Vertrauen in das österreichische Gesundheitssystem ist am Tiefpunkt

Vertrauen in das österreichische Gesundheitssystem ist am Tiefpunkt
Schon 70 Prozent glauben, dass sich die Versorgung in die falsche Richtung entwickelt. Jeder zweite Patient sucht bereits einen Wahlarzt auf.

Im Wahlkampf noch stiefmütterlich behandelt, steht das Thema Gesundheit immerhin bei den türkis-roten Sondierungsgesprächen weit oben auf der Prioritätenliste.

Keineswegs zu früh, denn der Frust über die wachsenden Versorgungsengpässe an allen Ecken und Enden wird immer größer.

Das legt auch eine aktuelle österreichweite Befragung unter Patienten im Auftrag der Wiener Ärztinnen- und Ärztekammer nahe. Demnach sind bereits 70 Prozent davon überzeugt, dass sich das heimische Gesundheitssystem in die falsche Richtung bewegt. 2021, also mitten in der Pandemie, waren 52 Prozent der Befragten noch gegenteiliger Meinung (siehe Grafik).

„Wobei die Pandemie sicher nicht der Auslöser, sondern nur der Brandbeschleuniger für diese Entwicklung war“, sagt Meinungsforscher Peter Hajek, der seit 2016 in regelmäßigen Abständen das „Gesundheitsbarometer“ für die Wiener Ärztekammer erstellt.

Aktuell geben die Befragten dem Gesundheitssystem durchschnittlich nur mehr die Schulnote 2,8. Besonders unzufrieden sind laut Hayek Frauen, Personen mittleren Alters sowie solche mit niedrigem Bildungsabschluss.

Wenig überraschend sprechen sich satte 74 Prozent der Befragen dafür aus, dass kurzfristig größere Investitionen in den Gesundheitsbereich erforderlich sind.

Wahlarzt-Besuch

Womit weniger zu rechnen war: Bereits 47 Prozent jener, die im zurückliegenden halben Jahr ärztliche Hilfe in Anspruch genommen haben, waren zu diesem Zweck bei einem Wahlarzt. Tendenziell gehen laut Befragung höher Gebildete und Frauen häufiger zum Wahlarzt.

Zur Erklärung: Wahlärzte haben keinen Kassenvertrag. Die anfallenden Behandlungskosten können zwar bei der Krankenkasse eingereicht werden, wobei aber meist nur ein kleiner Teil rückerstattet wird. Aufgrund der langen Wartezeiten auf Termine bei den Kassenärzten weichen trotzdem immer mehr Menschen auf die Wahlärzte aus.

Ein Großteil (54 Prozent) würde auch weiterhin zum Wahlarzt gehen, selbst wenn die anfallenden Kosten nicht mehr rückerstattet würden.

Vertrauen in das österreichische Gesundheitssystem ist am Tiefpunkt

Naghme Kamaleyan-Schmied, Johannes Steinhart

Daten, die Wasser auf den Mühlen der Ärztekammer sind. Deren Präsident Johannes Steinhart fordert, dass die Angriffe auf die Wahlarzt-Kollegen endlich aufhören. „Sie füllen die Lücken in der Versorgung, die die Politik geschaffen hat“, sagt auch Naghme Kamaleyan-Schmied, Vizepräsidentin der Wiener Ärztekammer.

Forderungen

Sie richtet gleich ein Paket an Forderungen an die neue Bundesregierung. Allen voran österreichweit mindestens 1.000 zusätzliche Kassenstellen, um Warte- und Anfahrtszeiten für Patienten zu verkürzen.

Zuletzt hatte, wie berichtet, ÖGK-Obmann Andreas Huss mindestens eine Milliarde Euro gefordert, um die niedergelassene Versorgung auszubauen. Für Kamaleyan-Schmied würde selbst das nicht genügen: „Diese Summe wäre allein für Wien erforderlich.“

Startbonus

Laut der Standesvertreterin müsse der von der Regierung eingeführte Startbonus für die Gründung neuer Ordinationen (aktuell nur für bestimmte Fächer) für alle offenen Kassenstellen gelten.

Darüber hinaus, so Naghme Kamaleyan-Schmied, müssten die Arbeitsbedingungen für Kassenärzte attraktiviert werden, etwa durch flexiblere Arbeitszeit-Modelle.

In den vor allem von der Regierung forcierten Primärversorgungseinheiten (Ärztezentren und -netzwerke) sieht sie hingegen kein Allheilmittel. „Selbst bei ihrem Vollausbau können sie nur zehn Prozent der Patienten versorgen“, rechnet Kamaleyan-Schmied vor. „Womit sich die Frage stellt: Was ist mit den restlichen 90 Prozent?“

Kommentare