Sylt im Winter: Wenn die Schickeria fehlt, aber nicht abgeht

Sylt im Winter: Wenn die Schickeria fehlt, aber nicht abgeht
Im Februar soll ein riesiges Feuer, die Biike, den Winter austreiben, und der Wind überflüssige Gedanken wegblasen.

"Heute brennt Keitum!“, ruft Claas Erik Johannsen, bevor sich der Fackelzug in Bewegung setzt. Was für manche wie eine gefährliche Drohung klingt, wird von den Einwohnern Keitums herbeigesehnt. Denn mit der Biike (zu deutsch „Haufen“), einem riesigen Feuer, soll der Winter ausgetrieben werden. Ganz Sylt ist jedes Jahr am 21. Februar in Aufruhr, denn vor dem Petritag brennen im Idealfall neun Feuer auf der 12-Dörfer-Insel.

Biikebrennen auf Sylt

Claas Erik Johannsen gehört der dänischen Minderheit auf Sylt an, seine Familie ist eine Institution auf der Insel. Im Garten seines Benen-Diken-Hofs treffen sich traditionell Einheimische und Gäste vor dem Spektakel. Hier hält Johannsen eine Brandrede, lässt das Jahr Revue passieren und erklärt das Brauchtum. Dann folgt ein Kümmel-Schnaps – „damit die Hände nicht mehr zittern“. Gemeinsam spazieren alle, begleitet von einer Kapelle, mit Fackeln zur Biike außerhalb des Dorfes.

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Claas Erik Johannsen.

Noch bevor die Letzten am Biikeplatz ankommen, wird mit „Tjen di Biiki ön!“ und einem riesen Knall das Feuer entfacht. Ansprachen auf Deutsch und Sölring (Sylter Friesisch) behandeln die Kommunalpolitik, bevor die Hymne „Üüs Sölring Lön“ (Unser Sylter Land) ertönt.

Heidnisches Opferfeuer

Um die Ursprünge des Biike-Brauchtums, das jüngst in das nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen wurde, ranken unterschiedliche Erzählungen. Aber egal, ob Walfänger so von ihren Frauen verabschiedet wurden, Piraten oder der Winter abgeschreckt werden sollten, die Sylter lieben ihre Biike. Ähnlich wie beim Maibaumsetzen geht es darum, besser zu sein als der Nachbar. Nicht nur in Sachen Größe. Ein Triumph wäre es, dem Nachbardorf den Scheiterhaufen vorzeitig anzuzünden. Schadenfreude käme auf, wenn das Feuer der anderen schlechter brennt, als das eigene. Damit man selbst nicht „verliert“, gibt es tagelange Wachen.

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Biikebrennen.

Irgendwann spenden das Feuer und die mitgebrachten Getränke aus der Thermoskanne nicht mehr genug Wärme, es geht zurück zum Benen-Diken-Hof, wo sich viele Teilnehmer zum traditionellen Grünkohlessen treffen. Was wie eine Detox-Speise klingt, ist tatsächlich ziemlich üppig. Der Grünkohl wird wie ein Fass ohne Boden mit karamellisierten Erdäpfeln, Speck, Kassler und Kochwürsten serviert. Dazu gibt’s wieder Kümmel – flüssig. Gefeiert und getanzt wird bis in die Nacht, Seniorchef Claas Johannsen beweist seine Entertainer-Fähigkeiten an der Bar.

Keine „Plörre“

Am nächsten Tag zieht uns ein Duft zu Christian Appel. Er war eigentlich Sportjournalist in Köln und hat den Hype um kleine Kaffeeröstereien im ganzen Land beobachtet. Als er in seine Heimat zurückgekommen ist, hat er die Marktlücke genützt und 2016 Sylts erstes Café mit eigener Rösterei eröffnet. Darin wird mitten im Geschäft per Hand geröstet.

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Christian Appel

„Plörre“ nennen Norddeutsche dünnen und faden Kaffee, den gibt es in Kaffeerösterei Sylt sicher nicht. Seinen Gästen serviert Appel hippen Filterkaffee, Espresso und Kuchen aus der eigenen Backstube. Wer überzeugt ist, kann Bohnen kaufen. Zwölf Sorten mit friesischen Namen wie Okke, Freya oder Elke sind im Sortiment.

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Kaffee wird geröstet.

Ebenfalls ein junges Unternehmen im ehemaligen Industriegebiet in Rantum ist die Sylter Trading. Vier Unternehmer haben die sprichwörtliche Schnapsidee in die Tat umgesetzt: Hergestellt wird Whisky mit Sylter Wasser, das in Kübeln aus dem Meer gehoben wird. Gebrannt wird am Festland, gelagert auf Sylt. 2017 kam die erste dreijährige Flasche auf den Markt.

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John-Meinert Petersen schenkt seinen Whisky mit Meerwasser aus.

 

Bitte einmal durchpusten

Um den Marketing-Schmäh zu verdauen, hilft ein Spaziergang entlang des Rantumbeckens – ein Seevogelschutzgebiet. Auf dem Deich erleben wir „Detox à la Nordsee“ und lassen uns vom Wind „durchpusten“, auch so ein Ausdruck hier im Norden. Klingt komisch, wirkt aber und heißt so viel wie „den Kopf freibekommen“.

Auf der einen Seite vom Deich ist das Becken mit dem Brackwassersee, auf der anderen das Wattenmeer. Durch Süß- und Salzwasser gibt es hier eine große Vogeldichte. Und Ruhe. Kaum eine Menschenseele verirrt sich im Winter hierher.

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Rantum: „Durchpusten lassen“ und die Ruhe genießen.

Auch Kampen, wo im Sommer „Reich und Schön“ zu Hause ist, ist wie ausgestorben. Vorbei an der Whiskymeile (Pony Disco, Rauchfang, Luxusläden) geht es Richtung Uwe Düne, mit knapp 53 Meter der höchste Punkt der Insel. Der Ausblick ist wunderbar: Die Landschaft ist in sanfte Rot-, Gelb- und Brauntönen getaucht, reetgedeckte Häuser blitzen zwischen dem Strandhafer hervor.

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Kampen: Goldener Strandhafer, dunkelbraune Heide – das Farbspiel im Winter hat seine Reize.

Zwei Tage nach dem großen Feuer geht es runter von der Insel. Der Zug fährt an den Resten des Scheiterhaufens vorbei, der immer noch glost und raucht. Die Sonne strahlt. Es scheint geklappt zu haben. Dem Winter wurde der Garaus gemacht.

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Info

Anreise Ab Hamburg-Altona mit der Regionalbahn nach Westerland in knapp 3 Stunden. Schleswig-Holstein-Ticket : 29 € für 1 Person und jeweils 3 € mehr pro Mitfahrer. www.bahn.de

Essen und Trinken Restaurant Kökken: Sehr gutes Fischrestaurant  im Benen-Diken-Hof in Keitum. Start- und Endpunkt eines Fackelzugs beim Biike-Brennen mit anschließendem Grünkohlessen. www.benen-diken-hof.de
– Kaffeerösterei Sylt: erste Rösterei auf der Insel mit angeschlossenem Café, am Rantumer Hafen. www.kaffeeroesterei-sylt.com
– Sylter-Trading: Whisky aus Sylter Meerwasser. sylter-trading.de
– Teekontor Keitum:  Im stilvollen Teeraum wird die Teetradition auf Sylt zelebriert. Spezialität: Kontorhaus-Teatime. www.kontorhauskeitum.de

Landhaus Stricker Das Relais & Chateaux Hotel hat 38 Zimmer und Suiten, sehr luxuriös und trotzdem gemütlich.  Holger Bodendorf serviert in seinem Fine-Dining-Restaurant Bodendorf’s Speisen mit südfranzösischen Akzenten – 3 Hauben, 1 Stern. 5-Gänge-Menü: 159 €, etwas günstigere, aber immer noch gehobene Küche wird in seinem Restaurant nebenan, im Siebzehn84, kredenzt.
– Biike-Package: 4 ÜN/F, an 3 Abenden ein 3-Gänge-Menü im  Restaurant Siebzehn84, Biike-Programm mit Häppchen und Kohlessen ab 640 €/P im DZ. Buchbar bei Anreise 18. bis 21.2. www.landhaus-stricker.com

Auskunft Sylt Marketing, Tel. +49 4651 82020, www.sylt.de, www.nordseetourismus.de

 

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