Das klingt so, als sei plötzlich die weltweite Anarchie angesagt...
Die Entwicklung, von der ich spreche, hat 2016 mit Trumps erster Amtszeit begonnen und ist ein globales Phänomen. Bis dahin wirkte der Idealismus der Nachkriegszeit nach. Was meine ich damit? Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Staatengemeinschaft unter dem Eindruck der Gräuel des Zweiten Weltkriegs gesagt: Damit so etwas nicht wieder passiert, verlagern wir die Sicherheitsfragen auf eine höhere, übergeordnete Ebene.
Sie meinen die UNO…
Exakt. Die ersten Brüche entstanden als sich die Sowjetunion und China von diesem Prinzip verabschiedet haben. Die einzige Weltmacht, die bis zuletzt zumindest versucht hat, die UNO als funktionierendes System aufrecht zu erhalten, waren die USA. Diese befinden sich aber auf einem Rückzug aus dieser Verantwortung, der noch weiter voranschreiten wird.
Die UNO verliert an Relevanz?
Nicht nur sie. Auch Organisationen wie die OSZE. Praktisch alle sicherheitsproduzierenden Organisationen haben mit diesem Bedeutungsverlust zu kämpfen. Und das bedeutet auch für uns, die Außen- und Sicherheitspolitik neu zu denken.
Was sind denn die großen Herausforderungen, denen sich Österreich stellen muss?
Im Prinzip gibt es zwei große Fragen: Die eine ist der Klimawandel. Hier geht es darum, uns anzupassen und eine entsprechende Leistung hierfür zu erbringen. Überflutungen, längere Hitze- und Trockenphasen, all das findet statt und bedeutet, dass wir gegensteuern müssen. Beispielsweise mit Schutzmaßnahmen wie Dämmen oder einer Anpassung der Landwirtschaft, die höhere Temperaturen verkraftet.
Und die zweite Herausforderung?
Sie besteht in der bereits angesprochenen Auflösung der regulierten Weltordnung. Wir müssen uns als mittelgroßes Land darauf einstellen, dass sich global verschiedene Machtzentren herausbilden, die ums Überleben kämpfen. Die Europäische Union und wir als Mitgliedsland müssen uns auf höheren Konkurrenzdruck einstellen. Und sehr einfach gesagt gibt’s in einer solchen Situation nur zwei Möglichkeiten: Man ist Teil einer größeren Gruppe. Oder man ist selbst so stark, dass man seine Interessen behaupten kann.
Das sind keine rosigen Aussichten…
Ich sage das so deutlich, weil man glauben könnte, wir können einfach nichts tun und die unsteten Zeiten, die wir erleben, durchtauchen. Davor warne ich. Diese Phase, in die wir sicherheitspolitisch eintreten, kann 20, 30 Jahre andauern - und darauf gilt es sich vorzubereiten.
Wie?
Indem wir uns als Gesellschaften in Europa gut aufstellen und für unsere Sicherheit selbst Verantwortung übernehmen. Vereinfacht gesagt haben die USA früher die „Hard Power“ gestellt, also: Amerikanische Soldaten sind in Kriege und Konflikte gegangen und Europa hat im Anschluss am Wieder-Aufbau mitgearbeitet. Im neuen Weltsystem müssen Europa und auch Österreich Sicherheitsleistungen erbringen, weil die USA das so nicht mehr leisten wollen und werden. Das ist für Europa und seine Mitgliedsstaaten ein enormer Wandel, weil die EU als Friedensprojekt gegründet wurde.
Haben Europa und Österreich aus Russlands Angriff auf die Ukraine die richtigen Schlüsse gezogen?
Zum Teil ja. Was die institutionalisierte Politik in Österreich angeht, bin ich positiv gestimmt. Wir haben das Risikobild des Verteidigungsministeriums, das uns sagt, welche Gefahren Österreich drohen. Wir haben eine Sicherheitsstrategie, die gewissermaßen den Plan darstellt, wie wir auf all die Gefahren reagieren. Und wir haben seit vergangenem Jahr das Bundes-Krisensicherheitsgesetz, das uns unter anderem die notwendigen Rahmenbedingungen gibt, um die Umsetzung dieses Plans sicherzustellen. Der Staat tut de facto alles, damit die Staatsbürger gut geschützt sind. Aber noch fehlt die zweite, mindestens ebenso wichtige Seite, nämlich: Die Bevölkerung.
Was meinen Sie?
Die größte Herausforderung, die auf die Österreicher in den nächsten Jahren zukommt, besteht darin, dass die Menschen ihre Widerstandskraft erhöhen – vor allem mental. Die Staatsbürger müssen wissen, was sie an der Demokratie haben, dass Menschenrechte, Medienfreiheit und vieles, was uns heute selbstverständlich erscheint, einen Wert darstellen.
Was konkret kann man hier machen?
Bildung ist eine enorm wichtige Säule. Gute Bildung ist ein wesentlicher Sicherheitsfaktor. Außerdem halte ich es für überlegenswert, einen Resilienz-Dienst einzuführen. Da geht’s nicht um einen dritten Dienst neben dem Zivil- und Wehrdienst, sondern um eine Art Anerkennung, wie es sie in Skandinavien gibt. Dort wird einem Turbinen-Techniker in einem Kraftwerk vom Staat gesagt, wie wichtig sein Job im Krisenfall ist. Menschen verhalten sich in Krisen anders, wenn sie wissen, dass sie gebraucht werden.
In Österreich wird gerade eine Regierung verhandelt. Manche EU-Staaten machen von der zukünftigen Regierungskonstellation ihre Zusammenarbeit bei den Geheimdiensten abhängig. Ist das sicherheitspolitisch ein Problem?
Ich bin Experte und begebe mich nicht auf das Spielfeld der Tagespolitik.
Das heißt, Sie werden nichts über Sky Shield oder die Nachrichtendienste sagen?
Das sind politische Entscheidungen. Klar ist: Österreich wird auch in Zukunft ein verlässlicher Partner bleiben.
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