Wahl-Schwindel? Justiz wartet noch immer auf Belege der FPÖ

Wahl-Schwindel? Justiz wartet noch immer auf Belege der FPÖ
Obwohl die Höchstrichter keine Hinweise auf manipulierte Stimmen gefunden haben, halten die Blauen den Mythos weiter aufrecht.

Am 1. Juli 2016 verkündete Gerhart Holzinger, der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, öffentlich: "Der Verfassungsgerichtshof hält ausdrücklich fest, dass keiner der von ihm einvernommenen Zeugen Anhaltspunkte für tatsächliche Manipulationen wahrgenommen hat."

Ein klarer Befund – nicht aber für die Freiheitlichen. Sie halten am Mythos der Wahlmanipulation weiterhin fest. "Es kann trotzdem sein, dass manipuliert wurde", sagte Ex-Justizminister und FPÖ-Anwalt Dieter Böhmdorfer Donnerstagabend bei einer Veranstaltung in Wien.

Vorwurf neu aufgekocht

Schon am 9. Juli, wenige Tage nach der VfGH-Entscheidung im Stichwahl-Verfahren, hatte der blaue Hofburg-Kandidat Norbert Hofer in einem Radio-Interview erklärt: "Wir haben Fälle in Pflegeheimen, wo ohne Wissen der Betroffenen Wahlkarten bestellt worden sind. Ich nehme an, dass die Anzeigen in den nächsten Tagen eingebracht werden."Damals wie heute behaupten die Freiheitlichen auf Nachfrage, es gebe an die 30 Anzeigen. Böhmdorfer will das auf KURIER-Anfrage aber nicht bestätigen. Zur Frage, ob er Fälle angezeigt habe, die einen Verdacht auf Wahlmanipulation in Heimen betreffen, sagte er nur: "Den Behörden der Strafjustiz sind alle Verdachtsmomente bekannt. Es obliegt ihnen, zu ermitteln oder nicht zu ermitteln."

Dass Böhmdorfer keine Zahl nennt, scheint einen einfachen Grund zu haben. Er dürfte bis dato keine einzige Anzeige eingebracht haben. Eine Sprecherin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sagte zum KURIER: "Die von der FPÖ groß angekündigte Anzeige gibt es bei uns nicht." Es gebe lediglich eine Anzeige, in der es um zwei Verdachtsfälle von Wahlmanipulation in Heimen in der Steiermark gegangen sei. Der Anzeiger war anonym. "Die Anzeige wurde an die Staatsanwaltschaft Graz weitergeleitet", erklärte die WKStA-Sprecherin. Es konnten aber keine Belege für die Beschuldigungen gefunden werden, erfuhr der KURIER bei der Staatsanwaltschaft in Graz.

Verdachtsfälle nicht verifizierbar

Worum ging es in den erwähnten Fällen: Im ersten Fall hieß es, dass für die Bewohner einer Behinderteneinrichtung in der Weststeiermark Wahlkarten bestellt und "nach dem Willen der Pfleger ausgefüllt" worden seien. Da sich keine konkreten Anhaltspunkte ergaben, wurde das Verfahren eingestellt. Im zweiten Fall gab es ähnliche Vorwürfe, die ein Seniorenheim im Bezirk Deutschlandsberg betrafen. "Die Polizei hat ermittelt, uns aber mitgeteilt, dass die Behauptungen nicht verifizierbar waren", sagte ein Sprecher der StA Graz.

Verhasste Briefwahl

Dass die FPÖ den Verdacht auf Wahlmanipulationen mit Wahlkarten aufrechtzuerhalten versucht, ist leicht erklärt. Den Blauen ist die Briefwahl ein Dorn im Auge, sie würden sie gerne abschaffen oder zumindest massiv einschränken – offiziell, weil nicht sichergestellt werden kann, dass der Wähler die Wahlkarte tatsächlich selbst und unbeeinflusst ausfüllt. Der Hintergrund ist freilich ein anderer. Die Freiheitlichen schneiden bei den Briefwahlstimmen stets schlechter ab, als bei jenen, die im Wahllokal abgegeben werden. Das war auch bei der Hofburg-Wahl am 22. Mai so: Im vorläufigen Endergebnis lag Hofer um 144.006 Stimmen vor seinem Konkurrenten Alexander Van der Bellen, nach Auszählung der Briefwahl war Van der Bellen Erster – mit einem Vorsprung von 30.863 Stimmen.

"Beige" muss die Wahlkarte sein, "DIN A4" groß der Stimmzettel und "den Vornamen, den Familiennamen des Wahlwerbers sowie einen Kreis" enthalten. "Vor der Stimmabgabe kommen Personalausweis, Pass, Führerschein, überhaupt alle Lichtbildausweise in Betracht."

Diese und andere, teils mehr als obsolet wirkende Infos sind im Leitfaden für die zweite Stichwahl enthalten. Auf zwei von 49 Seiten ist die Stimmabgabe geregelt.Geht es nach dem Innenministerium, soll nicht wie bisher der Wähler das Wahlkuvert in die Urne werfen, sondern der Wahlleiter. Begründung: So könnten Manipulationen "insbesondere das Einwerfen mehrerer Wahlkuverts, verhindert werden." Gemeindebund-Chef Helmut Mödlhammer sieht das anders.

"Die Gemeinden brauchen keine 49 Seiten, sondern kompakte, praxisnahe Vorschläge." In Abstimmung mit dem Innenministerium sollen diese nun für die verschobene Stichwahl am 4. Dezember kurz und kompakt erstellt werden. "In diesen neuen Informationen soll auch rechtlich geregelt sein, dass jeder Wähler seine Stimme selbst abgibt, also das Wahlkuvert selbst einwirft und nicht der Wahlleiter wie ursprünglich vorgesehen", sagt Mödlhammer auf KURIER-Nachfrage. Er ist zuversichtlich, dass "nach langen Gesprächen mit Innenminister Wolfgang Sobotka die Stimmabgabe genau so rechtlich geregelt" auch bis zum Wahltag in Kraft tritt.

Wann genau der neue, kürzere Leitfaden an die Wahlsprengel ergeht, ist noch offen. Sicher ist, dass das Einwerfen des Stimmkuverts ebenso Thema der Wahlrechtsreform sein wird wie das Auszählen der Stimmen. Die Wahlrechtsreform soll – unabhängig von den sondergesetzlichen Bestimmungen für die Bundespräsidentenwahl – in den nächsten Monaten auf Parlamentsebene diskutiert werden und im Frühjahr in Kraft treten.

Die beharrliche Behauptung von Wahlmanipulationen zielten bisher vor allem auf die missbräuchliche Verwendung von Wahlkarten in Heimen. Belege dafür bleibt die FPÖ bisher schuldig (siehe Bericht oben). Mit der Ansage, dass das Wahlrecht von Besachwalteten grundsätzlich infrage zu stellen sei, löste FPÖ-Europa-Abgeordneter Harald Vilimsky nun eine neue hitzige Debatte aus. Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem sensiblen Thema.

  • Was will die FPÖ?

Vilimsky fordert, dass über richterlichen Entscheid zu klären sei, ob Personen unter Sachwalterschaft ausreichend in der Lage seien, an Wahlen teilzunehmen, "um die Gefahr auszuschließen, dass andere für diese die Wahl ausüben". Aus der FPÖ heißt es dazu: "Leute, die derartig dement sind, dass sie nicht einmal wissen, wie sie heißen, muss man schon fragen, ob sie das Wahlrecht ausüben können." Dies sei aber nicht auf alle der derzeit rund 60.000 Fälle – darunter seien beispielsweise auch Spielsüchtige – anzuwenden.

  • Wie ist die Rechtslage derzeit?

Bis 1988 war es Personen unter Sachwalterschaft tatsächlich nicht erlaubt, wählen zu gehen. Damals hob der VfGH diese Gesetzesbestimmung auf. Verfassungsexperte Theo Öhlinger sieht durchaus Gründe, die für eine Rückkehr zu einer ähnlichen Praxis sprechen. "Wenn man nicht weiß, wer man ist, ist die Entscheidungsfähigkeit sehr beeinträchtigt", sagt Öhlinger, der auch die Möglichkeit des Missbrauchs durch Dritte anführt. Die Thematik hält er dennoch für "heikel".

  • Wäre eine solche Regelung durchführbar?

Öhlinger sieht nur die Möglichkeit einer generellen Regelung, was den Ausschluss aller Personen, die Sachwalter benötigen, bedeuten würde. Aber es gebe auch Personen, denen man die Entscheidungsfähigkeit nicht absprechen kann. "Hier einen Richter dazwischenzuschalten, wäre absurd", sagt Öhlinger. Der Zustand des Betroffenen könne sich ändern, gibt er zu bedenken. "Man müsste das vor jeder Wahl aktualisieren – auch vor einer Wahlwiederholung."

  • Müssen auch Besachwaltete ihre Wahlkarte persönlich beantragen?

Ja. Der VfGH hielt dazu in seiner Entscheidung zur Wahlanfechtung fest, dass es sich bei der Beantragung sowie der eidesstattlichen Erklärung um untrennbare Teile des Wahlvorganges handelt. Um das freie Wahlrecht zu gewährleisten, bedürfen diese nicht der Genehmigung des Sachwalters und haben, wie die Stimmabgabe, "zwingend durch den Wahlberechtigten selbst zu erfolgen". Öhlinger dazu: "Wenn eine Person nicht persönlich zu all dem in der Lage ist, dann kann sie nicht wählen."

(Peter Temel)

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