Die Vorteile für ÖVP und SPÖ liegen auf der Hand: Kurz stellt den Kampf gegen Corona auf eine breitere Basis. Er muss die Pandemie bald in den Griff bekommen, denn die Ungeduld steigt und richtet sich zunehmend gegen die Regierung.
Die SPÖ sonnt sich in ihrer unverhofft gestiegenen Bedeutung. Rendi-Wagner kann zeigen, dass sie regierungsfähig ist, und die SPÖ kann demonstrieren, dass es ohne sie nicht geht.
Letzteres ist – im Kampf um die linke Reichshälfte – vor allem ein Schlag gegen die Grünen.
Grüner Höhenflug
Man versetze sich um ein Jahr zurück. Die Grünen erlebten einen nie da gewesenen Höhenflug. Sie verhandelten einen Koalitionsvertrag, der Österreich ökologisch umkrempeln sollte. In dessen Präambel schrieben sie: „Es sind die großen Herausforderungen der Geschichte, die neue Koalitionen schmieden. Dieser Weg hat Österreich erfolgreich gemacht. Die Volkspartei und die Grünen gehen eine neue Etappe dieses österreichischen Weges.“
Die SPÖ betrachtete das als Kampfansage: In den Jahrzehnten seit 1945 war stets die SPÖ die Partnerin der ÖVP auf diesem „österreichischen Weg“ gewesen.
Tatsächlich schien im Frühjahr das Match um die Rolle der linken Volkspartei für die Grünen gewinnbar: In Deutschland haben die Ökos die Sozialdemokraten abgehängt, auch in Österreich war die SPÖ in den Umfragen hinter die Grünen auf Platz 2 gerutscht.
Das Hochgefühl erfasste auch die Wiener Grünen. Birgit Hebein war Teil des engsten Koalitionszirkels auf Bundesebene gewesen, sie verhandelte mit Kurz die Zukunft Österreichs. Die erste Pandemiewelle und deren erfolgreiche Bewältigung hatte die Umfragewerte für Türkis-Grün in die Höhe getrieben. Schon war davon die Rede, eine türkis-grün-pinke Koalition würde in Wien die 100-jährige rote Herrschaft beenden. Gemeinsam mit dem neuen ÖVP-Partner verkündete Hebein, sie würden die Wiener City autofrei machen. Der SPÖ-Bürgermeister las davon in der Zeitung.
Harter Aufschlag am Boden
Der Gegenschlag der SPÖ war hart: Michael Ludwig warf sie aus der Stadtregierung. In den Umfragen hat die SPÖ die Grünen inzwischen deklassiert. Und jetzt steht Ludwig auch noch an der Stelle, wo sonst Werner Kogler gestanden war, neben Kurz im Fernsehen.
Ist Türkis-Grün zerrüttet? Sieht sich Kurz nach neuen Partnern um?
Die Grünen sind gelassen. Sie sagen, es sei von Vorteil, wenn Sozialpartner, Bundesländer und SPÖ mitziehen, denn die Pandemie und deren wirtschaftliche Folgen sei ein Mega-Thema, und um das zu bewältigen, sei es von Vorteil, wenn alle an einem Strang ziehen.
Kogler habe sich in dem virologischen Quartett ohnehin nicht mehr wohlgefühlt, er sei schon vor dem letzten Sonntag lieber gemeinsam mit Gernot Blümel im Kreis von Fachministern aufgetreten.
Koglers USP als Ökonom weg
Tatsächlich streicht Kogler seine Rolle als Ökonom in der Regierung hervor. Die Gesundheitskrise ist das Thema von Rudolf Anschober, aber danach, beim ökologischen Neuaufbau der Wirtschaft, schlage Koglers Stunde. Doch auch hier hat der Vizekanzler Konkurrenz bekommen: Mit Martin Kocher als Arbeitsminister ist Kogler nicht mehr der einzige Volkswirt in der Regierung.
Auch diesen Schlag steckt Kogler pragmatisch weg. In Zukunft will er mit Kocher, einem bekennenden Befürworter von CO2-Bepreisung, im Paarlauf auftreten.
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