Vieles, was in seinem Leben folgen sollte - die Suche nach Vaterfiguren und auch die bisweilen fehlende Menschenkenntnis - erklärt sich auch aus dem persönlichen Werdegang. So erzählt der spätere FPÖ-Chef, dass er in der Burschenschaft Vandalia nicht nur sieben Mensuren gefochten, sondern "eine Art Ersatzfamilie" gefunden habe. Und: Er wolle nicht verhehlen, "dass sich auch in meinem engeren Umfeld immer wieder Personen mit fragwürdigem Charakter aufhielten".
Das eigentliche Kernstück, die Ibiza-Affäre, ist weitgehend auserzählt. Für Strache handelt es sich nach wie vor um eine politische Falle, die er einfach nicht durchschaut hat. Retrospektiv habe er, Strache, vor allem einen fatalen Fehler gemacht, nämlich: sich "überrumpeln lassen". Er hätte einfach nicht zurücktreten dürfen bzw. müssen, glaubt Strache. Sein Fehler war also mangelnde Standhaftigkeit in der damaligen Regierungskrise - und nicht das, was er im Ibiza-Video gesagt hat.
„Schon bei der Ankunft dachte ich: In so einer bescheidenen Absteige wohnt doch keine Oligarchin!“, schreibt Strache über jenen Abend, an dem er und sein damaliger Parteifreund Johann Gudenus über mehrere Stunden in einer Finca gefilmt worden sind. "Ich spürte, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Die ganze Szenerie wirkte seltsam und inszeniert." Es seien aber "möglicherweise enthemmende Drogen" gewesen, die ihn davon abgebracht haben, sofort aufzustehen und zu gehen.
Der Rest ist jüngere Zeitgeschichte.
Für Strache ist es wichtig zu erwähnen, dass er damals in Ibiza "jede Art von Korruption abgelehnt“ und sich „klar gegen eine Wasserprivatisierung“ ausgesprochen hat. An mehreren Stellen wiederholt er diese Haltung, dieses Anliegen.
Die Schlüsselfigur in der Affäre wie auch in seiner späteren Demontage ist für Strache sein jahrzehntelanger Kompagnon Johann Gudenus.
„Habt’s ihr alles, was ihr brauchts“, soll Gudenus angeblich an einer Stelle des Ibiza-Videos sagen. Gudenus habe ihn einst in die Falle gelockt, meint Strache. Gudenus bestreitet das vehement - auch seine Karriere endete ja mit dem Video recht abrupt.
Warum also sollte Gudenus ihn "gelegt" haben? Das ist "HC" selbst nicht so ganz klar. Er vermutet, dass Gudenus erpresst worden ist, zu dumm war, Geld in Aussicht gestellt bekommen hat - oder dass alle drei Faktoren eine Rolle spielten.
Politischer James Dean
Weitaus spannender als die Darstellung der Ibiza-Nacht sind jene Passagen, in denen Strache über seine eigene Karriere, sein Verhältnis zu Jörg Haider ("politischer James Dean") und die inner-freiheitlichen Befindlichkeiten schreibt. Er erzählt von den großen und kleinen Fouls, die Parteigenossen wie Norbert Hofer, Herbert Kickl und Manfred Haimbuchner an ihm begangen haben sollen. Von Haimbuchner wird die Anekdote überliefert, dass dieser bei einer großen Parteiveranstaltung in Linz einen Parteifreund anwies, Straches Mikrofon "den Stecker zu ziehen, wenn der noch länger redet".
An vielen Stellen dringt unverblümte Enttäuschung durch, wie schnell ihn die Partei und enge Freunde haben fallen lassen. Selbst „Weggefährten“, die „Mensuren gefochten hatten“, seien plötzlich spurlos verschwunden. "Treu- und ehrlos", habe man sich verhalten. Es gibt keinen schlimmeren Vorwurf an Mitglieder einer Gesinnungsgemeinschaft wie der FPÖ.
Gegen Ende des Buches versteigt sich der 52-Jährige in theologische Exkurse. Er wiederholt die These, dass die „christliche Nächstenliebe“ natürlich ihre Grenzen habe und zwar für "die eigene Familie, den Nachbarn, Freunde und Wegbegleiter“, nicht aber für die "Übernächsten" gelte.
Und in seinem Ansinnen, die patriotischen Kräfte in Österreich und Europa zu bündeln, positioniert sich Strache mitten in dieser Pandemie klar gegen alle Maßnahmen, die derzeit im Lockdown gelten: Er lehnt die Masken-, Test- und Impfpflicht ab. Und warnt vor "Chip-Implantaten als ID- und Kreditkarte".
Heinz-Christian Strache, Das Ibiza-Attentat, 302 Seiten, Verlag: TrustNet Medien GmbH, 24,90 Euro.
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