"Bun Di", grüßt uns die Schweizerin. Das heißt so viel wie "Bell Di" oder eben "Schöner Tag". Renata zeigt uns Chur, die erste Station auf unserer Gourmetreise durch
Graubünden, nach einer geruhsamen Fahrt mit dem Schlafwagen von Wien nach Sargans und weiter in die 38.000-Einwohner-Stadt am Fuße imposanter Berggipfel. Kaum ein Schmankerl dieser Ferienregion werden wir auf unserer Tour, die uns Natur, Kultur und Tradition näher bringt, auslassen.
Chur ist eine von 60 europäischen Städten, in denen das Jubiläum "500 Jahre Reformation" gefeiert wird. "Die Bischofsstadt ist Zentrum der rätoromanischen Schweiz und gilt als älteste Stadt der Eidgenossen", erklärt Renata auf dem Weg zur ersten Verkostung.
Pfirsichsteine
Die 130 Jahre alte Zuckerbäckerei von Arthur Bühler duftet schon von Weitem. Seine Bündner Pfirsichsteine gehören zu Chur wie die berühmte Beinwurst, der nicht weniger bekannte Röteli (Likör aus Kirschen und Zimt) oder auch die Fleischtorte (Blätterteig und Faschiertes). "Die Gewürzmischung macht den einzigartigen Geschmack der Pfirsichsteine aus, sie ist ein Geheimnis, das von mir und meiner Tochter gehütet wird." Die anderen Zutaten verrät der Konditormeister nicht.
Der Durst plagt uns nach so viel Köstlichem. Kein Problem in Chur. 31 Quellen fließen direkt vom Berg in die 24 Brunnen der Stadt. "Man muss nie mehr als 200 Schritte gehen, um hier Wasser zu trinken", sagt Renata .
Weiter geht es mit Rauschebart-Peter zum Café Merz auf ein Brötchen mit Bündnerfleisch und nach einer Verdauungs-Wanderung auf dem Höhenweg über Masans in den idyllischen Fürstenwald zur dritten Station. Immer am Waldrand, mit herrlicher Aussicht auf Felder und Berge, landen wir
im Restaurant Klein Waldegg: Pulled Beef auf Mini Bagel und Weiderindburger. Bei der Nachspeise im Eissalon Evviva, dem vierten Genuss-Stopp, dreht Peter, der ehemalige Tourismuschef von Chur, seinen Schnurrbart und erzählt, dass er regelmäßig an Bart-Europameisterschaften teilnimmt.
Alpenhirt
Am Abend folgt der fünfte Streich im Hotel Stern mit einer Fleischdegustation.
Adrian Hirt aus dem von Chur zehn Kilometer entfernten Tschiertschen hat im Ausland studiert, kam zurück, übernahm den väterlichen Betrieb und verwirklichte seine Idee: "Ich wollte zurück zu den Wurzeln meines Urneni."
Sein Urgroßvater hat vor 120 Jahren auch kein Kalb geschlachtet, nur ältere Tiere, die rein natürlich – ohne Mais-Soja-Mästung – gefüttert wurden. "Ich habe schon als Kind gelernt, ohne Konservierungsmittel, ohne Pökelsalz das Fleisch zu verarbeiten", sagt Adrian. Bei ihm wird das Fleisch nicht wie in der Industrie mit Natriumnitrat rot gefärbt. Sein Bündner wird sechs bis acht Wochen in Rotwein eingelegt und sechs Monate getrocknet. Diese aufwendige Verarbeitung hat zwar ihren Preis – 435 Gramm kosten 80 Euro. Aber die hauchdünn geschnittenen Sorten vom Alpenhirt sind ihr Geld wert. Bündner- oder Bergfleisch, Farurer Baron oder Bergsalsiz zergehen auf der Zunge.
Panoramafahrt
Eine kulinarische Pause wird uns auf der Zugfahrt von Chur nach Poschiavo gegönnt. Ein Rundumblick auf die sattgrüne Landschaft durch die Panoramafenster der Waggons ist himmlisch. Auf 122 Kilometern durch 55 Tunnels und über 196 Brücken: Die Strecke des Bernina Express ist ein Meisterwerk der Ingenieurskunst. Zusammen mit der Landschaft ergibt das ein einzigartiges UNESCO- Welterbe. Die gewaltigen Steigungen bewältigt die Gebirgsbahn mittels Kehrtunnels, Viadukte und Schutzgalerien.
Bis 1925 gab es in Graubünden keine Autos, weil die Rhätischen Bahnbetreiber vor der Konkurrenz Angst hatten. Zehn Volksabstimmungen hat es gebraucht, bis die Graubündner zugestimmt haben. Die Angst war unbegründet. Die Rhätische Bahn mit dem Bernina- und Glacier-Express sind ein Touristenmagnet.
Vom Berg zu den Palmen
Bei der höchsten Station der Rhätischen Bahn (2253 m) in Bergün bleibt Zeit, sich das Bahnmuseum anzusehen, bevor es in Richtung Süden nach Poschiavo weitergeht. Italienisches Flair, warme Temperaturen, ein wunderschöner Hauptplatz im Renaissance-Stil und der sechste Feinschmecker-Stopp im Restaurant Albrici erwartet uns. Stadtführer Kaspar erklärt das Menü: "Crespelle, das sind Buchweizencrêpes gefüllt mit Käse und Trockenfleisch. Danach gibt es die Capunet, Spinatspätzle, eine regionale Spezialität. Und zum Schluss ein Dessert aus Waldfrüchten." Fast alles, was in diesem Val Poschiavo, ein Tal mit 4500 Einwohnern, angebaut und produziert wird, ist biologisch.
Wie bescheiden die Puschlaver vor Jahrhunderten in diesem Tal lebten, ist in dem original erhaltenen Bauernhaus Casa Tomé, heute ein Museum, eindrucksvoll zu sehen. Von den hart arbeitenden Bauern stammt auch die traditionelle Küche. Speisen aus Buchweizen und Polenta mit Käse und viel Butter. Früher wurde nur ein Mal im Jahr geschlachtet.
Die Bahnfahrt zurück in die Berge Richtung Alp Grüm erweist sich als perfekte Verdauungspause mit fantastischen Ausblicken.
Gletschergarten
Ausgeruht können wir einen Zwischenstopp in Cavaglia mit einer Wanderung im Gletschergarten einlegen. Romeo, unser enthusiastischer Führer, und seine Freunde waren es, die als begeisterte Naturfreunde begannen, einen Gletschertopf nach dem anderen von Wasser und Geröll zu befreien. Dadurch kam die Schönheit dieser "Skulpturen der Natur" zutage. Wie magnetisiert steht man vor diesen konzentrischen Löchern, die in eineinhalb Millionen Jahren in perfekter Form durch die Naturgewalt geschliffen wurden.
Von der Naturgewalt zum gewaltigen Hunger. Und damit zur siebenten kulinarischen Station. Alp Grüm, ein Bahnhofsgebäude aus Stein mit roten Fenstern, umgeben von einmaliger Berglandschaft. Ein Panoramablick vom Palütgletscher mit dem türkisfarbenen Palüsee bis über die Ebene von Cavaglia – sonst nichts. Der Bahnhof ist gleichzeitig Herberge und Gasthaus. Nach der Gerstelsuppe und dem Bündnerfleisch-Carpaccio fällt man in der Stille, nur durchbrochen durch das leise Geplätscher der Wasserfälle, in tiefen Schlaf.
Klosters
Frisch und munter kommen wir in den berühmten Ort, den vor allem Reiche und Prominente, wie die englische Königsfamilie, für seine Diskretion schätzen.
Wir schätzen vor allem die Fahrt mit dem Zweispänner und Kutscher Guido. Das Ziel? Ein weiterer kulinarischer Höhepunkt auf der Alp Garfiun. "Viva" prosten wir uns zu, bevor wir die achte Verkostung – "Prättigauer Knödli mit Härdöpfelstock" (Faschierte Bällchen mit Erdäpfelstampf) – beginnen.
Das typische Walser Gericht – Pizokel (Spätzle, Käse, Erdäpfel, Gemüse) verkosten wir bei Station Nummer acht, bevor wir am nächsten Tag, hoch oben auf dem Madrisa-Hof, ein Paradies für Familien, wieder mit Trockenfleisch die
Gourmetreise beenden. Voll Freude und mit Begeisterung haben wir uns von "Beiz zu Beiz" (Wirtshaus zu Wirtshaus) durchgearbeitet. Waren beeindruckt von der Vielfalt der Sprachen (Deutsch, Italienisch, Rätoromanisch), der Architektur, der Menschen, der Natur und der Speisen.
Am Ende der Schlemmerreise schickt Reisebegleiter Urs, humorvoller Schweizer mit Wiener Schmäh, uns "Kalorien-Opfern" den Link zu den WeightWatchern. Und verdirbt uns trotzdem nicht den Appetit, wieder ins Graubündnerische zu reisen.
Info
Anreise Mit den ÖBB Nachtreisezügen von Wien, Graz oder Villach nach Sargans (Liegeplatz ab 59 €, Schlafwagenabteil 3-Bett inkl. Frühstück ab 79 €), weiter nach Chur 8,90 € mit Vorteilscard. Im Tagesverkehr gibt es Sparschiene Tickets von Wien nach Chur ab 39 €. www.oebb.at
Swiss Travel Pass Mit dem All-in-one-Ticket können Reisende 4 oder 8 Tage lang die ganze Schweiz mit Bahn, Bus und Schiff erkunden, haben freie Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, freien Eintritt in mehr als 500 Museen, 3 Bergfahrten, ab 173 €/p. P. (Ermäßigung gilt bis 30.6.2017) oebb.at/swisstravelsystem www.swisstravelsystem.com
Graubünden Rundfahrt mit der Rhätischen Bahn, einen Tag lang ein- und aussteigen so oft man will, um 45 € p. P., inkl. 50 %-Ermäßigung bei etlichen Freizeitangeboten. www.rhb.ch/rundfahrt
Hotels 4*-Hotel ABC in Chur, direkt beim Bahnhof und mitten in der Stadt, ca. 220 €/ p. Zimmer und Nacht, www.hotelabc.ch – Romantik Hotel Stern, im Zentrum von Chur, ca. 200 € p. Zimmer und Nacht,
www.stern-chur.ch – Hotel Alp Grüm ist gleichzeitig die Bahnstation und Gasthaus auf 2092 m. Berge, Weiden, Gletscher, Bäche und ein See. Hausmannskost aus Graubünden. www.daprimo.com – Silvretta Parkhotel in Klosters, 5*-Familienbetrieb, www.silvretta.ch
EssenRestaurant Klein Waldegg, malerisch gelegen über Chur, kreative Küchenbrigade setzt auf Frischprodukte,purcatering.ch/kleinwaldegg – Bühler’s Zuckerbäckerei mit den berühmten Pfirsichsteinen aus Marzipan. Am Obertor in Chur. – AlpenHirt: Feines Trockenfleisch von Bündner Bergkühen nach uraltem Familienrezept, ohne chemische Zusatzstoffe, hergestellt. Degustation im Alpenkeller des feschen Jungunternehmers Adrian Hirt: Ab 38 € p. P. im 150 Jahre alten Bauernhaus in Tschiertschen,
www.alpenhirt.ch – Hotel Restaurant Albrici: Im Schanigarten auf dem prachtvollen Dorfplatz von Poschiavo werden Köstlichkeiten ausschließlich aus lokalen Produkten serviert. Der ganze Ort produziert nur Bio-Produkte, www.hotelalbrici.ch – Berggasthaus Alp Garfiun in Klosters traditionelles Bündner Menü (Gerstensuppe, Prättigauer Knödli mit Härdöpflistock = Faschierte Bällchen mit Püree), www.alpgarfiun.ch – Madrisa-Hof mit traumhafter Aussicht ins Tal Prättigau. Von Klosters mit der Madrisa-Bergbahn 18 €.www.madrisa-land.ch
Museen
Nutli-Hüschi, Heimatmuseum in Klosters in einem Prättigauer Bauernhaus aus dem 16. Jahrhundert, sehenswert.www.museum-klosters.ch – Casa Tomé in Poschiavo unbedingt besuchen. Reise in die Vergangenheit, das Haus birgt über 650 Jahre lokale Geschichte in sich.www.musei.gr/1825/
Gletschergarten Giardino dei Ghiacciai Cavaglia, Romeo erzählt die spannende Geschichte der Gletschermühlen und -mulden. Führung: 6,50 €, Treffpunkt Di., Do., Sa., So. um 14 Uhr Bahnhof Cavaglia.www.ghiacciai.info
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