Wifo-Expertin Schratzenstaller: "Es gibt drei große Schieflagen“
Seit 2003 forscht Margit Schratzenstaller am WIFO, weil sie „harte Themen“ mag. Sie ist eine der renommiertesten Wirtschaftsforscherinnen Österreichs.
KURIER: Die Regierung dürfte ihren Budgetpfad heuer und 2026 einhalten. Aber ist dieser ambitioniert genug?
Margit Schratzenstaller: Auf der einen Seite durchaus. Er sorgt dafür, dass das Budgetdefizit zurückgeführt wird, so wie das auch von den EU-Fiskalregeln vorgeschrieben ist. Der Wermutstropfen: Die Schuldenquote steigt weiter und wird 2028 mit 89 Prozent der Wirtschaftsleistung ihr historisches Hoch erreichen. 2025 und 2026 sind wir gut auf Kurs, ab 2027 muss sehr viel mehr passieren.
Werdegang: Margit Schratzenstaller, am 7. November 1968 im deutschen Landshut geboren, ist eine der wenigen Wirtschaftsforscherinnen in Österreich. Ursprünglich wollte sie Schriftstellerin oder Journalistin werden, entdeckte dann ihr Interesse an Ökonomie und promovierte an der Universität Gießen in Wirtschaftswissenschaften. Seit 2003 arbeitete sie in verschiedenen Rollen am WIFO in Wien – von 2006 bis 2008 bzw. 2016 bis 2019 als stellvertretende Leiterin. Seit 2020 ist die Budgetexpertin zudem Mitglied des Fiskalrats.
Ökologisch: Schratzenstaller hat kein Auto und bewältigt alle Strecken, die sie „öffentlich nicht zurücklegen kann oder mag“ mit dem Fahrrad.
Welche Reformen muss die Regierung angehen?
Die großen Strukturreformen, über die wir in den letzten Jahrzehnten nicht auf Schiene gebracht haben. Der zentrale Dreh- und Angelpunkt ist der Föderalismus. Der aktuelle Finanzausgleich läuft bis 2028. Wir haben also ein Fenster von zwei, drei Jahren, in dem wir diese Reformen schaffen müssen. Wir haben viele Bereiche, in denen es gemeinsame Zuständigkeiten gibt: Bildung, Gesundheit oder das Fördersystem. Wir geben in diesen Bereichen relativ viel Geld aus, aber die Ergebnisse sind relativ mäßig.
Was wird der Staat jedenfalls in den nächsten Jahren leisten können und wovon müssen wir uns vielleicht verabschieden?
Österreich hat relativ hohe Abgabenquoten im internationalen Vergleich. Per se ist eine hohe Abgabenquote kein Problem. Die Frage ist, ob das Geld erstens für die richtigen Bereiche und zweitens effizient ausgegeben wird. Und da bin ich mir bei Österreich nicht immer ganz sicher. Die dritte Frage ist: Wo kommt das Geld eigentlich her? Wir haben eher ineffiziente Abgabenstrukturen in Österreich. Das sind die eigentlichen Probleme.
Sepp Schellhorn, Wolfgang Hattmannsdorfer, Markus Marterbauer
Wie könnte man die Struktur von Österreichs Abgabensystem umbauen?
Es gibt drei große Schieflagen. Die bestehen darin, dass Arbeit sehr hoch besteuert ist, Umwelt und Emissionen sehr, sehr moderat und, dass wir auch im internationalen Vergleich relativ geringe vermögensbezogene Steuern haben. In den nächsten Jahren ist es alternativlos, die eine oder andere Steuer zu erhöhen. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich mir wünschen, dass die Abgaben auf die Arbeit sinken, die Steuern auf Energieverbrauch, Emissionen und Flächenverbrauch erhöht werden, und dass man die eine oder andere vermögensbezogene Steuer stärkt. Eine allgemeine Vermögenssteuer ist nicht sehr sinnvoll. Aber es gibt großen Spielraum bei der Grundsteuer, die in Österreich ja seit Jahrzehnten nicht mehr angepasst worden ist. Und das andere wäre die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer, die es in sehr vielen anderen Ländern gibt.
Die Wirtschaftsforschung ist von der ÖVP im Vorjahr wegen angeblich nicht treffsicherer Prognosen ungewohnt scharf kritisiert worden. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Ich würde das einfach unter Wahlkampf einordnen. Das waren die Monate vor der Wahl, und das war eine schwierige Phase für alle. In sehr krisenhaften Phasen – Krieg, Pandemie oder plötzliche Inflation – ist es einfach schwierig, die Prognosen entsprechend präzise auszurichten. Ganz grundsätzlich möchte ich aber eine Lanze für Prognosen brechen. Auch wenn die Unsicherheit groß ist: Ganz ohne Prognosen kommen wir nicht aus, weil dann wären wir im Blindflug unterwegs. Und das wäre weder für die Politik noch für die Wirtschaftsakteure eine haltbare Situation.
Die ÖVP ortet in Österreich „Lifestyle-Teilzeit“. Wie schlägt sich das, wenn die Entwicklung so weitergeht, nieder?
Ich glaube, man muss die Teilzeitdebatte ein bisschen einordnen. Ein großer Teil der Teilzeit ist nicht freiwillig gewählt, nämlich vor allem von Frauen mit Betreuungspflichten. Einen großen Teil des Problems könnte man schon damit lösen, dass man Frauen und auch Männern hilft, ihre Betreuungspflichten besser mit einer Berufstätigkeit unter einen Hut zu bringen – mit Kinderbetreuungseinrichtungen und einem Pflegesystem, das Familien entlastet. Strukturell beobachten wir zudem eine Abnahme des Arbeitsangebots. Und da gilt es, zwei Gruppen stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren: Ältere und Zugewanderte.
In Wien ist die Kinderbetreuung beinahe so gut ausgebaut wie in Skandinavien – während andere Länder hinterherhinken.
Österreich bemüht sich seit ungefähr 15 Jahren sehr stark, das Kinderbetreuungsangebot auszubauen, quantitativ wie auch qualitativ. Das geht nicht von heute auf morgen. Es ist viel besser geworden, wenn auch ausgehend von einem relativ niedrigen Niveau. Aber wir nähern uns den europäischen Zielvorgaben doch an.
Auf EU-Ebene wird der Green Deal aufgeweicht. Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer hat im KURIER-Interview angedeutet, dass die CO2-Bepreisung zu hoch und Österreich nicht wettbewerbsfähig sei. Sehen Sie das auch so oder wäre der Rückbau von Klimaschutzmaßnahmen fatal?
Ich halte das für eine problematische Entwicklung, die wir momentan weltweit beobachten. Dass man jetzt den Green Deal verwässert nach den Krisen, kann ich einerseits verstehen, weil es natürlich viele neue Prioritäten gibt. Aber ich halte es für kurzsichtig, wenn man immer diesen Gegensatz von Wirtschaftswachstum oder Klimaschutz konstruiert. Den gibt es so nicht. Eine prosperierende Wirtschaft wird es auf Dauer nicht geben, wenn sich der Klimawandel so weiter entwickelt. Da muss ich gar nicht auf die Prognosen schauen, das haben auch die großen Schäden der Flut im Vorjahr gezeigt.
Aber wie soll sich Europa positionieren und eine Deindustrialisierung verhindern, wenn zum Beispiel die USA unter Trump – salopp gesagt – auf den Klimaschutz pfeift?
Ich glaube, wir müssen hier mehrgleisig fahren. Zum einen sollte man Institutionen wie das Emissionshandelssystem bewahren und die Ziele vielleicht noch ehrgeiziger gestalten. Die Verhandlungen zum neuen EU-Budget haben mit einem nicht sehr ambitionierten Vorschlag begonnen, dass der Umfang des EU-Budgets bei ungefähr einem Prozent der Wirtschaftsleistung bleibt. Und ich glaube, das reicht nicht. Es gibt eine Reihe an Bereichen, von Forschung bis zur Entwicklung erneuerbarer Technologien, wo es viel effizienter ist, wenn sich die EU insgesamt engagiert.
Aber mischt sich die EU nicht generell, sei es durch das Lieferkettengesetz oder die Renaturierungsverordnung, schon auf zu vielen Ebenen ein?
Ich glaube auch, dass sie stärker fokussieren muss. Wobei ich nicht der Meinung bin, dass es durch die Bank um eine wahllose Deregulierung geht, die quasi mit dem Rasenmäher über alles drüber geht. Es geht um eine bessere Regulierung, zum Beispiel bei den Berichtspflichten.
Noch einmal zu Österreichs Budget: Fallen Ihnen konkrete klimaschädliche Subventionen ein, die die Regierung sofort abschaffen könnte?
Im Bereich der klimaschädlichen Subventionen ist das Konsolidierungspaket zu wenig ambitioniert. Da gäbe es schon Dinge, die könnte man mehr oder weniger von heute auf morgen abschaffen – das Dieselprivileg zum Beispiel. Das Dienstwagenprivileg könnte man einschränken, die Pendler-Förderung auch.
Gibt es eigentlich auch etwas, was Österreich auf wirtschaftlicher Ebene gut kann?
Wir haben in einigen Bereichen an Boden verloren. Österreich ist aber nicht so schlecht aufgestellt, wie es im Moment geredet wird. Wir haben ein gutes Sozialsystem, eine relativ moderate Treibhausgasintensität in der Produktion und ein gut ausgebildetes Arbeitskräfteangebot. Es gibt viele Unternehmen, die am Weltmarkt etabliert sind. Aber im Hinblick auf die Zukunft muss mehr getan werden. Vor allem im Vergleich mit den skandinavischen Ländern oder den Niederlanden, die ökonomisch, sozial und auch ökologisch sehr erfolgreich sind.
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