Wie Kanadas Hockeyverband systematisch Missbrauch vertuschte
In Kanada ist Eishockey mehr als ein Nationalsport. "Hockey", wie es dort schlicht genannt wird, gehört zur Kultur und Identität vieler Menschen. Umso erschütternder sind die nun bekannt gewordenen Missbrauchsskandale und das jahrzehntelange Schweigen. Selbst die höchste Ebene der Politik ist um Aufklärung bemüht. Premier Justin Trudeau spricht von "verlorenem Vertrauen in die Führung von Hockey Canada".
Der Eishockeyverband Kanadas hatte offenbar dafür gesorgt, dass Vergewaltigungsopfer von Hoffnungsträgern der Hockey-Nation gegenüber Polizei oder Presse über ihre Erlebnisse geschwiegen haben. Den Stein ins Rollen brachte eine junge Frau in Ontario im April.
Sie erstattete Anzeige gegen den Verband und forderte umgerechnet 3,5 Millionen Euro Schadenersatz. Die Frau wurde laut eigenen Angaben 2018 im Rahmen einer Hockey-Gala von acht Jugendspielern vergewaltigt. Hockey Canada soll sich außergerichtlich mit ihr geeinigt haben. "Damit konnten wir ihre Privatsphäre respektieren", sagte Verbandschef Scott Smith.
Im Sommer wurde bekannt, dass das Geld für derartige "außergerichtliche Vergleiche" mit Opfern sexueller Gewalt aus einem Fonds kommt, durch den eigentlich Inklusion gefördert werden sollte. Gespeist wird der Fonds unter anderem aus den Mitgliedsbeiträgen junger Eishockeyspieler.
Die junge Frau in Ontario war nicht die einzige. Der Verband soll seit 1989 neun Millionen kanadische Dollar (fast sieben Millionen Euro) in mindestens 21 ähnlichen Fällen gezahlt haben. Das kam durch einen parlamentarischen Ausschuss ans Licht, der seit Sommer für die Aufarbeitung des Vergewaltigungsvorwurfs von 2018 verantwortlich ist.
US-Fußball
Vor knapp zwei Wochen kam eine unabhängige Kommission öffentlich zu dem Schluss, dass „systematischer Missbrauch und sexuelles Fehlverhalten“ in der US-Frauen-Fußballliga an der Tagesordnung seien. Man hatte mehr als 200 Spielerinnen befragt. „Die Ergebnisse der Untersuchung sind extrem verstörend“, sagte Cindy Parlow Cone, Präsidentin von US Soccer. Im Bericht ging es um „verbale und emotionale Gewalt, sexistische Sprache, unerwünschte sexuelle Annäherungen, Berührungen und erzwungenen Geschlechtsverkehr“. Louisville-Trainer Christy Holly hat beispielsweise eine Spielerin zur Videoanalyse eingeladen und ihr in die Hose und unter ihr Hemd gegriffen. Sie versuchte, ihre „Beine fest übereinanderzuschlagen und ihn wegzuschieben“. Bei einer Kollegin brach die Frau später in Tränen aus. Zahlreiche Beschwerden wie diese wurden ignoriert.
Islands Fußball
Anfang Oktober wurde bekannt, dass der isländische Fußballverband Missbrauchsvorwürfe gegen Spieler wie Kapitän Aron Einar Gunnarsson oder Kolbeinn Sigþórsson zu vertuschen versuchte. „Vorwürfe sexueller Gewalt sind im Verband nicht bekannt“, log man öffentlich.
US-Football
Für Aufsehen sorgte kürzlich NFL-Quarterback Deshaun Watson. 24 Frauen klagten ihn wegen sexuellen Fehlverhaltens und Übergriffen. Mit 23 konnte er sich außergerichtlich einigen. Im jüngsten Fall soll er eine Frau zum Oralsex gezwungen haben. Trotzdem erhielt er einen Fünfjahresvertrag im Wert von 240 Millionen Dollar.
Kultur des Schweigens
Ein schwerer Schlag für den Lieblingssport der Kanadier. Insgesamt gewannen die Eishockey-Herren neunmal Olympia-Gold, zuletzt 2014, sowie 18 Weltmeistertitel. Eine halbe Million Kanadier spielen im Verein.
"Es herrscht eine Kultur des Schweigens und der Verharmlosung von sexueller Gewalt gegen Frauen", sagte Sportministerin Pascale St-Onge. "Jede Person in einer Führungsposition muss sich dieser Krise des Sport-Systems annehmen." Die Regierung legte ihre Förderungen in Millionenhöhe für den Hockey-Verband nun auf Eis.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Verantwortlichen im Hockey-Verband immer noch im Amt. Erst vergangene Woche folgten Konsequenzen. Mit Nike, Bauer, Esso, Canadian Tire und anderen sprangen die wichtigsten Ausrüster des Männer-Teams ab.
Mittlerweile sind auch Verbandschef Smith und Vorstandschefin Andrea Skinner zurückgetreten, auch der gesamte Vorstand soll ihnen folgen. Von einem "wichtigen ersten Schritt" spricht Trudeau. Er kann sich eine völlige Neugründung des Verbandes vorstellen.
Österreicher im Warteraum
Im Dezember richtet Kanada die U-20-WM aus, eines der wichtigsten Sportereignisse im Land. Mit New Brunswick und Nova Scotia behalten sich zwei Gastgeber-Regionen vor, die Zusammenarbeit mit dem Verband zu beenden, sollte sich "die Kultur nicht ändern".
Der Skandal hat auch für Österreich Konsequenzen: Die Anreise des U-20-Nationalteams ist noch ungewiss.
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