „Weltweit sind Millionen davon betroffen, und sie müssen wissen, dass sie nicht allein sind.“
2009 warf sich der deutsche Torhüter Robert Enke wegen Depressionen vor einen Zug. „Seitdem hat sich im Sport viel getan. Jeder gute Verein, der es sich leisten kann, wird heute einen Sportpsychologen haben. Man ist dafür viel sensibler geworden. Das Bild ändert sich – aber nur langsam“, sagt Stefan Schneider. Für ihn ist es der wichtigste Schritt, „sich einzugestehen, dass etwas mit einem nicht stimmt – dann sucht man sich Hilfe“.
Nachdem Iniesta die spanische Nationalmannschaft 2010 zum ersten WM-Titel geschossen hatte, fühlte er erneut diese innere Leere. Vier Jahre später hatte seine Frau eine Fehlgeburt. „Ich werde niemals den Moment vergessen, als wir verkünden mussten, dass unser ungeborenes Kind gestorben ist.“ Iniesta wollte seinen Kampf gegen Depressionen öffentlich machen, „um andere zu ermutigen und zu zeigen, dass es hilft, darüber zu sprechen“.
2018 beendete er seine Karriere bei Barcelona und wechselte nach Japan, wo er zwei Jahre später mit Vissel Kōbe als Kapitän den japanischen Kaiserpokal gewann. „Der Umzug nach Japan war ein neuer Lebensabschnitt und bedeutete viel Freiheit für mich“, sagte Andrés Iniesta. „Ich habe immer versucht, normal zu bleiben in dieser verrückten Welt, in der ich lebe.“
Fernab vom Druck des Klubs und der Erwartungen der Öffentlichkeit kann er sein Leben endlich genießen – auch wenn er bald „als Trainer oder Sportdirektor“ zu Barça zurückkehren möchte.
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