Bures: "Wir müssen uns mit aller Kraft dagegenstemmen"
Doris Bures spricht als ehemalige Frauenministerin anlässlich des bevorstehenden 110. Frauentags besonders kämpferisch über das Thema. Aber auch aus ihrer Vorliebe für eine Große Koalition macht sie kein Hehl – samt dem Erfolgsrezept aus der Zweiten Republik: Dialog.
KURIER: Sie sind lange in der Politik, waren acht Jahre Ministerin und besetzten als Nationalratspräsidentin das zweithöchste Amt der Republik. Im Parlament ist der Ton jetzt unglaublich rau geworden – was für Frauen besonders abschreckend sein dürfte. Muss man Frauen daher noch einmal extra ermutigen, in die Politik zu gehen? Und was tun gegen diesen Ton?
Doris Bures: Frauen brauchen Vorbilder und Mutmacherinnen – nicht nur in der Politik, auch in der Wirtschaft. Ich halte viel von Frauennetzwerken. Wir leben gerade in einer sehr herausfordernden Zeit, wo für viele auch viel auf dem Spiel steht. Natürlich führt das zu einem emotional angespannten Klima. Ich teile die Einschätzung, dass Frauen das besonders spüren und sich mit dieser Aggressivität in der Gesellschaft, die sich auch immer mehr in der Politik widerspiegelt, wirklich schwertun.
Haben Frauen denn einen besseren Stil als Männer in der Politik?
Ich bekomme viele Briefe, in denen beklagt wird, dass es traurig anzusehen ist, mit wie viel Bösartigkeit und Respektlosigkeit miteinander umgegangen wird. Weibliche Abgeordnete sind in der Auseinandersetzung nicht so untergriffig, belegen auch meine Zahlen: Im letzten Jahr hat es im Nationalrat 37 Ordnungsrufe gegeben, davon nur zwei für Frauen.
Man hat das Gefühl, dass Sexismen von links wie von rechts zunehmen.
Ich teile Ihre Einschätzung. Wir müssen uns mit aller Kraft dagegenstemmen, dass das Rad der Zeit zurückgedreht wird: weg von Diversität, Gleichberechtigung und Aufhebung von Ungleichheiten.
Verletzt es Sie, wenn man Sie abschätzig immer wieder auf die Zahnarztassistentin reduziert?
Eine Lehre gemacht zu haben, ist nicht etwas, was einen zu verletzen braucht. Ich bin stolz auf das, was ich in meinem Leben erreicht und wofür ich mich mit großer Leidenschaft eingesetzt habe. Und ich schmunzle darüber, dass genau jene, die bei Sonntagsreden Karriere mit Lehre propagieren, das dann negativ darstellen.
Jetzt gibt’s zum ersten Mal eine Frau an der Spitze der SPÖ, aber in Wahrheit geht auch die Partei, die immer die Sache der Frau auf ihre Fahnen geschrieben hat, oft recht rüde mit Pamela Rendi-Wagner um. Stört Sie das?
Wir haben in der Sozialdemokratie immer sehr offene Diskussionen geführt – und es gab auch männliche Parteivorsitzende, um die sehr zugespitzte Debatten stattfanden. Ich kann nur sagen, dass ich sehr froh bin, dass die Sozialdemokratie endlich eine Frau an der Spitze hat. Ich halte sie für die Richtige zur richtigen Zeit an der richtigen Position. Und wenn sie Unterstützung braucht, dann hat sie in mir eine Verbündete.
Etliche männliche Parteikollegen finden allerdings: Für die Opposition ist sie gut genug, aber zum Kanzler oder Vizekanzler machen wir dann einen anderen. Ich gehe davon aus, dass Pamela Rendi-Wagner unsere Spitzenkandidatin ist.
Und auch Kanzlerin oder Vizekanzlerin?
Da müssen wir erst einmal eine Wahl gewinnen. Ich hoffe, dass die Sozialdemokraten aus den nächsten Wahlen, wann immer die stattfinden, gestärkt hervorgehen. Ich traue Rendi-Wagner jede politische Funktion zu, weil ich sie für eine sehr empathische und kritisch konstruktive Persönlichkeit halte. Solche Menschen, die auf Zusammenarbeit setzen, brauchen wir gerade jetzt.
Richten Sie das auch Hans Peter Doskozil aus?
Ja, in vielen Gesprächen.
Die frühere Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht in Deutschland hat kürzlich die Illiberalität mancher Linker kritisiert und deren Haltung so beschrieben: „Wer nicht für mich ist, ist kein Andersdenkender, sondern ein schlechter Mensch“. Sehen Sie das auch? Also ich gehöre zu jenen innerhalb der Sozialdemokratie, die Wert darauf legen, dass Kompromisse ein wesentliches Element der Demokratie sind. Das war das Erfolgsrezept der Zweiten Republik: Dass man aufeinander zugegangen ist und trotz unterschiedlicher Auffassungen immer gewusst hat, was dem anderen bei politischen Verhandlungen zumutbar ist und was nicht.
Ist das verloren gegangen?
Ja, die Suche nach dem Dialog ist stark ausbaufähig.
Zurück zum Thema Frauen. Sind sie nicht oft zu empfindlich, zu wenig mutig? Männer schreien viel schneller „hier“, wenn es um öffentliche Wortmeldungen oder Jobs geht.
Bei manchen Männern denke ich: Woher nehmen Sie den Mut? Manchmal ist es maßlose Selbstüberschätzung. In Sachen Gender Equality zählen wir leider zu den Schlusslichtern in der Europäischen Union. Daher brauchen wir eine Politik, die für die Beseitigung von Ungleichheiten kämpft. Noch dazu, wo wir sehen, dass die Arbeitslosigkeit bei Männern um knapp über 25, bei Frauen aber sogar um 40 Prozent gestiegen ist. Sie laufen Gefahr, Krisenverliererinnen zu werden.
Verzetteln wir uns nicht in Diskussionen über gendergerechte Sprache, während viel massivere Probleme auftauchen? Die Zahl der ermordeten Frauen ist gestiegen, es gibt Zwangsehen, und in manchen Gesellschaftsgruppen sind Frauen Menschen zweiter Klasse. Da ist es dann eher egal, ob man Gästin sagen soll.
Die Debatte ist dennoch nicht unerheblich, gendergerechte Sprache müsste eigentlich selbstverständlich sein.
Manches davon klingt aber ziemlich krampfig.
Ja, es ist vielleicht noch ein bisschen ungewohnt.
Wäre es nicht viel wichtiger, dass Frauen andere Bildungswege gehen? Also nicht Literatur und Marketing, sondern lieber Controlling und Technik wählen?
Frauen haben in der Bildung massiv aufgeholt, schlechte Qualifizierung ist also kein Argument gegen Gleichstellung mehr. Aber ich habe mich auch als für Forschung und Technologie zuständige Ministerin immer dafür eingesetzt, Frauen für technisch-naturwissenschaftliche Studienrichtungen zu gewinnen. Firmen, in denen Diversität herrscht, sind übrigens erfolgreicher.
Was braucht es sonst?
Wir müssen uns über den Wert von Arbeit unterhalten und uns fragen: Warum sind überall dort Löhne so niedrig, wo viele Frauen beschäftigt sind? Wir sehen weiters, dass die Karrierechancen von Frauen schwinden, wenn sie Kinder bekommen. 75 Prozent aller Frauen mit Kindern unter 15 Jahren sind in Teilzeitarbeit, und jede dritte Frau braucht die finanzielle Unterstützung ihres Partners. Das geht dann weiter bis zur Pension, von der sie gar nicht leben können.
Hat sich die SPÖ um die spezielle Situation von Frauen in migrantischen Milieus nicht lange herumgeschwindelt?
Natürlich muss man auch dort genau hinschauen. Da geht es vor allem auch um Bildung. Die Stadt Wien macht zum Beispiel Deutschkurse speziell für Frauen.
Wird in den Wertekursen für Neuankömmlinge genügend über Frauenrechte gesprochen?
Ich hoffe es. Wir hatten dafür ja einen Integrationsstaatssekretär, der jetzt Kanzler ist. Und ich bin sehr für Ethikunterricht an den Schulen.
Machen es sich die Feministinnen nicht manchmal auch ein bisschen leicht, indem sie immer den alten weißen Mann zum großen Feindbild erklären?
Es gibt ja auch immer öfter solidarische alte weiße Männer! (lacht)
Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit für eine Rückkehr der Großen Koalition?
Ich weiß es nicht, aber noch vor zwei Monaten hätte ich mir auch nicht die aufgeladene Stimmung vorstellen können, wie sie jetzt in der Politik herrscht. Wenn wir – hoffentlich schneller als es derzeit der Fall ist – mit den Impfungen weiterkommen, dann liegt ein Jahrzehnt vor uns, in dem wir die Wirtschaft wieder aufbauen müssen. Je breiter der politische und gesellschaftliche Konsens, desto erfolgreicher werden wir dabei sein.
Sie werden bereits als mögliche Justizministerin in einer türkis-roten Regierung genannt.
Also erstens haben wir jetzt Wichtigeres zu tun, als über Posten zu spekulieren. Zweitens befindet sich die Sozialdemokratie in Opposition. Und drittens gehöre ich mit acht Jahren Regierungserfahrung wahrscheinlich zu den längstdienenden Ministern der Zweiten Republik. Ich habe mich dem Parlamentarismus verschrieben und glaube, dass das Parlament gerade jetzt eine wichtige Rolle für die Funktionsfähigkeit der Demokratie und die Krisenbewältigung spielt. Ich wünsche mir sehr, dass Regierung und Parlament auf Augenhöhe miteinander umgehen.
Hat sich denn da schon etwas verbessert?
Ja in den letzten Wochen hat es doch die Erkenntnis gegeben, auch die im Parlament vertretenen Parteien einzubinden und andere Meinungen anzuhören. Und wir im Parlament haben gezeigt, dass wir innerhalb weniger Stunden und auch nächtens fähig sind, Verordnungen zu prüfen. Das macht diese übrigens auch besser.
Wie kommen Sie mit Kanzler Sebastian Kurz aus?
Mit ihm habe ich ein sehr professionelles Verhältnis, wir saßen auch eine Zeit lang in derselben Bundesregierung.
Wie steht es mit einer Präsidentschaftskandidatur von Ihnen 2022?
Der Herr Bundespräsident hat sich noch nicht geäußert, ob er noch einmal antritt. Daher wäre es respektlos, darüber zu spekulieren. Wir haben noch viel Zeit, diese Frage ausführlich zu diskutieren.
Und wenn er antritt?
Dann halte ich viel von der guten Tradition, dass wir dann keinen Gegenkandidaten aufstellen.
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