Das grüne Sündenregister: Was zum Absturz führte

Lunacek (l.) und Felipe erklärten am Dienstag ihren Rücktritt.
Felipe tritt zurück, Kogler wird Interims-Chef einer gebeutelten Partei mit fünf Millionen Euro Schulden: Wie konnte es zu diesem Niedergang kommen? Der KURIER hat sich in der Partei umgehört.

Die Frage nach dem Wer wird bei den Grünen zwei Tage nach dem desaströsen 3,8-Prozent-Ergebnis am schnellsten beantwortet: Werner Kogler. Der Steirer, bisher Bundes-Vize, wird übergangsweise Parteichef und damit politischer Masseverwalter der Partei, die nach 31 Jahren aus dem Parlament fliegt. Auch die Wiener Grünen-Chefin Maria Vassilakou kündigte an, jetzt eine "aktive Rolle" in der Bundespolitik einzunehmen. Die bisherige Parteichefin Ingrid Felipe zieht sich nach Tirol zurück: Dort hat die stellvertretende Landeshauptfrau bald eine Landtagswahl zu schlagen. Die gescheiterte Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek will sich eine Auszeit nehmen, bis zur Polit-Pension bleiben ihr noch drei Jahre (mehr dazu hier).

Die Bundespartei sitzt nach dem Wahldesaster auf einem Schuldenberg von fünf Millionen Euro, der mit Unterstützung der Landesparteien abgebaut werden soll. Bis zum Frühjahr 2018 will bzw. muss man sich neu geordnet haben, es stehen vier Landtagswahlen an (mehr dazu hier).

Wie Kogler die Grünen wieder attraktiv machen will, vom Ballast der Nationalratswahl befreien will, ist allerdings komplizierter. Denn das Wie hat viel mit dem Warum zu tun: Der KURIER hat sich in der Partei umgehört, was zum Absturz geführt hat.

Image "nicht mehr sexy, spaßbefreit und saturiert"

Der Absturz sei gekommen, weil man als Partei "nicht mehr sympathisch war", wie Hans Arsenovic sagt, Sprecher der Grünen Wirtschaft. "Wir waren nicht mehr sexy, immer ein bissl zu missionarisch, zu spaßbefreit. Wir müssen den Weg weniger verbittert gehen."

Rolf Holub, Landesrat in Kärnten, sieht das ähnlich. Man habe "den Wählermarkt total fehleingeschätzt", sagt er – "wir haben den Bauch nicht erwischt". Von anderen hört man hinter vorgehaltener Hand noch Deftigeres: Zu saturiert, zu selbstgefällig sei vor allem die Bundesspitze gewesen. Die Grünen seien "wie alle anderen zur Funktionärspartei geworden".

Alarmsignale nach Van-der-Bellen-Sieg ignoriert

Als Anfang des Übels wird oft die Bundespräsidentenwahl genannt. "Wir haben damals viel Kraft und Ressourcen gelassen", sagt Holub. Ressourcen, die im Nationalratswahlkampf gefehlt haben. Im Jänner 2017 wähnten sich die Grünen am Zenit: Ihr Ex-Parteichef Alexander Van der Bellen zieht in der Hofburg ein, man regiert in sechs Ländern mit, im Nationalrat ist man dank des 2013er-Ergebnisses von 12,4 Prozent an Mandaten stärker vertreten denn je. Im Juni rasselten dann die Umfragewerte auf fünf bis sechs Prozent hinunter. "Diese Zeitspanne müssen wir analysieren, da sind viele Fehler passiert", deutet Oberösterreichs Landesrat Rudi Anschober an.

Interne Querelen und Schwund an Parteipromis

Im März wurden die Jungen Grünen nach monatelangen Streits vor die Tür gesetzt, Eva Glawischnig warf im Mai überraschend das Handtuch. Ingrid Felipe und Albert Steinhauser mussten binnen kürzester Zeit als Doppelspitze ihren Platz einnehmen, EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek wurde quasi über Nacht als Spitzenkandidatin rekrutiert. Ende Juni wurde dann Alt-Star Peter Pilz bei der Listenwahl von Jungspund Julian Schmid ausgebootet. Pilz ziehen zu lassen, war "wahrscheinlich nicht der klügste Weg", sagt Lambert Schönleitner, steirischer Landessprecher. Allerdings zeigt die Analyse: Pilz’ Wähler rekrutierten sich nicht allein aus verdrossenen Grünen. Insofern ist auch für ihn der Knackpunkt eher im Van-der-Bellen-Wahlkampf zu suchen: "Wir hätten den offenen, verbreiterten Weg von damals weitergehen sollen."

"Sein oder Nichtsein" auch intern verdrängt

Schon im Juni, als die Umfragen absackten, befürchtete man intern, dass man den Einzug nicht schaffen könnte; allein: Die warnenden Stimmen wurden nicht gehört, nach außen kommuniziert wurde das erst recht nicht. Sogar am Wahltag wurde dieses Szenario gegenüber dem KURIER noch als "böser Medienspin" abgetan.

"Es ist uns nicht gelungen, zu kommunizieren, dass es bei uns um Sein oder Nichtsein geht. Die Mobilisierung ist gescheitert", sagt Rudi Anschober, Landesrat in Oberösterreich. Die Noch-Kanzlerpartei habe geschickt mit der Angst vor Schwarz-Blau gespielt, die Öko-Partei habe es da "zerrieben". Rund 160.000 Grün-Wähler sind laut Analysen zur SPÖ übergelaufen. Anschober glaubt, dass man diese "Leihstimmen" zurückholen kann. "Dafür müssen wir einerseits Reformwillen beweisen und andererseits in den Ländern noch stärker vorzeigen, wie gute grüne Arbeit aussehen kann", sagt das Partei-Urgestein. Damit wären wir wieder beim Wie. Werner Kogler – ebenso Grün-Urgestein – ist für viele jedenfalls eine gute Wahl, schließlich verkörpere er, was vielen Wählern diesmal abgegangen sei: Er stehe nicht für den erhobenen Zeigefinger, für die Sprachpolizei, die die Grünen für viele so unsympathisch gemacht hätten, heißt es in der Partei.

Kogler ist ein guter Redner, und er hat die Nähe zu den Wählern, die Felipe und Lunacek vielleicht am Ende gefehlt haben. Zudem wird ihm zugetraut, die Gräben zwischen der Basis und der Führung wieder zu schließen: In der Parteispitze habe man sich über die letz-ten Jahre lieber mit sich selbst beschäftigt als mit dem, was von unten kam, ist ein Vorwurf, der oft zu hören ist.

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