Welche Reformen das Gesundheitswesen braucht und wo es hapert
Den Spitälern fehlt das Personal, manche Stationen müssen ganz zusperren – und für Kassenstellen am flachen Land finden sich mancherorts keine Ärzte: Zuletzt vermittelte das Gesundheitswesen den Eindruck, dass vieles sehr unrund läuft. Was sind die dahinter liegenden Probleme, woran hapert’s?
Der Föderalismus stößt an Grenzen
Österreich hat nicht eines, sondern neun Gesundheitssysteme, nämlich: In jedem Bundesland eines. Die Länder sind für die Spitäler zuständig. Das hat historisch eine kleinteilige Struktur geschaffen, doch die passt oft nicht zur Mobilität der Patienten – für Therapien nimmt man mittlerweile weite Wege in Kauf, Ländergrenzen zählen kaum.
Nicht ganz zufällig hat Wiens Gesundheitsverbund im Dezember verfügt, dass „Gastpatienten“, also nicht in Wien gemeldete, nur in Notfällen (Herzinfarkt, etc.) behandelt werden. Der Grund: 20 Prozent aller Patienten in Wiens Spitälern sind mittlerweile Gastpatienten, die Warteliste für Knie-OPs beträgt mancherorts schon mehr als 200 Tage. Das ist nicht nur wegen der Wartezeit ein Problem, sondern auch, weil die Länder die stark steigenden Spitalskosten aus dem eigenen Budget stemmen müssen (in Wien wuchsen die Spitalsausgaben binnen vier Jahren um 700 Millionen Euro auf 2,4 Milliarden). Geht’s nach den Ländern, bringen die Finanzausgleichsverhandlungen 2023 eine „Radikalreform“, wie das Geld zwischen Bund und Ländern aufgeteilt wird.
Arzt-Sein ist spannend – aber nicht auf Kasse
Laut OECD kommen in Österreich statistisch gesehen auf 1.000 Einwohner 5,2 Ärzte – das ist in der EU Platz 2 hinter Griechenland. Und: Die Zahl der Ärzte hat sich seit den 1990ern auf mehr als 45.000 verdoppelt, die Bevölkerung aber nicht. Entgegen der landläufigen Meinung gibt es also nicht zu wenige Ärzte, sondern ein Verteilungsproblem. Zu wenige Mediziner entscheiden sich für das Kassensystem, sie werden lieber Wahlarzt. Warum ist das ein Problem? Kassen-Ärzten kann die Versicherung vorschreiben, wie viele Stunden sie ordinieren, Wahlärzten nicht. Österreichs größte Krankenversicherung ÖGK bemüht sich daher, neue Wege zu gehen und sich als Service-Einrichtung zu präsentieren: Gegen Entgelt will die ÖGK Ärzten Ordinationen zum Einmieten anbieten und Verwaltung bzw. die EDV abnehmen – damit das Arbeiten für die Kasse attraktiver wird.
Österreichs Versicherte sind Präventionsmuffel
Obwohl Österreich pro Jahr und Kopf zwischen 5.000 und 6.000 Euro für die Gesundheitsversorgung ausgibt, sind die Ergebnisse mittelprächtig – vor allem, wenn man sie mit Skandinavien oder den Benelux-Staaten vergleicht. Schweden und Dänemark etwa geben de facto gleich viel für die Gesundheit aus, doch der Anteil der über 65-Jährigen mit starken Einschränkungen ist nicht, wie in Österreich, weit über 20, sondern deutlich unter zehn Prozent. Das bedeutet: In Österreich sind die Menschen trotz hoher Ausgaben viel kränker als anderswo.
Was würde helfen? Das Schlüsselwort lautet „Vorsorge“. „Wir müssten in der Schule und am Arbeitsplatz ansetzen“, sagt Alexander Biach, ehemals Vorstandsvorsitzender im Hauptverband der Sozialversicherungsträger und heute Standortanwalt der Wiener Wirtschaftskammer. Bei Jugendlichen helfe die tägliche Bewegungsstunde in der Schule. In Betrieben müsse man Bewegung fördern. „Etwa, indem man Gesundheitscoaches öffentlich finanziert. Oder, indem man monetäre und finanzielle Anreize schafft.“ So könnten Versicherte mit Fitnessuhren oder Gutscheinen zu mehr Vorsorge gebracht werden.
Die Digitalisierung passiert nur schleppend
Österreich hat zwar mit der elektronischen Gesundheitsakte ELGA, der eCard und Projekten wie der eMedikation gute Ansätze, nutzt die vorhandene digitale Infrastruktur und vor allem die existierenden Daten aber zu wenig. Würde Österreich Vorbildern wie Schweden folgen, könnte die bessere Nutzung von Gesundheits- und Spitalsdaten viele positive Effekte gleichzeitig auslösen: Institutionen, die Daten intensiver austauschen und nutzen, behandeln Patienten besser. Laut einschlägigen Studien könnte Österreich die durchschnittliche Dauer eines Spitalsaufenthalts statistisch um 0,7 Tage reduzieren. Die Konsequenz: Es würden personelle und finanzielle Ressourcen frei, die man anders bzw. besser nutzen könnte. Das geschätzte Volumen bis 2025: 1,4 Milliarden Euro.
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