Fasten und nächtliches Training: Wie ein Judoka den Ramadan übersteht

„Voller Energie“: Shamil Borchashvili (in Weiß) trainiert derzeit in Linz.
Shamil Borchashvili ist Olympia-Medaillengewinner und gläubiger Moslem. Im Fastenmonat stellt er sein Leben um und trainiert bis in die Morgenstunden.

Shamil Borchashvili macht die Nächte zum Tag. „Gegen halb fünf Uhr in der Früh gehe ich derzeit schlafen“, erzählt der 28-Jährige. Es ist ein ungewöhnlicher Tagesrhythmus für einen Spitzensportler. Doch dem Judoka muss man zugutehalten, dass er die Zeit nicht in schummrigen Bars verhockt. Er trainiert im Olympiazentrum in Linz.

Borchashvili ist Bronzemedaillengewinner im Judo bei Olympia in Tokio 2021 – und gläubiger Moslem. Im Ramadan, so heißt es, wird gefastet, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Dieser Tage schläft Borchashvili bis etwa Mittag, ab 16 Uhr steht Mobilitäts- und Krafttraining auf dem Programm. „Bis zum Krafttraining darf ich gar nichts essen, aber daran hat man sich nach drei Tagen gewöhnt“, sagt er.

Nach Einbruch der Dunkelheit stärkt er sich für die folgenden zwei Trainingseinheiten in der Nacht mit seinem jüngeren Bruder Wachid (25), dem älteren Bruder und Trainer Kiran (30) sowie fünf Trainingspartnern aus Georgien. Kurz nach 2.30 Uhr ist dann Trainingsschluss.

Zwei Brüder, ein Ziel

Die in Tschetschenien geborenen Borchashvili-Brüder bereiten sich derzeit auf die Saisonhöhepunkte vor: die Europameisterschaft in Zagreb Ende April und die Weltmeisterschaft im Mai in Abu Dhabi. Danach wird sich entscheiden, ob Shamil oder Wachid für Österreich bei den Olympischen Spielen im Sommer auf die Matte steigen. Beide kämpfen in der Klasse bis 81 Kilogramm, nur einer wird es nach Paris schaffen. „Ich mache während des Ramadan bewusst keine Wettkämpfe“, sagt Shamil Borchashvili. „Ich war in Taschkent Zweiter und in Baku Fünfter. Das reicht, denn ich habe gesehen, wo ich mit meiner Leistung stehe.“

Die Klasse bis 81 Kilogramm sei die umkämpfteste überhaupt, man müsse im Training nicht nur körperlich, sondern auch mental sehr viel arbeiten. Da helfe ihm der Ramadan. „Im Training geht jetzt so viel voran und ich schöpfe in dieser Zeit so viel Kraft. Nach dem Ramadan bin ich voller Energie und die Batterien sind geladen.“

Der Ramadan sei für ihn eine stressfreie Zeit, eine Zeit für Familie und Freunde. „Ich liebe den Ramadan, er tut mir so gut“, sagt er. „Bei mir steht der Glauben an erster Stelle. Durch ihn bin ich als Person sehr gewachsen. Durch den Glauben habe ich all die Rückschläge in meinem Leben verkraften können.“

Fasten und Sport

Vor den Olympischen Spielen in Tokio vor drei Jahren fiel der Ramadan mitten in die Vorbereitung auf das Turnier – Borchashvili gewann die ersehnte Medaille. Im Jahr 2012 war der Fastenmonat zeitgleich mit Olympia in London. Damals verzichtete ein Großteil der geschätzt 3.500 muslimischen Athleten und Athletinnen auf das religiöse Fasten, weil es sonst kaum möglich ist, Topleistungen zu erbringen. Wenn Sportler nicht genügend Energie, also Kohlenhydrate zu sich nehmen, führt dies zu einem Leistungsabfall, und ein dehydrierter Körper kann vor allem im Ausdauersport zu schweren gesundheitlichen Problemen führen. Deshalb holen einige Sportler die Fastenzeit nach, andere spenden als Ausgleich für arme Menschen. „Das habe ich auch schon gehört“, sagt Borchashvili. „Aber da kenne ich mich zu wenig aus.“

Zumindest heuer ist für den Judoka ein Verzicht auf den Ramadan kein Thema. In der Weltrangliste sei er so weit vorne, dass er sich keine Sorgen machen müsse. „Ich erkenne nur Vorteile. Ich kann jetzt am besten Kraft schöpfen, ich bin gelassen und erholt. Leute, die das noch nie gemacht haben, können sich schwer vorstellen, was das bewirken kann.“