Haijawi-Pirchner: Die bestehenden Befugnisse müssen an den digitalen Fortschritt der letzten Jahre angepasst und erweitert werden. Als Beispiel möchte ich die klassische Telefonüberwachung anführen, die heute meist nichts mehr bringt, weil die Gefährder im Extremismus und Terrorismus ergänzend dazu Messengerdienste oder andere Apps nutzen, die wir nicht überwachen können. Daher sind wir hier im Vergleich zu sämtlichen anderen europäischen Sicherheitsbehörden sozusagen taub, obwohl die Bedrohungen die gleichen sind.
Sie haben bereits öfters Zugriff auf gewisse Apps gefordert, wie sieht dieser aus?
Uns geht es keinesfalls um eine breitflächige Überwachung, sondern um den anlassbezogenen Zugriff auf die Kommunikation von Hochrisikogefährdern, wie dies beispielsweise im Rechtsextremismus oder islamistischen Extremismus der Fall ist. Die Grund- und Freiheitsrechte sind uns dabei sehr wichtig und wir benötigen gute Kontrolle und einen starken Rechtsschutz. Wenn die Kommunikation klar ist, können die Gefahren besser eingeschätzt und die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden effektiv abgestimmt werden. Auch das schützt Grund- und Freiheitsrechte.
Wollen sie dafür auch Überwachungssoftware einsetzen?
Kommunikation am Mobiltelefon zu überwachen, ist der eine Weg, es gibt dafür auch andere Methoden, um Gespräche mitzubekommen und das ist letzten Endes, was wir brauchen. Es gibt europäische Vergleichsbeispiele demokratischer und liberaler Staaten und wir müssen uns für eine konsequente Terrorismusbekämpfung daran annähern.
Österreich ist offenbar der letzte europäische Staat, in dem es diese Überwachung nicht gibt. Sind wir so rückständig?
Verfassungsschutzbehörden sind immer international vernetzt und wir sehen, dass europäische Sicherheitsbehörden sowohl in der Sicherheitspolizei als auch in der Kriminalpolizei weitaus effektivere Ermittlungsmöglichkeiten haben, als das bei uns der Fall ist.
Wie gefährlich ist der radikale Islamismus in Österreich?
Wir sehen in ganz Europa eine Zunahme des islamistischen Extremismus. Einerseits nutzen junge Menschen sehr stark das Internet zur Radikalisierung, andererseits sind Terrororganisationen wie der Islamische Staat wieder am Vormarsch und rufen zur Begehung von Terroranschlägen in Europa auf. Das nehmen wir sehr ernst und sehen, dass Österreich davon keineswegs verschont bleibt.
Bei dem vereitelten Anschlag auf die Pride in Wien, sind erneut junge Männer als Tatverdächtige ausgeforscht worden. Gilt: Jung, männlich, Terrorist?
Nein, auf keinen Fall. Wir spüren in unserer Gesellschaft generell die Bedeutung von elektronischen Geräten und digitalen Medien. So ist das auch bei jeglicher Form des Extremismus: Soziale Medien werden genutzt, um Hass und Gewalt gegen bestimmte Zielgruppen zu versprühen, Radikalisierungsräume zu schaffen und jungen Menschen Gewalt als Pflicht des Guten zu verkaufen. Wenn die Grundbedingungen da sind, funktioniert das Modell. So gesehen kann ich Ihre Frage verneinen.
➤ Mehr lesen Sie hier: Pride-Anschlag: 14-Jähriger legte Axt unter Bett bereit
Neu ist das Phänomen der Influencer-Preacher. Was macht dieses so gefährlich?
Die Preacher ersetzen den Imam der Moschee, der erklärt, wie radikaler Islamismus sein muss und wie sich beispielsweise Salafisten zu verhalten haben. Hasspredigten werden dann in den Online-Raum verlegt und scharen so eine Vielzahl von Followern aus dem Kinderzimmer um sich.
Gibt es diese Prediger auch hierzulande?
Es gibt diese Prediger mittlerweile zur Genüge im deutschsprachigen Raum, das Internet kennt keine Grenzen.
➤ Mehr lesen Sie hier: Vereitelter Pride-Anschlag: Wenn Influencer den Terror bewerben
Ein Freund des Wien-Attentäters wurde auf freien Fuß gesetzt. Nun erneut der 20-jährige Verdächtige. Wie kann es so etwas geben? Gilt die Regel: Die Polizei schreit Alarm, die Justiz beschwichtigt?
Von Beschwichtigen kann in dem Fall keine Rede sein, es gab aufgrund des Ermittlungsergebnisses der DSN entsprechende Festnahmeanordnungen der Staatsanwaltschaft St. Pölten. Die Entscheidungen basieren auf unseren Ermittlungen und werden von den Justizbehörden getroffen, mit denen wir regelmäßig hervorragend und kooperativ zusammenarbeiten. Die Ermittlungsbefugnisse, über die wir verfügen, sollen ja letztlich der Justiz gute Beweise liefern, um aufgrund der Faktenlage adäquate Entscheidungen treffen zu können. Aus meiner Sicht benötigt es daher sowohl im polizeilichen Bereich als auch in der Strafverfolgung einer Optimierung der Ermittlungsmöglichkeiten.
➤ Mehr lesen Sie hier: Islamisten planten Terror-Anschlag auf Pride Parade: U-Haft verhängt
Sie betonen fast gebetsmühlenartig, dass die Terrorgefahr groß sei und sie mehr Befugnisse benötigen. Muss erst etwas passieren, um ernst genommen zu werden?
Dem Verfassungsschutz obliegt unter anderem die Erforschung und die Abwehr von Gefahren des Terrorismus. Die DSN und die Landesämter für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung führen dabei eine Vielzahl von Amtshandlungen, die in der Regel nicht öffentlich bekannt werden. Die aktuelle terroristische Bedrohungslage im islamistischen Extremismus und Rechtsextremismus ist hoch und sehr komplex und wir benötigen bessere Möglichkeiten in der Ermittlung. Es ist meine und unsere Pflicht, auf diesen Umstand konsequent hinzuweisen.
Wie lautet die Gefährdungseinschätzung für das bevorstehende Donauinselfest? Kann man daran unbekümmert teilnehmen?
Gefährdungseinschätzungen werden meist kurzfristig erstellt, um das Bedrohungsspektrum bestmöglich abschätzen zu können. Es gibt derzeit keine konkrete Bedrohung. Das Ziel von Terrorismus ist es ja auch, Angst und Schrecken zu versetzen und damit unsere verfassungsmäßig gewährleistete Freiheit zu beeinträchtigen. Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, diese Rechte zu schützen und das tun wir 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche.
Kommentare