Wer hinter Österreichs Thinktanks steckt
Geht sich das aus? Sie verfolgen politische Ziele, sind aber gleichzeitig wissenschaftlich tätig: Thinktanks oder Denkfabriken haben in den vergangenen Jahren in Österreichs Wirtschaftspolitik an Relevanz gewonnen. Sie existieren meist in Mischformen: Manche legen einen stärkeren Fokus auf die Meinungsbildung, andere forcieren die Forschung. Im Gegensatz zu reinen Forschungsinstituten mischen sich Thinktanks mit klaren Standpunkten in öffentliche Debatten ein.
Will ein Thinktank in dieser Doppelrolle medial relevant sein, ist die wohl härteste Währung seine Glaubwürdigkeit. Daran gekoppelt ist die Frage, wie er sich finanziert. Denkfabriken beanspruchen Unabhängigkeit für sich, sind aber oft von Geldgebern abhängig, die politische Akteure sind: Parteien, Kammern, Großunternehmer. Es handle sich um ein „Unabhängigkeitsparadoxon“, analysiert Politikwissenschafterin Katarzyna Jezierska von der Universität Göteborg. Wie sieht das in Österreich aus? Da nur zwei Thinktanks konstant über der medialen Wahrnehmungsschwelle liegen, bietet sich ein Vergleich an.
Momentum Institut
Das Momentum Institut wurde 2019 von der Autorin Barbara Blaha gegründet. Blaha trat 2007 aus der SPÖ aus, wird aber immer wieder als rote Personalreserve gehandelt. Das Institut bezeichnet sich als sozialliberaler „Thinktank der Vielen“. Für seine Finanzierung gilt das nicht. Zwar verfügt Momentum laut eigenen Angaben über viele Kleinspender, diese machen laut Jahresbericht 2021 aber nur einen 150.000-Euro-Bruchteil des Jahresbudgets von 1,6 Millionen aus. 1,3 Millionen Euro kamen von Arbeiterkammer und ÖGB, 100.000 Euro von der Millionenerbin Marlene Engelhorn.
Die politischen Vorschläge von Momentum decken sich folgerichtig mit jenen der Gewerkschaften – und meist auch mit jenen der SPÖ. 2022 waren das beispielsweise: mehr Geld für Pensionisten und Arbeitslose, Preisdeckel auf Gas, Mieten oder Grundnahrungsmittel. Ganz allgemein steht die Verteilungsgerechtigkeit im Fokus: Momentum fordert etwa Vermögens- und Erbschaftssteuern.
Die Denkfabrik legt den wissenschaftlichen Fokus auf kürzere Studien, Befragungen und Analysen. Die Strategie geht auf, die mediale Resonanz kann sich sehen lassen. In weniger als vier Jahren hat sich Blahas Projekt als Gegenpart zur wirtschaftsliberalen Agenda Austria etabliert – und damit eine Marktlücke gefüllt. Neben Blaha ist das bekannteste Momentum-Gesicht Chefökonom Oliver Picek, politisch geprägt in der SPÖ Simmering.
Agenda Austria
Die Agenda Austria wurde 2013 von Ökonom und Journalist Franz Schellhorn gegründet. Sie definiert sie sich als „erster von Staat, Parteien, Kammern und Interessensverbänden unabhängiger Thinktank“. Stimmt das?
Jedenfalls lehnt sie politische Akteure als Spender ab. 70 fördernde Mitglieder stemmen laut Agenda-Angaben das Jahresbudget von 1,8 Millionen Euro – und niemand mehr als sieben Prozent. Spender aus dem Bankensektor sind die Raiffeisen oder Erste Bank, aus dem Firmenbereich Rauch oder Palmers. Die Spenderliste wird auf der Agenda-Website ausgewiesen, die genaue Förderhöhe nicht. Der Blick auf die Budgets zeigt: Finanziell herrscht zwischen Momentum und Agenda Waffengleichheit. Der größte Unterschied ist, dass Momentum diese Mittel dank seiner Gewerkschaftsnähe in viel kürzerer Zeit beisammen hatte.
Da auch Banken und Großunternehmer der Agenda Austria spenden, werfen ihr Kritiker vor, in deren Interesse zu forschen. Die Agenda dementiert: „Wir verkaufen keine Studien, niemand kann uns einen Auftrag erteilen, wir müssen uns mit niemandem abstimmen. Inhaltlich sind wir marktwirtschaftlich orientiert und vertreten in der Regel wirtschaftsliberale Positionen“. Die wären? Etwa die Abschaffung der kalten Progression oder weniger Steuern auf den Faktor Arbeit. Ideologische Schnittmengen gibt es also eher mit Neos und ÖVP.
Im Vergleich mit Momentum sind die Agenda-Ökonomen wissenschaftlich umtriebiger, führen größere Studien durch. In Fachzeitschriften publizieren Mitarbeiter beider Thinktanks*. Die Agenda Austria ist laut Kennern derzeit gut aufgestellt – finanziell wie personell. Allerdings könnte ein kaum zu kompensierender Abgang bevorstehen: Direktor Schellhorn ist als neuer Presse-Chefredakteur im Gespräch.
Wie schwer sich die Politik tut, in ihrem Umfeld erfolgreich neue Denkfabriken aufzubauen, musste Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) zur Kenntnis nehmen. Noch als Landeshauptmannstellvertreter in Niederösterreich wurde auf seine Initiative hin das Alois-Mock-Institut als bürgerlicher Thinktank gegründet. Nach heftiger Kritik an Kooperationen mit Novomatic – damit hat sich auch ein U-Ausschuss befasst –, wurde die Einrichtung wieder liquidiert.
*Update, 31. Dezember: Selbstverständlich publizieren auch wissenschaftliche Mitarbeiter des Momentum Instituts in Fachzeitschriften. Das ging aus der Erstversion des Artikels nicht klar genug hervor, weshalb die Passage umformuliert wurde.
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