Island: Die dunkle Seite einer goldenen Fußballer-Generation

Island: Die dunkle Seite einer goldenen Fußballer-Generation
Nach Missbrauchsvorwürfen trat fast die gesamte Verbandsspitze zurück

Islands Teamspieler wurden vor fünf Jahren zu Lieblingen der europäischen Fußballwelt. Sie hatten sich erstmals für eine EM-Endrunde qualifiziert, blieben in der Vorrunde ungeschlagen und warfen im Achtelfinale England aus dem Turnier. Und da war dann auch noch der legendäre Schlachtruf der Fans: „Huh!“

Nicht nur sportlich ist von solchen Erfolgen nicht mehr viel übrig. Ein Missbrauchsskandal erschüttert derzeit das Nationalteam und den Verband. Der Präsident und fast die gesamte Führungsspitze des Fußballverbands KSÍ sind zurückgetreten.

Kolbeinn Sigthórsson, der 2016 ein Tor gegen England erzielt hatte, wurde aus dem Kader für die derzeit laufenden WM-Qualifikationsspiele gestrichen, bei denen Island am Mittwoch Deutschland in Reykjavik empfängt. Am Freitag stellte auch sein derzeitiger Klub IFK Göteborg den 31-Jährigen frei. In einer Erklärung von fünf Fangruppen des Vereins heißt es: „Wir wollen ihn nie mehr im blau-weißen Dress sehen.“

Ein weiterer isländischer Profi ist nach Anklagen der sexuellen Belästigung von Minderjährigen von seinem Premier-League-Klub wegen des noch laufenden Ermittlungsverfahrens suspendiert worden.

Was der Verband wusste

Was Kolbeinn Sigthórsson vorgeworfen wird, wurde auch durch dessen eigene Stellungnahmen bekräftigt. Es war ein Abend im September 2017 in der Bar B5 in Reykjavik, in dem verschiedene Spieler einen 2:0-Heimsieg gegen die Ukraine feierten. Zwei Frauen zeigten anschließend den damaligen Nantes-Profi bei der Polizei wegen Körperverletzung und grober sexueller Belästigung an und unterrichteten auch den Fußballverband KSÍ.

Diese alte Geschichte war seinerzeit mit einer Entschuldigung Sigthórssons und einer Zahlung von umgerechnet rund 1.500 Euro an Stígamót, eine isländische Organisation, die Opfern sexualisierter Gewalt hilft, außergerichtlich beigelegt worden. Nun kochte sie wieder hoch, weil KSÍ-Präsident Gudni Bergsson behauptete, der Fußballverband habe „keine Beschwerde oder irgendeinen Hinweis auf sexuelle Übergriffe erhalten“. Diese Behauptung wurde später jedoch durch den eMail-Verkehr zwischen dem Vater eines Opfers und dem isländischen Staatspräsidenten widerlegt. Der Staatspräsident gab zu, mit dem KSI-Vorsitzenden über die Angelegenheit gesprochen zu haben.

Bergsson entschuldigte sich erst, trat danach zurück. Nachdem Hauptsponsoren des Nationalteams wie die Fluggesellschaft Icelandair mit dem Abbruch der Zusammenarbeit gedroht hatten, schloss sich der größte Teil der KSÍ-Führungsspitze diesem Schritt an: „Wir wissen, dass wir versagt haben, und wir werden uns bemühen, besser zu werden“, heißt es in einer Erklärung des Verbands. Das sei dringend erforderlich, sagte Islands Ministerpräsidentin Katrin Jakobsdottir. Sie drückte den Frauen, die sich öffentlich zu Wort gemeldet hatten, ihre Bewunderung aus.

Der Fall der Halbgötter

„Es ist ein ziemlicher Schock für Island, akzeptieren zu müssen, dass diese goldene Generation auch eine dunkle Seite hat“, schrieb Thordur Júlíusson, Chefredakteur der isländischen Netzzeitung Kjarninn. Sie seien „wie Halbgötter behandelt worden und, nur weil sie reich und berühmt sind, mit Sachen durchgekommen, mit denen normale Menschen nicht durchkommen würden“.

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