Werner Kogler: "Werden nicht alles über Nacht aufsperren"
In Österreich drehen sich die Geschehnisse so schnell, dass manche Interviews nicht einmal mehr eine Halbwertszeit von zwei Tagen haben. Das Interview mit Werner Kogler musste zwei Mal geführt werden. Was der Vizekanzler am Dienstagnachmittag gesagt hat, war 48 Stunden später überholt. Der grüne Parteichef über den künftigen Kanzler Nehammer, Neuwahlen – und das Reizthema Lobautunnel.
KURIER: Herr Kogler, dass die Regierungszeit mit der ÖVP holprig wird, war von Anfang an klar. Aber sind Sie selbst überrascht, dass es derart holprig wird?
Werner Kogler: Ja, aber wichtig ist, dass von der ÖVP eingehalten wurde, dass die Entscheidungen schnell getroffen wurden und diese auch tragfähig sind. Wichtig ist, dass wir Tag und Nacht handlungsfähig sind auf beiden Seiten. Dieses Faktum ist schon gegeben.
Vor sechs Wochen haben Sie gefordert, dass eine tadellose Person Bundeskanzler werden muss. Karl Nehammer hat mitten in der Nacht Kinder abgeschoben, und er hat sich gemeinsam mit Sebastian Kurz geweigert, Flüchtlingskinder aus Moria aufzunehmen. Ist das aus Sicht der Grünen tadellos?
Viele Grüne – und die würdigen das auch – haben zu Karl Nehammer eine gute Gesprächsbasis. Wir hatten einige Anlassfälle mit ihm, die wir scharf kritisiert haben. Da gab es heftige Unterschiede, aber da haben wir uns ausgesprochen. Als Folge der Abschiebungen der beiden Mädchen im Jänner, die für uns nicht hinnehmbar waren, wurden dann so viele positive humanitäre Bleiberechtsentscheidungen ausgesprochen wie nie zuvor. Mehr als unter den roten Kanzlerschaften. Das muss man auch einmal sehen.
Nehammer ist für Sie ein Hardliner, mit dem man sich trotzdem in der Mitte treffen kann?
Ich erlebe ihn sehr oft als verbindend und auch als verbindlich, wenn man sich ausgesprochen hat. Er hat Handschlagqualität – auf dieser Basis treffen wir uns. Man kann Konflikte diskutieren und muss nichts groß verstecken. In der Pandemiebekämpfung war er im Hintergrund immer sehr verbindend. In der Außenwirkung hat er zurecht signalisiert, dass Maßnahmen eingehalten gehören und diese auch kontrolliert werden. So bekommt jeder sein Image ab. Durch die Rochade zum Bundeskanzler wird es auch einen Rollenwechsel bei Karl Nehammer geben. Er wird nicht zu viel versprechen, denn da sind wir ja schon gebrannte Kinder. Mit Nehammer können wir gemeinsam nach der Pandemie auch für die Gesellschaft etwas Verbindendes erzeugen. Ich traue ihm das tatsächlich alles zu.
Die Opposition fordert Neuwahlen. Ist die Beute für die Grünen mittlerweile so groß – Stichwort: Lobautunnel, Klimaticket und Steuerreform –, dass Sie sich als Parteichef jetzt sagen: Wir wären ja blöd, in Neuwahlen zu gehen?
Das ist keine Frage von Gescheitheit, Blödheit oder Beute. Das ist eine Frage von Verantwortung. Die Verantwortung gebietet auch, dass wir jedenfalls, solange die Auswirkungen dieser Pandemie eine so große Last darstellen, keine monatelangen Wahlkämpfe machen. Das wäre mit Sicherheit das falsche Signal. Außerdem haben wir viele Gemeinsamkeiten umzusetzen. Für die ökosoziale Steuerreform muss eine neue Maschine mit Klimabonus für alle und CO2-Bepreisung gebaut werden. Das ist nicht mit einem Handstreich gemacht. Das ist ein riesiges Zukunftswerk, das 2022 vollendet werden muss. Aber prinzipiell halte ich die Frage für zulässig, ob bei so vielen Wechseln die Legitimation noch gegeben ist. Die Frage ist nur, wann ein verantwortungsvoller Zeitpunkt dafür wäre? Ich sehe ihn nicht, auch weil wir Grünen nicht auf Umfragen schielen. Aber ja, wenn alles wieder stabil ist, wird sich die Frage nochmals anders stellen, wenn die Regierung nicht liefert. Wir liefern jedenfalls im Klimaschutz.
Apropos Pandemie: Wird am 13. Dezember abseits des Handels alles wieder geöffnet?
Die Entscheidung fällt am Mittwoch, wo wir die verschiedenen Experten hören werden. Meiner Prognose nach werden Öffnungsschritte möglich sein. Aber wir werden nicht alles über Nacht aufsperren können. Es wird weiter Beschränkungen geben müssen zum Schutz unserer Gesundheit.
Da Sie sich schon länger nicht mehr zu Wort gemeldet haben: Wie konnten die 180-Grad-Wendungen beim Lockdown für alle und beim Thema Impfpflicht passieren?
Hier man muss man selbstkritisch als gesamte Regierung sagen: Da sind einige Versäumnisse passiert, und wir waren nicht entschlossen und schnell genug. Der Maßnahmenkatalog, der zwischen dem Gesundheitsministerium und dem Bundeskanzleramt ausverhandelt wurde, war gut gemacht. Das Ganze hatte nur einen Haken, dass man nicht die Prognosen miteinbezogen hat. Und daher war der Stufenplan nicht vorausschauend genug, wann es zu Belastungsgrenzen kommen kann, die vor allem regional unterschiedlich sind, wie man jetzt gesehen hat. Und die Impfpflicht? Natürlich hätten wir es alle lieber gehabt, wenn es zu keiner Impfpflicht kommt. Wir sehen nur die große Chance, dass es mit dieser Maßnahme zu keiner weiteren Welle mit Lockdowns kommt. Die Impfpflicht ist eine Möglichkeit, über die mittlerweile sogar die EU-Kommission diskutiert. Auch Deutschland, das übrigens die Intensivpatienten mit Unterstützung der Luftwaffe aufs Land verteilt, nimmt uns in dieser Frage als Vorbild. Aber zur Impfpflicht muss man auch sagen: In keinem anderen Land in der EU gibt es eine Partei, die immerhin bei 20 Prozent firmiert, die gemeingefährlich agiert, und dafür sollte sie belangt werden. Schauen wir nach Oberösterreich: Jene Bezirke mit den höchsten Stimmenanteilen der Blauen haben nicht nur die niedrigste Impfquote, sondern auch die höchste Quote auf den Intensivstationen.
Noch-Kanzler Alexander Schallenberg nahm die FPÖ in die Kritik. Die Grünen sind zumeist zurückhaltend. Warum schonen gerade Sie Herbert Kickl?
Ich habe Herbert Kickl auch in den vergangenen Wochen mehrfach kritisiert. Was die durchgeknallten Kurpfuscher der FPÖ nämlich abziehen, ist lebensbedrohlicher Unfug. Wenn ich richtig informiert bin, sterben Menschen, weil sie die Medikamenten-Vorschläge des Herrn Kickl befolgen. Es ist jetzt nicht die Zeit von Pferden und ihren Würmern.
Kommen wir zum Lobautunnel: Man hört, dass Nehammer von den ÖVP-Landeshauptleuten wegen der Straßenbaustopps den Auftrag bekam, die Grünen einzufangen. Haben Sie beim Lobautunnel den Bogen überspannt?
Das habe ich so noch nicht gehört. Es ist ganz wichtig, dass wir mit dem Bürgermeister von Wien und der Landeshauptfrau von Niederösterreich weiterhin ein gutes Einvernehmen haben. Es werden ja Teile des Großprojekts östlich der Donau weiterverfolgt. Da werden auch Straßen – und gar keine kleinen – sowie Anbindungen ans öffentliche Netz gebaut. Das einzige, was nicht passiert, ist die Durchschneidung des Nationalparks.
Wie kann ein Tunnel, der unterirdisch läuft, einen Nationalpark durchschneiden?
Das wird aber trotzdem von vielen Ökologen anders gesehen. Es wird ja auch mitbewertet: Wie viel Problemlösung und wie viel Problemanheizung erzeuge ich mit dem Tunnel? Österreich ist das Transitland in Europa. Wir haben die größte Dichte an Autobahnen und Schnellstraßen in Europa. Wir machen uns zum Verkehrsknotenpunkt von Europa – da muss man dagegen halten.
Kommen wir zu einem anderen Thema: War der Besuch der „Licht ins Dunkel“-Gala mitten im vierten Lockdown der „Armin-Laschet-Moment“ der Staatsspitze?
Es tut mir leid, wenn der Eindruck entstanden ist, dass der Besuch unpassend gewesen wäre. Aber es ist genau umgekehrt. „Licht ins Dunkel“ ist eine Institution wie keine andere, die für das große Gemeinsame im Land steht. Die Einladung des ORF auszuschlagen, wäre nicht richtig gewesen. Ganz abgesehen davon, dass die Sicherheitsmaßnahmen mit 2-G+ viel strenger als im Vorjahr waren, wo es noch keine Impfung gab.
Sie sind vor kurzem 60 Jahre alt geworden. Sie haben politisch viel erlebt, wollten nie in der ersten Reihe stehen und sind es nun doch. Welches Lebensmotto haben Sie entwickelt?
Ich bin ein großer Verweigerer von dem Getue von runden Geburtstagen. Da gefällt mir die Zahl 61 besser, vielleicht auch, weil sie eine Primzahl ist. Als 2017 nur noch wenige Grüne übrig waren, wir in einer fast ausweglosen Situation steckten und ich die Grünen übernahm, wurde mir ein Motto von Clint Eastwood zugeschrieben: „Wir reiten in die Stadt, und der Rest ergibt sich“. Ich habe gelernt, mit Krisen und Veränderungen umzugehen.
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