Vizekanzler Kogler zur Budgetkrise: "Die Welt wird nicht untergehen"
Der grüne Noch-Vizekanzler Werner Kogler über das Budgetdefizit, die Bundesländer als Blockierer, die Reaktion auf eine Hasswelle im Netz und über seine mögliche Nachfolgerin Leonore Gewessler.
Die türkis-grüne Regierungszeit neigt sich dem Ende zu. Werner Kogler, Grünen-Chef und Noch-Vizekanzler, zieht Resümee und gesteht dabei auch Fehler ein.
KURIER: Wie geht es Ihnen?
Werner Kogler: In Wien sagt man: Besser, als der Gegner es sich wünscht.
Wenn man sich die Entwicklung bei den Koalitionsverhandlungen anschaut, dürften Sie froh sein, nicht mit am Tisch zu sitzen.
Froh bin ich nicht. Aber es wird recht schnell gehen, dass wir Grüne bei der einen oder anderen angekündigten großen Reform eine Rolle spielen, wenn es darum geht, eine Zweidrittelmehrheit herzubringen.
Wie schlagen sich die Neos als Kleinpartei in den Verhandlungen?
Beate Meinl-Reisinger hat etwas Gescheites gesagt, und ich hoffe, dass sie nicht der Mut verlässt: dass man bei größeren Veränderungen, die sinnvoll und notwendig sind, die Landeshauptleute involvieren muss, damit man aufgrund der Kompetenzverteilung eine tragfähige Basis hat.
Im Rückblick betrachtet: Waren die Länder die Blockierer?
Ich bin heute etwas großzügiger gelaunt. Wenn ich an die Informationsfreiheit und die Abschaffung des Amtsgeheimnisses denke: Dem sind jahrelang die Länder im Weg gestanden, es waren vielleicht zwei von zehn Kritikpunkten berechtigt. Aber wir haben zu einem Kompromiss gefunden, bei dem alle dabei waren. Das ist bei allen großen Projekten wichtig, weil man ohne breite Basis immer wieder Zurufe aus den Landesparteien hat und die Bundespolitiker unter Druck kommen. Daran ist in der Vergangenheit vieles gescheitert.
Eines der Hauptthemen ist das Budgetdefizit. Sie haben fünf Jahre lang mit der ÖVP regiert. Wie weit fühlen Sie sich mitverantwortlich?
Bei den Lohn- und Einkommenssteuern haben wir sinnvolle Senkungen vorgenommen, und zu denen stehe ich weiterhin: Die kalte Progression wurde abgeschafft, das untere Einkommensdrittel entlastet. Auf der Seite der langfristigen Gegenfinanzierung hat etwas der Druck gefehlt.
Man hat Steuern gesenkt, Geld ausgeschüttet, aber niemand – nicht einmal Sie als studierter Ökonom – hat sich überlegt, wie man wieder Geld hereinbekommt?
Was die Budgetprognosen betrifft, habe ich mich schon gefragt, was da im Finanzministerium los ist. Aber ich sehe ja nicht in jede einzelne Budgetposition hinein. Die wirkliche Differenz ist entstanden, weil die Wachstumsprognosen nicht gehalten haben. Jetzt sollten wir schauen, dass wir künftig sinnvoll sparen, ohne dass Menschen verarmen. Meiner Meinung nach geht das bei den klimaschädlichen Subventionen – Dieselprivileg, Dienstwagenprivileg usw. – und diesen gigantomanischen fossilen Projekten im Autobahnbau.
Und dann haben Sie mit dem Koalitionspartner noch eine Lohnerhöhung für den öffentlichen Dienst ausverhandelt, obwohl die Rechnungshofpräsidentin eine Nulllohnrunde gefordert hatte.
Es geht um Kindergartenpädagoginnen, Lehrer, Pflegekräfte. Wir haben eine Knappheit am Arbeitsmarkt, der öffentliche Dienst steht in Konkurrenz zu den Privaten. Wenn dort alle vier Prozent und mehr als Gehaltserhöhung bekommen, und wir sind auf null, dann wären wir nicht attraktiv als Arbeitgeber. Im Übrigen liegt der Abschluss immer noch unter der Inflation.
Wie schlimm ist das Budgetdesaster wirklich?
Ich bin nicht der Pflichtverteidiger der Koalitionsverhandler und schon gar nicht der ÖVP, aber die Welt wird nicht untergehen. Wir müssen das Budget konsolidieren, ohne die Wirtschaft abzuwürgen. Das ist machbar. Ich halte es für richtig, weiter in Umwelt- und Energietechnologien zu investieren, weil Österreich da die Führung auf den Weltmärkten verteidigen muss und wir dort die besten Chancen haben.
Das Pendel schlägt eher in die andere Richtung. Auf europäischer Ebene wird gerade der Green Deal abgebaut.
Zurückgefahren wird wenig, es wird nur manches nicht umgesetzt werden. Haarig wird es dann, wenn wir anfangen, nicht nur die Umwelt, sondern auch die Wirtschaft zu schwächen und unseren technologischen Vorsprung zu verspielen. Sogar vernunftbegabte Konservative suggerieren den Leuten leider, dass wir noch in 70 Jahren in unseren Dieselkisten sitzen. In China fahren sie uns mit den Elektroautos um die Ohren, dass es nur so scheppert. Dort nennt man unsere europäischen Verbrenner „Oma-Autos“. Da sieht man, welchen Schaden dieses alte Denken, diese Retro-Politik, anrichtet.
Ihnen ergeht es im Bund jetzt so wie in den Ländern: Sie fallen aus der Regierung. Niemand will mehr mit Ihnen arbeiten. Haben sich die Grünen das eine oder andere Mal zu vehement durchgesetzt?
Ich würde bestätigen, dass wir durchsetzungsfähig sind. Für die ÖVP ist es sicher bequemer, mit der FPÖ zu regieren, wo mehr auf blaue Symbolik gesetzt wird.
Wo sehen Sie bei sich Fehler?
Der Klimaschutz steht momentan unter Beschuss. Und die Hasswelle macht auch vor uns nicht halt. Wir dürfen nicht wie die Nackerten über die Blumenwiese laufen, und die anderen schießen mit dem Maschinengewehr hinein. Dagegen hätten wir uns viel früher und viel stärker wehren sollen. Wir gewinnen jetzt genug Klagen gegen jene, die rechts- und faktenwidrige Behauptungen aufstellen.
Sie klagen jene, die Grünen-Bashing betreiben?
Es geht hier nicht um Meinungsverschiedenheiten, sondern um gezielte und schädliche Falschbehauptungen und um bis zur Gewalt ausgetragenen Hass wie in Deutschland. Und wir haben gesehen, wohin das führt: Unser früherer Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein konnte nur noch mit schusssicherer Weste aus dem Ministerium gehen. Gegen solche Entwicklungen wehren wir uns jetzt vehement.
Ein Fehler war, dass die Grünen im Wahlkampf monothematisch waren, es ging nur ums Klimathema. Das sage jetzt nicht ich, das sagen Leute aus Ihrer Partei.
Man muss sich nur anschauen, welche Antworten wir in der Regierung auf die soziale Frage geliefert haben. Wir haben diese vielen Erfolge für die Mindestpensionisten und Alleinerzieherinnen nicht alle auf die Wahlplakate geschrieben und sie vorher zu wenig getrommelt. Und wir haben zugelassen, dass die SPÖ sich allein soziale Politik auf die Fahnen heftet und unzulässig polemisiert.
Ist Leonore Gewessler da die richtige Nachfolgerin an der Spitze? Sie wird ja erst recht wieder mit dem Klimathema assoziiert.
Sie wird vor allem assoziiert mit Durchsetzungsfähigkeit. Auch wenn es der ÖVP manchmal zu viel gewesen sein mag. Sie ist eine von mehreren großartigen Kandidatinnen und Kandidaten.
Bleiben Sie im Nationalrat?
Ja, ich bin auf fünf Jahre gewählt. Außer, mir fällt ein Stein auf den Schädel.
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