Der Staat sollte also einen Smartphonehersteller kontaktieren und warnen, statt die Lücken auszunutzen?
Ja. Es konterkariert auch die Bemühungen der EU, die aus diesem Grund eine "Bug Bounty" ausschreibt, ein Belohnungsgeld für jene, die eine Sicherheitslücke bei Open-Source-Software finden. Und die EU-Staaten arbeiten dann dagegen?
Um welche Software handelt es sich eigentlich?
Es gibt verschiedene Anbieter. Pegaus ist eine sehr prominente Software, die von der NSO-Group in Israel von ehemaligen Mitarbeitern des Sicherheitsapparats entwickelt worden ist. Das hat auch eine politische Komponente: Israel kontrolliert, wo das hinverkauft wird. Auch auf anderer Ebene gibt es eine politische Tangente: Ein Ex-Gründer der NSO-Group hat mit Ex-Kanzler Sebastian Kurz eine Firma in Israel gegründet. Eine andere Software ist Predator.
Gibt es auch Konzerne, die solche Spyware für sich einsetzen und damit Industriespionage betreiben?
Man weiß über dieses Gewerbe vieles nicht: Die NSO-Group hat bei einem U-Ausschuss für Staatstrojaner vor dem EU-Parlament aussagen müssen. Der Vertreter der Firma hat dort angegeben, dass man nur an risikoarme Kunden verkaufe und auch darauf achte, dass bei den Staaten, die Pegasus erwerben, die Grund- und Freiheitsrechte gewahrt sind. Zugleich weiß man, dass das an die Vereinigten Arabischen verkauft worden ist, wo man es zum Abhören von Oppositionellen verwendet hat. Auch nach Marokko.
Dass Marokko und die Vereinigten Arabischen Emirate ihre Bürger ausspionieren, mag wenig überraschen, aber auch in Europa gibt es Vorwürfe. Ungarn soll Oppositionelle und Journalisten überwacht haben, ebenso wie Griechenland. Sind wir Europäer also auch nicht über jeden Verdacht erhaben?
Sind wir überhaupt nicht. In Polen gab es ebenfalls solche Fälle und in Spanien wurden Leute, die der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung nahe stehen, gehackt. In Ungarn und Griechenland hat man sich auf die nationale Sicherheit berufen, das kann aber nicht grundsätzlich die Grundrechte aushebeln. Da geht es um Redaktionsgeheimnis oder die Freiheit der politischen Arbeit. Es gibt da einige sehr gut dokumentierte Missbrauchsfälle. Man kann also nicht sagen, dass es ungefährlich ist, wenn Staaten das benutzen.
Der österreichische Staatsschutz DSN argumentiert, dass man früher auf richterliche Anordnung Telefone abhören durfte, heutzutage aber kein Krimineller oder Terrorverdächtiger mehr unverschlüsselt telefoniert. Sinngemäß zusammengefasst: Hier soll eine technologische Lücke geschlossen werden. Sind Telefonüberwachung und Zugriff auf verschlüsselte Handykommunikation für Sie dasselbe?
Nicht ganz, weil der Hack des Handys viel mehr impliziert als eine Telefonüberwachung. Man könnte theoretisch festlegen, nur bestimmte Messenger abzuhören. Allerdings: Die Kommunikation läuft ja auf unterschiedlichen Kanälen. So haben sich Terrorverdächtige etwa in Online-Spielen getroffen, wo sie Botschaften an die Wand gemalt haben. Wenn man es also konsequent zu Ende denkt, braucht man Zugriff auf das gesamte Gerät.
Eine solche Maßnahme ist für Sie also nicht verhältnismäßig?
Der Staat hat so viele Möglichkeiten, die er nicht ausschöpft. Warum sollte er noch mehr Rechte bekommen?
Man könnte argumentieren, dass die Bekämpfung von Verbrechen ein legitimes Ziel des Rechtsstaates ist. Und hier herrscht Ungleichgewicht: Die einen kommunizieren verschlüsselt, die Ermittler stehen vor einer Black Box.
Mag sein. Aber wir verlieren als Gesellschaft sehr viel, wenn wir Nachrichten nicht mehr verschlüsseln können. Hier geht für unbescholtene Bürger jegliche Möglichkeit auf Privatsphäre verloren.
Die EU-Kommission hat sich mit den Spitzeleien von Griechenland und Ungarn beschäftigt. Haben die beiden Mitgliedsländer hier etwas zu befürchten?
Kein EU-Gesetz verbietet den Einsatz von Spyware. Datenschutzverletzungen hingegen sind schon sanktioniert. Hier setzt die Kommission auch an. Allerdings gibt es auch Lücken. Die ungarischen Datenschutzbehörden haben etwa argumentiert, nicht die Spionage am Handy verstoße gegen den Datenschutz, sondern die Veröffentlichungen darüber in den Medien.
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