Wahlrechtsexperte: "Jede Lasche zu regeln ist schwierig"

Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer
Der Grazer Wahlrechtsexperte Klaus Poier kritisiert die Regulierungswut der österreichischen Gesetzgeber - die in der Aufhebung der Stichwahl wie in deren Verschiebung mündeten.

Heuer wird Österreich also keinen Präsidenten mehr bekommen. Wie bekannt wurde, ist die Angelobung des Nachfolgers von Heinz Fischer, der im Juli aus dem Amt schied, erst Ende Jänner 2017 geplant. Was können wir aus der Pannenserie lernen? Der Grazer Wahlrechtsexperte Klaus Poier plädiert für ein grundsätzliches Umdenken, was die Regulierungswut des Gesetzgebers angeht, ohne die die Wahl gar nicht erst aufgehoben worden wäre.

Wahlrechtsexperte: "Jede Lasche zu regeln ist schwierig"
Professor Klaus Poier, Uni Graz, honorarfrei!

Kurier.at: Wir haben jetzt die Verschiebung der Wiederholung der Stichwahl – hätten Sie sich vor einem Jahr gedacht, dass so etwas in Österreich möglich ist?

Klaus Poier: Die Wirklichkeit ist vielfältiger als die menschliche Vorstellungskraft. Es ist sehr bedauerlich, aber man muss solche Dinge in einer Form lösen, dass das Vertrauen gewährleistet bleibt.

Ist das so passiert?

Na ja. An der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof hat in meinen Augen kein Weg vorbeigeführt. Dass dann die Druckerei Kuverts liefert, die nicht funktionieren, das ist einfach ein sehr bedauerlicher Zufall. Danach gab es eine kurze Phase der kommunikativen Unsicherheit im Innenministerium, wo man zuerst zu schnell abgewiegelt und gesagt hat, dass man alles im Griff hat. Es hat sich sehr schnell herausgestellt, dass das nicht der Fall war. Zuerst passt alles, dann passt doch nicht alles, das hat manche Menschen verunsichert.

Was ist da schiefgegangen?

Man konnte sich im Innenministerium vermutlich einfach nicht vorstellen, dass das in diesem Ausmaß passiert ist. Nachher ist man immer gescheiter. Irgendwo sieht man da auch, dass wir eine Regelungswut haben, dass wir für alles eine Bestimmung brauchen und ohne Bestimmung nicht weiterwissen.

Der Salzburger Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch hat kritisiert, dass das Wahlrecht in Österreich sehr formalisiert ist, dass versucht wird, jeden möglichen Fall zu regeln – Sie teilen also diese Kritik?

Wir haben Regelungen, wie Wahlkarten aussehen müssen, wie sie beantragt werden, wie sie ausgestellt werden, wie sie zurückgeschickt werden, wie sie ausgezählt werden – und wenn plötzlich der Klebstoff kaputt ist, dann brauchen wir eine Regelung für den Klebstoff. Da müsste es großzügigere Regelungen geben. Es reicht meines Erachtens die Regelung, dass Kuverts zu verwenden sind, die den Anforderungen des geheimen Wahlrechts entsprechen. Wenn Sie jede Lasche regeln, wird es schwierig.

Sind die Wahlgesetze in anderen Ländern mit denen in Österreich vergleichbar?

Ich würde es nicht an den Wahlgesetzen festmachen: Unser Zugang zur Rechtsordnung und Verwaltung ist ein sehr striktes Legalitätsprinzip. Alles, das die Verwaltung macht, muss vom Gesetzgeber in hohem Maße determiniert werden. Das spiegelt eine Grundsorge vor der Verwaltung und ein Grundvertrauen ins Parlament wider. Aber dieses strikte Legalitätsprinzip sollte prinzipiell überdacht werden.

Dem ist ja auch die Aufhebung der Stichwahl zuzuschreiben, die nur aus formalen Gründen erfolgt ist, nicht wegen Manipulationen.

Das ist eine logische Folge. Wir haben mit der Schule des Rechtspositivismus unsere Verfassung bekommen und teilweise dieselben Personen haben die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs vorbestimmt. Insofern wäre es unlogisch gewesen, wenn der VfGH gerade in diesem Fall einen anderen Zugang zur Rechtsordnung findet. Alles andere als diese Entscheidung hätte wie politische Willkür ausgesehen. Aber man könnte das zum Anlass nehmen, eine Grundsatzdiskussion zu führen.

Die Leopoldstadt hat gestern gezeigt, dass eine Wahlwiederholung ein ganz anderes Ergebnis bringen kann – mit einer ganz anderen Wahlbeteiligung. Ist da der Wählerwille noch abgebildet?

Das sind politische Folgen, aber es ist alternativlos. Wenn eine Wahl aufzuheben war, findet sie unter anderen Bedingungen mit einem anderen Wahlkampf statt. Das ist zu akzeptieren. Dass der Wählerwille nicht abgebildet wird, das sehe ich nicht – das ist jetzt der Wählerwille.

Die FPÖ hat immer wieder angedeutet, dass sie die Briefwahl ganz abschaffen will, nun fordert sie zumindest Reformen – ist die Briefwahl reformbedürftig?

Ja. Das Briefwahlsystem braucht eindeutig gewisse Veränderungen. Die Briefwahl wurde zu einem Massenphänomen, das ist auch der internationale Trend. Die Zahlen aus der Schweiz mit achtzig Prozent Briefwahl sind ja bekannt. Ich kann dem also gar nichts abgewinnen, wenn man darüber diskutiert, sie abzuschaffen. Sie hat das Ziel, eine bessere Beteiligung an den Wahlen zu ermöglichen. Aber man wird gewisse Dinge anpassen müssen, damit man diesen höheren Quantitätserfordernissen gerecht werden kann.

Ist E-Voting der nächste Schritt?

Wir hatten in Österreich einen letztlich misslungenen Versuch (bei der ÖH-Wahl 2009, Anm.), in Estland gibt es sogar bei Parlamentswahlen E-Voting. Ich sehe in Österreich aktuell noch nicht den Zeitpunkt, das zu tun, da ist das Misstrauen noch zu groß. Aber irgendwann wird auch das möglicherweise kommen.

Diskutiert wurde in den vergangenen Tagen auch eine Einschränkung des Wahlrechts – für Besachwaltete nämlich.

Das muss man differenziert betrachten: Es gab die Regelung, dass Personen mit Sachwalter nicht wählen dürfen, das wurde vom VfGH aufgehoben mit dem Argument, dass das zu pauschal ist. Man kann jetzt schon darüber nachdenken, ob die Regelung nicht zu pauschal in die andere Richtung ist. Wenn eine Person überhaupt nicht in der Lage ist zu verstehen, worum es geht, dann hat nicht diese Person gewählt, sondern eine andere Person, die für sie ein Kreuzerl gemacht hat. Dann hat diese Person ein zweites Stimmrecht bekommen. Aber eine einfache Lösung, wo und wie diese Grenze zu ziehen ist, habe ich auch nicht.

Glauben Sie, dass die Aufhebung nun eine Kettenreaktion auslösen wird, dass vermehrt Wahlen angefochten werden?

An eine Inflation von Anfechtungen glaube ich nicht. Man sieht schon, dass die Bürgerinnen und Bürger die Nase voll haben und eine Partei wird es sich gut überlegen, ob man sich diesem Risiko stellt, die Wähler zu verärgern.

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