Ex-Kanzler Kurz: "Die Europäer haben sich lächerlich gemacht"

Sebastian Kurz im Anzug lehnt sich auf einen Tisch.
Sebastian Kurz über das Ende des Gaza-Kriegs, die Rolle von US-Präsident Donald Trump, das Agieren der Linken in Europa und die Aussichten für ein Ende des Ukraine-Kriegs.

Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist als Unternehmer in Israel und in den Arabischen Emiraten engagiert. Er kennt somit die Stimmung im Mittleren Osten rund um den Gaza-Krieg.

KURIER: Herr Kurz, Sie haben eine AI-Cybersecurity-Firma in Tel Aviv, Sie sind aber auch im arabischen Raum unternehmerisch tätig. Wie haben Sie es erlebt, dass jetzt ein Frieden in Gaza möglich ist?

Sebastian Kurz: Es sind unendlich positive Tage, es ist eine unglaublich euphorische Stimmung. Nicht nur in Israel, sondern in der ganzen Region. Alle meine Mitarbeiter und Freunde, sowohl in Israel als auch in den Golfstaaten, verfolgen fast Tag und Nacht im Fernsehen, was gerade passiert. Es ist eine extreme Erleichterung, dass die 20 noch lebenden Geiseln befreit wurden und es eine Chance gibt, dass eine positive Phase für die gesamte Region eingeläutet wird.

Ist es überhaupt ein Frieden, den man in Israel wollte? Immerhin konnte das Ziel, die Terrororganisation Hamas zu vernichten, nicht erreicht werden.

Die Hamas komplett zu vernichten, ist schwierig, weil sie mehr ist als nur eine Terrororganisation. Sie ist auch eine Ideologie, eine terroristische Ideologie. Und es war von Anfang an klar, dass es nicht möglich ist, diese Ideologie komplett zu vernichten. Was meiner Meinung nach richtig war, dass nach dem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem weit mehr als tausend Menschen brutalst getötet wurden, bei dem Menschen verschleppt, als Geiseln gehalten, Frauen vergewaltigt wurden, versucht wurde, die Hamas so gut wie möglich militärisch zu besiegen.

bei Gebhart: Sebastian Kurz

Der Gaza-Krieg hat aber das Bild von Israel verändert. In Europa vielleicht sogar mehr als in manchen arabischen Staaten. Es wurde nicht nur von etlichen Regierungen ein Palästinenserstaat anerkannt, es wurde Israel teilweise sogar von Veranstaltungen im Sport und in der Kultur ausgeschlossen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Ich finde es sehr schade, welche Propaganda vor allem in Europa verbreitet worden ist. Und es ist bedauerlich, dass viele Menschen darauf reinfallen. Bis hin zu höchstrangigen Medien wie der New York Times. Da wurden Bilder gezeigt von hungernden Kindern, wo man später kleinlaut einräumen musste, dass dieses Bild gar nicht der Realität entsprochen hatte. Die Realität ist, dass vor dem 7. Oktober 2023 das Miteinander eigentlich kein schlechtes war. Mit der Abraham Accords Declaration wurden erstmals diplomatische Beziehungen zwischen Israel und den Golfstaaten aufgenommen. Die Brutalität und Barbarei des Terrorüberfalls hat dazu geführt, dass Israel gegen die Zehntausenden Hamas-Kämpfer vorgehen musste. Die Art und Weise, wie teilweise darüber unwahre Informationen transportiert wurden, ist problematisch und hat zu einer eigenen Sichtweise geführt.

Es ist aber schon so, dass mit dem Krieg sehr viel Leid und Elend über den Gazastreifen gekommen ist. Auch eine Hungersnot. Das kann man nicht abstreiten. Nicht ohne Grund hat die große Mehrheit der UNO-Mitglieder für eine Resolution gegen Israel gestimmt.

Ich verbringe ungefähr die Hälfte der Zeit im Nahen Osten. Dort bin ich immer einige Tage in Israel, aber auch in Abu Dhabi oder in Dubai. Ich kann nur sagen, das Bild ist dort teilweise ein anderes, ein wesentlich differenzierteres. Das eine ist die Frage des humanitären Leids. Da muss alles getan werden, dass die Zivilbevölkerung möglichst wenig leidet. Worüber sich aber alle in der Golfregion einig sind – eine Ansicht, die auch die meisten Araber teilen –, ist, dass die Hamas eine Terrororganisation ist und die Verherrlichung, die teilweise in Europa stattgefunden hat, absurd ist. Was mich so schockiert, ist, dass in Europa teilweise die Linke sich mit einem durch Zuwanderer importierten Antisemitismus und einer Hamas-Liebe vereint hat. Da gab es Demonstrationsbilder, wo man nicht gewusst hat, ob es gegen den Klimawandel oder für die Hamas geht, alles ist in einer merkwürdigen Weise verschmolzen. Das kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.

Wie beurteilen Sie die Rolle von Präsident Donald Trump und den Amerikanern?

Man muss neidlos anerkennen, dass der Trump-Administration hier etwas Geschichtsträchtiges gelungen ist. Angefangen, dass sich Israels Premier Netanjahu für den Angriff auf die Hamas in Katar entschuldigt hat, waren das viele Schritte, die natürlich auf Druck der Amerikaner und vor allem von Präsident Donald Trump stattgefunden haben. All das hat am Ende dazu geführt, dass dieser große Schritt – die Freilassung der Geiseln und der Friedensplan – jetzt möglich geworden ist. Es ist von vielen Seiten der Wille da, die Region in ein friedliches Zeitalter zu führen. Klar ist auch, dass das eine Niederlage für den Iran und für Russland war. Auf dem Weg hin zu einer friedlichen Zukunft wird es wieder Rückschläge geben, aber es ist jetzt einmal die richtige Richtung eingeschlagen.

Haben die Europäer in diesen Fragen Donald Trump unterschätzt?

Die Europäer haben sich lächerlich gemacht. Wenn man es positiv formulieren möchte, dann kann man sagen, Europa hat keinerlei Rolle in dieser Frage gespielt. Wenn man es negativ formulieren will, kann man die Scheindebatte rund um die Anerkennung Palästinas in einer Phase, in der gerade Krieg geherrscht hat und noch immer Geiseln von der Hamas im Gazastreifen gehalten worden sind, als störend und unpassend bezeichnen. Insofern hat Europa hinsichtlich einer Friedenslösung überhaupt keinen Beitrag geleistet.

Die EU war überhaupt nicht im Spiel?

Es waren die Israelis, es waren viele arabische Staaten – und es war vor allem die amerikanische Administration, und es war Donald Trump. Ich finde ja interessant, dass Frieden nur dann als etwas Positives gesehen wird, wenn es von den Richtigen kommt. Und nachdem es in diesem Fall nicht Greta Thunberg, sondern Donald Trump war, gibt es in den üblichen politischen Lagern kaum ein positives Wort dazu. Was überrascht, wenn man sich im Vergleich dazu Stimmen aus anderen Teilen der Welt anhört.

Dieser Schritt von Donald Trump wurde allerdings schon anerkannt …

Fakt ist, die Politik in Europa tut sich ungemein schwer damit, vor allem die europäische Linke. Da habe ich noch nicht mitbekommen, dass es da ein positives Wort gegeben hat.

Donald Trump und Benjamin Netanjahu.

Donald Trump bei seinem Auftritt in Israel.

Wie fragil ist dieses Abkommen?

Es ist natürlich fragil. Da würde ich gerne zwei Ebenen auseinanderhalten. Das eine ist das breitere Bild im Mittleren Osten, dass nämlich Israel und die Golfstaaten näher zusammenrücken wollen. Die Idee der Abraham Accords ist eine Jahrhundertidee, die schon auf gutem Weg war, durch den bestialischen Terroranschlag 2023 der Hamas jedoch zurückgedrängt worden ist. Diesen Geist kriegt man Gott sei Dank aber nicht mehr in die Flasche. Wir werden erleben, dass es eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel geben wird. Ganz gleich ob Juden, Muslime oder Christen, sie alle wollen eine positive Zukunft, ein Miteinander. Sie wollen keine Terrororganisationen und auch niemanden, der Terrorismus unterstützt. Was Israel und die Palästinenser betrifft, da ist die Situation schon komplexer. Ich glaube, dass der Friedensplan ein guter ist, weil eine interimistische internationale Verwaltung eingerichtet wird, die nicht die Hamas ist.

Es sollen ja arabische Staaten eingebunden werden.

Das ist der richtige Weg, die progressiven Kräfte im Mittleren Osten auch einzubinden. Ich bin optimistisch. Wird es Rückschläge geben? Zu 100 Prozent. Wir es einfach werden? Nein. Aber es ist trotzdem der richtige Weg.

Sie kennen Israels Premier Netanjahu sehr gut. Ist der Friedensplan das Ende seiner Politik-Laufbahn?

Ich glaube nicht. Ich glaube, dass Bibi Netanjahu wie jeder Politiker in einer liberalen Demokratie umstritten ist. Er hat Unterstützer genauso wie Gegner. Viele zollen ihm Anerkennung, wie er Israel durch die Phase des Krieges geführt hat. Ich würde nicht sagen, dass er jetzt schwächer dasteht als vor einiger Zeit. Die vergangenen Jahre waren für Israel eine Überlebensfrage.

Zurück zu Donald Trump. Wird ihm so ein Friedensschluss auch im Ukraine-Krieg gelingen?

Angekündigt hatte er dieses Vorhaben. Wenn man die europäischen Politkommentatoren verfolgt, dann hat man den Eindruck, als wäre das alles immer völlig unkontrolliert und ohne Plan. Trump hat in einem ersten Schritt Putin den roten Teppich ausgerollt. Das hat zu keiner ernsthaften Gesprächsbereitschaft seitens Putins geführt. Deswegen muss jetzt ein anderer Weg eingeschlagen werden. Der Druck auf Russland wird aktuell in zwei Bereichen erhöht. Die militärische Unterstützung für die Ukraine wurde verstärkt. Parallel dazu wird versucht den Ölpreis nach unten zu drücken, damit es Putin schwerer fällt, seine Kriegsmaschinerie zu finanzieren. Das alles hat zum Ziel, Putin schnellstmöglich an den Verhandlungstisch zurückzubringen. Ein Frieden kann einzig und allein durch einen Dialog am Verhandlungstisch erreicht werden. Das Schlachtfeld wird keine Lösung bringen, sondern nur weiteres Leid.

Und wo steht da Europa?

Ich hoffe sehr, dass sich die Europäische Union eng mit den Amerikanern abstimmt, weil man gemeinsam eben am stärksten ist. Und ich hoffe auch, dass es nicht noch einmal so sein wird wie bei den Friedensverhandlungen im Mittleren Osten, wo Europa de facto keine Rolle gespielt hat.

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