Experten über VfGH-Antrag: "Nicht undelikat" und "sehr bedenklich"

Experten über VfGH-Antrag: "Nicht undelikat" und "sehr bedenklich"
Rechtsexperten Funk und Mayer über das einmalige Vorgehen des Verfassungsgerichtshofs und die Folgen.

Ein durchaus einmaliger Vorgang in der Geschichte der Zweiten Republik spielte sich am Donnerstag ab. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) rief den Bundespräsidenten an, um folgendes Erkenntnis vom 3. März 2021 zu exekutieren: Das Finanzministerium habe sämtliche beantragten Unterlagen an den Ibiza-U-Ausschuss zu liefern.

Wäre das Finanzministerium dem nicht nachgekommen, wäre eine "Zwangsexekution“ möglich gewesen. Präsident Alexander Van der Bellen könnte dann laut Verfassung etwa das Bundesheer als Zwangsorgan ins Finanzministerium schicken. Soweit kam es nicht: Das Finanzministerium lieferte noch am Donnerstag 204 Ordner mit Akten in der Geheimhaltungsstufe 2 an den Ausschuss. Dass der Präsident in diesem Fall gerade das Heer bemüht hätte, erklärte Verfassungsjurist Bernd Christian Funk in der ZiB2 übrigens für unrealistisch: "Es sei denn, das Bundesheer verfügt über besondere EDV-Spezialisten.“ Es gibt ja auch noch andere Zwangsorgane.

"Nicht undelikat"

Und auch wenn das Finanzministerium das bestreitet: Nicht wenige gehen davon aus, dass die Nicht-Lieferung der Akten Teil einer Verzögerungstaktik war. Wohl auch Funk: "Hier muss man sich schon die Frage stellen, ob hier nicht ein taktischer Weg eingeschlagen wurde, (…) um das ganze Verfahren abzuwehren“, sagte er.

Das Vorgehen sei jedenfalls "nicht ganz undelikat“ gewesen. Das Ministerium argumentierte, dass man die Persönlichkeitsrechte der rund 12.000 Mitarbeiter habe wahren müssen und die Zusammenstellung der Daten deshalb Zeit brauchte. "Wenn alle Unterlagen vollständig eingelangt sind, erübrigt sich die Exekution“, meinte Van der Bellen am Donnerstag.

Verfassungsjurist Funk über den Exekutionsantrag

Mayer: "Sehr bedenklich"

Verfassungsexperte Heinz Mayer erachtet die Geschehnisse, wie er im Ö1-Radio sagt, als "sehr bedenklich". Blümels Verhalten komme einer "Geringschätzung des Parlaments" gleich. "Entscheidungen des VfGH sind von Staatsorganen auf Punkt und Beistrich umzusetzen. Wenn das nicht passiert, dann lässt das an der rechtsstaatlichen Gesinnung des Betreffenden sehr zweifeln."

Regierungsmitglieder seien, so Mayer auf Nachfrage im Ö1-Morgenjournal weiter, nicht dazu da, "die Möglichkeiten der Verfassung auszureizen, sondern sie zu befolgen. Und zwar auf Punkt und Beistrich – ohne, dass der Exekutor vor der Türe steht.“

Und die Kanzler-Mails?

Juristisch gesehen sei die Entscheidung des VfGH zwar nicht "überraschend", aber wichtig gewesen, bilanzierte Funk in der ZiB2: „Der Weg ist in der Verfassung klar vorgezeichnet, auch wenn das kein alltägliches Geschehen ist.“ Und: Die Entscheidung sei bedeutend im Hinblick auf noch mögliche, nachfolgende Auseinandersetzungen mit dem Bundeskanzleramt.

An diesem Punkt wird es spannend: Der VfGH entscheidet kommende Woche, wie er mit Daten aus dem Kanzleramt umgeht, die dem U-Ausschuss ebenfalls bereits hätten vorgelegt werden müssen. Wandert auch dieser Fall zum Präsidenten?

Problem: Das Kanzleramt behauptet vehement, dass keine relevanten Akten und Daten aus der Amtszeit von 2017 bis 2019 mehr vorliegen. Deshalb gingen 692 Stellungnahmen von Kanzler-Mitarbeitern an den VfGH, in denen steht, dass bei gründlicher Durchsuchung der eigenen Postfächer keine abstrakt relevanten Daten mehr entdeckt werden konnten.

Reicht das? Eventuell. "Es dürfte die Sachlage nicht ganz genau die gleiche sein“, verglich Funk die beiden Fälle. "Wenn etwas weg ist, ist es eben weg“, so Funk. Dann könne man auch nicht den Zwangsvollstreckungsweg wählen.

Verfassungsexperte Mayer befürchtet indes, dass die Geschehnisse insgesamt, das "Rechtsbewusstsein in der Gesellschaft untergraben könnten und "das ist ein fatales Signal, das da gesendet wird".

Es sei die "Einstellung der türkisen Partei, dass sie über den staatlichen Institutionen steht und von ihnen nicht gängeln lässt". Als Beispiel zitiert Heinz Mayer Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Dieser hatte betreffend rechtlicher Bedenken bei den Corona-Verordnungen 2020 gesagt, es sei nicht die Zeit für "juristische Spitzfindigkeiten".

Und Mayer zitiert Kurz aus 2019, als er nach dem Misstrauensvotum und dem Platzen der ÖVP-FPÖ-Regierung sagte: "Das Parlament hat abgestimmt, aber das Volk wird entscheiden." Das komme einem "lächerlich Machen des Parlaments" gleich, so Mayer.

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