Koalitionsklima: Welcher A4-Zettel der Koalition für den Erfolg fehlt
Als Kanzleramtsministerin Claudia Plakolm (ÖVP), Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos) und Staatssekretärin Michaela Schmidt (SPÖ) diese Woche nach der Ministerratssitzung das "Regierungstrio" gaben, schien zunächst alles wie immer.
Seit Wochen, ja Monaten ist es in Österreichs erster Dreier-Koalition gelebte Praxis, dass man sich vornehmlich zu dritt der Öffentlichkeit stellt, und dass jede Woche in harmonischer Abwechslung eine Partei ein Thema "spielen" darf.
Damit sich möglichst kein Koalitionspartner übervorteilt fühlt; und damit die Wähler sehen, dass man konstruktiv zusammenarbeitet.
Diese Woche sind die Neos am Zug. Und so erzählte deren Bildungsminister Wiederkehr, wie man die Deutschförderklassen reformieren will.
Seine Kollegin Plakolm hörte aufmerksam zu - um dann, und hier wird es interessant, zur Überraschung von pinken und roten Zuhörern in eine deutlich andere Richtung abzubiegen. "Das Problem reicht über die Klassen hinaus, es geht ums Stadtbild!", sagte Plakolm, um hernach auszuführen, warum der deutsche Bundeskanzler, ihr Parteifreund Friedrich Merz, absolut Recht habe, wenn er sich über das Stadtbild ärgert, und warum die ÖVP - von Kanzler Christian Stocker abwärts - nun gut daran tut, ebenfalls über das Stadtbild zu wettern.
"Bei der Debatte geht es um Menschen, die sich verweigern und die unsere Werte nicht achten." Und insbesondere Frauen und Mädchen seien in Gefahr von Männer- und Jugendgruppen, "die prügeln und vergewaltigen".
Die Augen gerade aus, kein Zucken im Gesicht, so lauschten Wiederkehr und Schmidt der ÖVP-Kollegin. Doch als die SPÖ-Staatssekretärin an der Reihe war, konnte sie nicht anders, als eine kleine Spitze loszuwerden. Sie würde jetzt gern wieder zum eigentlichen Thema zurückkehren, bemerkte Schmidt leicht irritiert. Und das ist noch zurückhaltend ausgedrückt.
Unabgesprochen
Denn gegenüber dem KURIER bestätigen Regierungskommunikatoren in SPÖ und Neos im Anschluss an den Ministerrat, "dass Plakolms Wortmeldung "ungewöhnlich und unabgesprochen" war.
Tatsächlich scheint sich in allen drei Koalitionsparteien derzeit so etwas wie Ernüchterung einzuschleichen. Denn obwohl man mittlerweile seit knapp 250 Tagen regiert, ein forderndes Sparbudget geschnürt und anderes auf den Weg gebracht hat, sind Umfrage- und Wirtschaftsdaten genauso wie die Stimmung im Land, nämlich: eher bescheiden.
"Natürlich steigt bei manchen die Nervosität", erzählt ein ÖVP-Wirtschaftsbündler dem KURIER. Und der frühere Pressesprecher eines ÖVP-Chefs schielt durchaus neidisch nach Deutschland, "wo ein SPD-Chef Lars Klingbeil einen anderen, mit unseren christlich-sozialen Werten viel leichter zu vereinbarenden Leistungsgedanken propagiert als hierzulande die SPÖ."
Am Wochenende fliegt Ex-Kanzler Sebastian Kurz mit einer ganzen Delegation an Journalisten in den Nahen Osten. Und sein Name ist es auch, der sich in der zuletzt nicht mit Erfolg verwöhnten Bundes-ÖVP hartnäckig als Alternative hält. Erst Anfang des Jahres war das Polit-Comeback des Ex-ÖVP-Chefs - und damit eine blau-schwarze Regierung - ja quasi im letzten Augenblick daran gescheitert, dass sich Kurz allumfassende Durchgreifsrechte in der Partei sichern wollte. Doch mit dem Blick auf die aktuellen Werte der FPÖ und im Vergleich mit dem eigenen Abschneiden wächst insbesondere in den ÖVP-Ländern wieder spürbar die Sehnsucht, den früheren Stimmenbringer an der Parteispitze zu re-installieren.
Bei den Neos wiederum sehen sich jene Kräfte bestätigt, die - wie beispielsweise von Beginn an der stellvertretende Klubchef Nikolaus Scherak - skeptisch auf die angepeilte Dreier-Koalition geblickt haben. Die SPÖ sei unter Andreas Babler zu links, die ÖVP nicht reformfreudig genug, unkte man im Februar beim kleinsten Koalitionspartner. Und die Vorbehalte sind seither nicht kleiner geworden. A propos Babler-SPÖ: Wer im Hintergrund mit Landes-SPÖ-Chefs oder namhaften SPÖ-Gewerkschaftern spricht, hat nicht mit Euphorie zu rechnen.
Die Regierungsbeteiligung der SPÖ hat weder Parteichef Babler noch der Bewegung insgesamt einen spürbaren Aufwärtsdrall gegeben, im Gegenteil: Unter allen SPÖ-Regierungsmitgliedern hat der Parteichef beim OGM-Vertrauensindex mit Minus 23 Punkten den mit Abstand schlechtesten Wert. Kein Wunder, dass sich nicht wenige nach einem Charismatiker vom Format eines Christian Kern an der Parteispitze sehnen.
"Es war von Anfang an klar, dass dieser Regierung die eine A4-Seite fehlt, auf der die gemeinsame Zukunftsvision dieser Koalition für das Jahr 2050 steht", sagt ein Stratege.
Die von Plakolm nun angezogene Debatte um das "Stadtbild" erklärt man sich bei Rot und Pink - auch - mit Zahlen wie jenen, die erst am Wochenbeginn Klaudia Tanner präsentiert hat: Laut einer Studie des Verteidigungsministeriums halten die Österreicher nämlich abgesehen von der Teuerung kaum etwas für so gefährlich wie die Zuwanderung.
"Und weil sich auch die Umfragewerte nicht bessern und die Umfragewerte der FPÖ sogar weiter steigen, versucht die Kanzlerpartei der Bevölkerung nun zu signalisieren, dass man bei der Integrationsdebatte mindestens so scharf ist wie die FPÖ", sagt ein SPÖ-Analyst. Ob das gut geht? Im Koalitionsteam der SPÖ bezweifelt man das. Dort heißt es trocken: "Wir glauben daran, dass man Probleme ohne Getöse lösen muss, anstatt sie ständig laut zu beschreiben."
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