Nicht ohne meine Pflegetochter

Nicht ohne meine Pflegetochter
Moderatorin Barbara van Melle kämpft für die Rechte ihres Pflegekindes. Ihr mächtiger Gegner: Die Regierung.

Als die Beamten des Magistrats (MA 35) der neunjährigen Narcisa auch noch die Fingerabdrücke abnahmen, war für Barbara van Melle eine Grenze überschritten. "Es reicht!", sagt sie. "Ich kann nicht länger schweigen. Mein Kind hat nichts verbrochen." Die ehemalige ORF-Moderatorin sitzt im Garten ihres Hauses in Wien. Auf ihrem Schoß Pflegetochter Narcisa. Das Problem des Mädchens: Sie hat keinen österreichischen Pass. Ihr Glück: Van Melle kämpft um die Rechte ihres Kindes. "Es ist ja meine Tochter", sagt sie.

Vor sieben Jahren nahm sie das philippinische Mädchen bei sich auf. Die Stadt sucht verzweifelt nach Pflegeeltern, die sich um Kinder kümmern, deren Eltern die Obsorge entzogen wurde.

"Doch Familien, die ein Pflegekind mit anderer Staatsbürgerschaft aufnehmen, wird das Leben immer schwerer gemacht", klagt van Melle. Es werde immer schwerer, die Auflagen für eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung zu erfüllen. Mittlerweile muss Narcisa den Beamten jährlich ihre Zeugnisse vorlegen. Van Melle selbst reicht Einkommensbescheide ein. Sie gibt Auskunft, wie viel Strom die Familie verbraucht. Haben die Eltern ihre Handyrechnungen bezahlt? Müssen horrende Kreditraten abgestottert werden? "All das wollen die Beamten wissen", sagt sie.

Jede Verschärfung des Staatsbürgerschaftsgesetzes erlebt van Melle am eigenen Leib. "Damit könnte ich leben, doch dass Narcisa darunter leidet, geht zu weit." Als das Mädchen aufgrund eines neuen Paragrafen auch noch Fingerabdrücke abgeben musste, habe sie geweint. "Ich bin hier zu Hause", sagt das Mädchen. "Wenn es sein muss, kette ich mich an."

Ihre Ängste mögen angesichts der Verhältnisse, in denen sie heute lebt, übertrieben scheinen, angesichts der zähen Behördengänge sind sie verständlich. "Man ist einem riesigen Apparat ausgeliefert", sagt van Melle. Sie fordert, dass das Jugendamt (MA 11), das ihr das Kind zugeteilt hat, und die Einwanderungsbehörde (MA 35) besser kooperieren, "um den Kindern diese Tortur zu ersparen". Denn wieso, fragt die Mutter, muss ihr die eine Abteilung (MA 35) das Leben schwer machen, während ihr die andere (MA 11) wiederholt das Vertrauen ausspricht?

Spiel auf Zeit

Doch der Leiterin des Jugendamts, Herta Staffa, sind die Hände gebunden. "Würden Auflagen nicht erfüllt, wird das Kind aber nicht abgeschoben", versichert sie. Die Kinder würden allenfalls in städtische Häuser kommen. Staffa weiß, dass es mit der MA 35 immer wieder zu Problemen kommt. "Doch Schuld an der Misere sind nicht die Kollegen, sondern die Bundesgesetze, die sie zu vollziehen haben."

Allein seit 2006 habe es im Fremdenrecht elf Gesetzesnovellen gegeben, heißt es im Büro von Stadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ). Die Gesetze seien unmenschlich und kaum exekutierbar. "Eine Evaluierung des Fremdenrechts ist mehr als angesagt."

Im Innenministerium heißt es hierzu: "Bis 2014 soll ein neues Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geschaffen werden." Bestehende Gesetze würden im Zuge dessen "vereinheitlicht".

Für van Melle und Narcisa heißt dies im besten Fall noch zwei Jahre Wartezeit, ehe der Gesetzesdschungel gelichtet und die Neunjährige nicht mehr wie eine Fremde im eigenen Land behandelt wird. Im schlimmsten Fall bleiben die Reformen aus und die Familie verpasst, wie schon einmal, eine der vielen Meldefristen. Eine Staatsbürgerschaft würde für das Kind, das hier geboren wurde, erneut in weite Ferne rücken, die Behörden-Tortur ginge in die Verlängerung.

Ihre Rechte, ihre Pflichten

Im Jahr 2010 wurden in Wien 742 Kinder von Amts wegen untergebracht. Nur 193 Kinder bekamen neue Pflegeeltern, 549 bezogen eine Wohngemeinschaft der Stadt. Österreichweit gab es 2009 knapp 4400 Pflegekinder. Wie viele von ihnen – so wie Narcisa – eine andere Staatsbürgerschaft haben, ist unbekannt.

Den Pflegeeltern steht ein Elterngeld zu, das je nach Alter und Bundesland variiert. In Wien zum Beispiel erhalten sie 450 Euro für ein Kind bis zum sechsten Lebensjahr. Zusätzlich gibt es noch Sonderzahlungen. Die Stadt sucht laufend Wiener, Alleinstehende ebenso wie Paare (auch gleichgeschlechtliche), die die verantwortungsvolle Aufgabe wahrnehmen wollen.

Unterschieden wird zwischen der Übertragung der Pflege und Erziehung und der vollen Obsorge. Im ersten Fall können sich die Eltern mit dem Pflegeelternpass vor Ämtern und medizinischen Einrichtungen ausweisen. Bei der vollen Obsorge hingegen können Pflegeeltern als Erziehungsberechtigte unterschreiben und Verträge abschließen.

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