MAN möchte das Werk in Steyr schließen, ein Investor dieses übernehmen. Die Belegschaft will beides nicht. Sie pocht auf die versprochene Standortgarantie und vertraut auf den Wert ihrer Arbeit.
Wenn Thomas Markovic über seinen Arbeitgeber, die MAN spricht, dann ist es ein bisschen so, als würde er über einen guten alten Freund sprechen. Einen Freund, der schon immer da war, dem man etwas versprochen hat und der auch stets umgekehrt sein Wort gehalten hat. Auf den man sich verlassen konnte und – das ist fast das Wichtigste – auf den man ziemlich stolz war.
Jetzt sitzt Thomas Markovic, der seinen echten Namen aus Sorge um seinen Job nicht öffentlich machen will, auf seinem Sofa, rührt in seinem Kaffee und schüttelt immer wieder den Kopf. Sein Freund hat ihn ordentlich enttäuscht.
Der Lkw-Hersteller MAN will das Werk in Steyr schließen. Obwohl es eine Standortgarantie bis 2030 gegeben hatte – betriebsbedingte Kündigungen also bis zum 31. 12. 2030 ausgeschlossen hätten sein sollen. 2.300 Beschäftigte wissen momentan nicht, wie es für sie weitergeht.
Die Entscheidung gegen das Übernahmeangebot von Investor Siegfried Wolf hat die Belegschaft selbst getroffen. In einer Ur-Abstimmung haben sich zwei Drittel der Werksmitarbeiter dagegen ausgesprochen, obwohl Wolfs Angebot zwar Lohneinbußen, aber auch die Rettung zahlreicher Arbeitsplätze bedeutet hätte.
Dass das Ergebnis der Abstimmung so klar ausgefallen ist, hat die Beschäftigten selbst überrascht. Es dauerte nicht lange, da diagnostizierten außenstehende Beobachter, dass da so etwas wie ein „Klassenkampf“ ausbricht, der lange tot geglaubt war. Sie sahen eine neu entfachte Solidarität, einen Ruf nach Gerechtigkeit, der weit über Steyr hinaushallen werde.
Trifft das zu? Oder trägt gerade die lange Geschichte dieser „Arbeiterstadt“ einen gewichtigen Teil zum Votum bei? Anders gefragt: Wie viel Arbeiterstolz liegt in jener Luft, in die seit Jahrhunderten die mächtigen Dampfsäulen der Werke aufsteigen?
„Steyr war immer schon eine Stadt der Handwerker, der Zünfte und der Produktion“, sagt Martin Hagmayr, Historiker im Museum Arbeitswelt in Steyr. Die ansässige Industrie war immer schon Konjunkturschwankungen unterworfen, die Arbeiter hätten gelernt, für ihre Interessen einzutreten. „Sie fühlten sich hier sehr bald als Masse zusammengehörig, da entsteht politischer Mut“, sagt Stephan Rosinger, künstlerischer Leiter des Museums.
3. größte Stadt Oberösterreichs
38.034 Einwohner leben in Steyr, mehr nur in Linz und Wels
42 Prozent
der Wählerstimmen erhielt bei der letzten Gemeinderatswahl in Steyr 2015 die SPÖ. Zweiter wurde die FPÖ mit fast 27 Prozent
102 Jahre alt
wurde am 14. April der SK Vorwärts Steyr. 1926 schloss sich der Verein dem Verband der Arbeiter-Fußballer Österreichs an. Heute spielt er in der Zweiten Liga
Brotstreik
Da war zum Beispiel der Brotstreik von 1916. Damals wird die Lebensmittelversorgung zunehmend schlechter, die Arbeitszeiten hingegen werden immer länger, weil Waffen für den Weltkrieg produziert werden müssen. In Steyr kommt es zu Protesten – vor allem von Frauen. Hagmayr: „Die Frauen mussten arbeiten und die Familie versorgen, während die Männer im Krieg waren.“
Doch die Aufstände sind nicht immer so erfolgreich wie zum Beispiel bei den sogenannten Bierkrawallen, als die Arbeiter so lange gegen die teuren Bierpreise protestierten, bis diese wieder leistbar wurden. Immer wieder entlässt die Werksleitung Aufmüpfige, 1925 erfolgt nach Streitigkeiten über eine Lohnfortzahlung eine „Aussperrung“ der Belegschaft aus dem Werk, Lohnausfälle inklusive.
In der Zwischenkriegszeit ist die Armut auf dem „Arbeiterberg“, einem Hügel, der sich oberhalb des Werkes erhebt, enorm. Leben hing hier immer direkt vom Werk ab.
Bis heute prägt das Symbol der Steyr-Werke, dem Vorgänger der MAN, auf den Hauswänden das Stadtbild. So monumental andernorts die Kirchtürme einer Stadt sind, hier sind es die rauchenden Schlote des Werkes.
Erinnerung konserviert
All das vergangene Auf und Ab habe sich in das kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt, glaubt der Autor Erich Hackl (z. B. „Abschied von Sidonie“, „Auroras Anlass“), ein gebürtiger Steyrer. „Es ist hier nicht verloren gegangen wie in anderen Städten dieser Größenordnung“, sagt er. Das sei gut so. Denn: „Wenn die historische Erinnerung nicht mehr da ist, kann man mit den Leuten alles anstellen.“
Dass das in Steyr eben nicht so leicht möglich sei, zeige die MAN-Abstimmung. Es habe ihn gleichermaßen überrascht wie erfreut, dass die Belegschaft „dieser Erpressung nicht nachgeben will“, sagt Hackl. In den vergangenen
20 Jahren habe er nur wenig von einem Arbeiterselbstbewusstsein gespürt, viel eher habe sich eine Vereinzelung breitgemacht. Das Abstimmungsergebnis zeige nun allerdings das Gegenteil. Hackl: „Ich glaube, es ist ein Signal, dass man zusammenhalten will, dass man einen gewissen Stolz und ein Selbstbewusstsein besitzt.“
Ein Selbstbewusstsein, das durchaus angebracht ist, findet auch MAN-Arbeiter Markovic. Die Arbeiter hätten immer ihren Teil erfüllt, hätten auch in den schwierigsten Zeiten pünktlich geliefert und Überstunden gemacht, damit der Lkw rechtzeitig beim Kunden sein kann. Warum der Konzern umgekehrt seine Versprechen nicht einlösen will, „das versteh’ ich nicht, das versteht niemand an meinem Bandl“, sagt Markovic. Doch unter den Kollegen am Fließband ist auch klar: „Wenn in Steyr nicht mehr lackiert wird, können sie nirgendwo die Lkw fertigmachen. Das ist unser Faustpfand“. Streik sei dennoch das allerletzte Mittel. Ein geeigneterer Sozialplan müsse her, oder viel besser noch: ein neuer Investor.
Nächste Woche soll weiterverhandelt werden. Steyr hat sich darauf schon eingestellt und will zeigen, dass hier alle hinter den Arbeitern stehen, die so lange das Rückgrat der Stadt waren. Vom Museum bis zum Glockenturm haben Bewohner Transparente aufgespannt. Sie fordern: „Solidarität mit den Beschäftigten der MAN.“
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