Wie Gewessler die Blessuren der Grünen wiedergutmachen soll
„Zum Glück sind wir Regierungspartei! Will mir gar nicht vorstellen, welche Verordnungen ein anderer Regierungspartner jetzt problemlos mittragen würde – möglicherweise sogar Umsatzersatz für Glücksspielautomaten und geöffnete Waffengeschäfte im Lockdown.“ Mit viel Polemik machte der grüne Gemeinderat Hans Arsenovic seinem Unmut auf Twitter Luft.
Zu viele ideologische Blessuren hat die grüne Basis in den vergangenen Wochen abbekommen. Vizekanzler Werner Koglers oft strapaziertes Argument, dass es galt, „eine ÖVP/FPÖ-Koalition zu verhindern“, zieht elf Monate nach der Angelobung kaum mehr.
Dazu kommt, dass der Schock, völlig überraschend aus der Wiener Stadtregierung geflogen zu sein, bei den Grünen tief sitzt. So tief, berichten Insider, dass die ÖVP leichtes Spiel hatte, bei den Terrorpaket-Verhandlungen ihre Pflöcke rasch einzuschlagen. Etwa um Gefährder „lebenslang wie geistig abnorme Rechtsbrecher wegzusperren“.
Gewessler muss liefern
„Offensiv Politik machen können die Grünen derzeit kaum mehr“, analysiert auch Politexperte Thomas Hofer.
Um diesem Dilemma zu entkommen, besitzen die Grünen jetzt nur mehr einen echten Joker – nämlich Leonore Gewessler. Die Umwelt- und Infrastrukturministerium muss mit ihrem Megaressort für die Grünen die Kohlen aus dem Feuer holen, um die Regierungsbeteiligung vor Grün-Wählern weiterhin zu rechtfertigen.
Detto gilt es für Gewessler, auch die Umwelt-NGOs (sie war selbst bei Global 2000) bei Laune zu halten. „Da geht es um die Existenzberechtigung. Doch Gewesslers Öko-Rucksack wird immer schwerer, je mehr die Grünen bei anderen Themen in der Defensive sind“, meint Politologe Hofer. Denn auch die Verteilungsfrage, wer die Schulden zahlt, wird ab 2021 schlagend. Ein heikles Terrain (Stichwort Reichensteuer) für die türkis-grüne Koalition. Kann Gewessler ihre Prestigeprojekte nicht umsetzen, wird die Regierungsbeteiligung der Grünen offen infrage gestellt werden.
Monsteraufgabe
Der erste Befreiungsschlag hätte die neue Öko-Steuer für die SUV sein sollen. „Die Stinker werden teurer“, kündigte Kogler an. Das stimmt zwar, aber spätestens 2024 wird die NoVA auch bei einer Neuanschaffung eines Klein- und Mittelklassewagens (etwa einem Renault Clio) teurer sein. Es ist eine „Steuererhöhung für alle Fahrzeugklassen“, kritisieren die Automobilimporteure. „Von einer echten öko-sozialen Steuerreform ist man weit entfernt“, meint auch Hofer. Denn noch fehlen die eigentlichen ökosozialen Steuern wie beispielsweise das Ende des Diesel- oder des Dienstwagenprivilegs.
Auch Gewesslers Herzensprojekte wie das Plastikpfand oder das 1-2-3-Klimaticket für die Öffis drohen derzeit im Kompetenzstreit unterzugehen. Zudem muss Gewessler die Steuer auf stemmen. Derzeit verhandelt die Ministerin in einer Arbeitsgruppe mit Finanzminister Gernot Blümel.
„Die ÖVP hat hier mit dem Argument des Wirtschaftsaufschwungs mehr als einen Hebel in der Hand, diese Dinge auf die lange Bank zu schieben. Das wird vom Koalitionsklima abhängen“, prophezeit Hofer. Alle Vorhaben zu realisieren, wird für die Riesenressort-Ministerin immer mehr zur Monsteraufgabe.
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