Muss der Staatsschutz bei Chat-Nachrichten wegschauen?
Es ist die zentrale sicherheitspolitische Erkenntnis nach der Absage der Taylor-Swift-Konzerte: Ohne Hilfe vom Ausland wäre ein Terroranschlag wahrscheinlich gewesen. Internationale Geheimdienste wurden offenbar durch die Überwachung von Messengerdiensten auf die Pläne des 19-jährigen Islamisten aufmerksam.
Österreichs Ermittler dürfen – mit richterlicher Genehmigung – Briefe öffnen oder Telefonate abhören. Was sie im Gegensatz zu vielen ausländischen Partnern nicht dürfen: Online-Messengerdienste wie WhatsApp, Telegram oder Signal „überwachen“.
Die ÖVP plädiert seit Jahren dafür, das zu erlauben. Innenminister Gerhard Karner und Karl Nehammer (beide ÖVP) haben die Konzert-Absage genutzt, diese Forderung zu wiederholen. Doch eine zeitnahe Umsetzung scheint ausgeschlossen, denn die Grünen sind weiter zurückhaltend. Warum? Wichtige Fragen und Antworten:
Warum ist die Messenger-Überwachung nicht gestattet?
2018 einigte sich die damals türkis-blaue Bundesregierung auf die Einführung einer Spionagesoftware für Mobiltelefone und Computer. Dieser „Bundestrojaner“ hätte ab April 2020 zum Einsatz kommen sollen, doch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) kippte Ende 2019 das Überwachungspaket. Zuvor hatten SPÖ und Neos Beschwerde eingebracht.
Der VfGH argumentierte mit Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention, dass die verdeckte Überwachung einen „schwerwiegenden Eingriff“ in die Privatsphäre darstelle und nur in „äußerst engen Grenzen“ zulässig sei.
Liegt mittlerweile ein verfassungskonformer Gesetzesvorschlag vor?
Aus Sicht des Innenministeriums (BMI) schon. Dieses hat den Grünen im Mai einen überarbeiteten Gesetzesentwurf übermittelt. Demnach sollen der Staatsschutz und Nachrichtendienste die „Nachrichten eines Betroffenen“ dann überwachen dürfen, wenn er einen „verfassungsgefährdenden Angriff“ plant, der zumindest zehn Jahre Freiheitsstrafe nach sich ziehen würde. Allerdings ist dafür eine Ermächtigung durch einen Rechtsschutzbeauftragten im BMI und eine Bewilligung durch das Bundesverwaltungsgericht nötig. Gibt es zum Beispiel keine Ermächtigung, muss der Geheimdienst die Nachrichten wieder löschen.
Wie beurteilen Experten das?
Die Datenschutz-NGO Epicenter.works warnte bereits im April vor „kritischen Sicherheitslücken“, die von kriminellen und staatlichen Akteuren ausgenutzt werden könnten. Eine unabhängige Kontrolle müsse gewahrt sein. Weitere Expertenmeinungen könnte man nach einem Begutachtungsverfahren berücksichtigen, heißt es aus dem BMI. Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts sei in der „Vor-Begutachtung“ aber bereits eingebunden gewesen. „Die Aussagen des VfGH-Erkenntnisses wurden natürlich auch entsprechend berücksichtigt.“
Die „Einhaltung der Gewaltenteilung und des Datenschutzes“ seien zentral, „so wie es im Gesetzesentwurf des Innenministeriums vorgesehen ist“, sagt Terrorexperte Nicolas Stockhammer zum KURIER.
„Wenn ich zum Beispiel die Kommunikation von zwei Islamisten penetriere, die sich gerade über einen unbeteiligten Dritten unterhalten, müssen dessen Rechte auf Datenschutz dringend berücksichtigt werden.“
Warum stimmen die Grünen Karner Gesetz nicht zu – und was sagen die anderen Parteien?
Aus Sicht der Grünen ist der aktuelle Entwurf „rechtlich und technisch“ nicht umsetzbar. Dieser würde erst wieder zur „massenhaften Überwachung der Bevölkerung“ führen. Die Neos halten eine Überwachung von Messengerdiensten grundsätzlich für technisch unmöglich, ohne auf das gesamte System zuzugreifen. SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner lehnt ab, dass „alle privaten Nachrichten der Österreicherinnen und Österreicher überwacht werden“. Und auch die FPÖ ist nunmehr – im Gegensatz zu 2018 – gegen eine „Überwachung“.
Was unsere Dienste dürfen
Jene Befugnisse, die die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) aktuell hat, ohne dass es dafür eine Anordnung vom Gericht benötigt, sind enorm eingeschränkt. So dürfen Rufdaten rückerfasst, aber keine Telefonüberwachung durchgeführt werden. Die Ermittler wissen,
wer mit wem telefoniert, aber nicht was gesprochen wird. Ebenso möglich ist die Befragung Verdächtiger, der Einsatz verdeckter Ermittler, eine Observation und alle Informationsbeschaffungen die durch offene Quellen, sogenannte OSINT (open source intelligence)
Was unsere Dienste bräuchten
Whatsapp, Signal oder Telegram nutzen Verdächtige zur Kommunikation. Bei allen sind der DSN in Bezug auf die Überwachung die Hände gebunden. Darum gibt es den Wunsch, bei sogenannten Hochgefährdern auf diese Apps zugreifen zu können. Gefordert wird auch die Telefonüberwachung ohne vorherigen richterlichen Beschluss
Um die Überwachung der verschlüsselten Nachrichten zu ermöglichen, soll ein spezielles Programm in das Computersystem des Verdächtigen eingespielt werden – in Absprache mit dem Rechtsschutzbeauftragten
Wie genau soll die Überwachung auf technischer Ebene funktionieren?
Das BMI distanziert sich vom Begriff „Bundestrojaner“, auch Stockhammer hält diesen für „falsch“. Der Grund, so der Experte: „Die Überwachung von Messenger-Diensten erfolgt mit den neuen Programmen immer nur punktuell. Die Behörden nutzen dabei Sicherheitslücken in den Messenger-Diensten aus, die seitens der Hersteller – gewollt oder ungewollt – bereits da sind.“ Das Programm zur Spionage komme in der Regel aus dem Ausland, werde „zugekauft und dann adaptiert“: „Es gibt viele Anbieter, wobei jene aus Israel derzeit als die besten gelten.“
Was spricht prinzipiell für die Überwachung von Messenger-Diensten?
Ob bei den Swift-Konzerten oder zuletzt vereitelten Terrorakten bei der Wiener Pride oder am Hauptbahnhof: Die entscheidenden Hinweise kamen jeweils vom Ausland. „Ohne Messenger-Überwachung sind wir permanent abhängig von ausländischen Partnerdiensten. Deshalb haben fast alle europäischen Staaten dieses Werkzeug – selbst Deutschland, mit einem extrem strengen Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe“, sagt Stockhammer.
Sachlich betrachtet sei eine Messengerdienst-Überwachung dringend notwendig und sinnvoll, betont der Experte: „Gerade der Zugriff auf diese Daten ist heute grundlegend, um Terroranschläge zu verhindern. Das sehen auch meine europäischen Kollegen so.“
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