Wer hat den Pride-Anschlag geplant? Eine Spurensuche
Von außen wirkt die Eingangstür in dem großen Mehrparteienhaus in Wien-Liesing wie alle anderen. Doch hinter ihr soll offenbar ein erst 14-Jähriger einen Anschlag auf die Pride-Parade in Wien geplant habe. Eine Antwort auf das „Warum“ erhält man am Montag nicht.
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Warum hatte der Wiener mit tschetschenischen Wurzeln eine Axt direkt unter seinem Bett versteckt, als die Polizei sein Kinderzimmer stürmte?
Schweigen.
Bis auf Kinderstimmen ist aus dem Inneren der Wohnung nichts zu hören. Vielmehr liegt ein steriler Geruch in der Luft. Dieser lässt auch nicht nach, als ein Nachbar einen Stock tiefer seine Wohnungstür öffnet. "Es schockt mich, dass einer der Verdächtigen hier wohnt. Mit 14 Jahren hatte ich nur Alkohol und Frauen im Kopf", sagt der Mann in kurzer Hose und geblümtem Shirt.
Schmelztiegel
Schauplatzwechsel: Etwa 70 Kilometer entfernt, in der Josefstraße in St. Pölten, geht das Leben unterdessen seinen gewohnten Lauf. Der Stadtteil ist ein „Melting Pot“, also ein Schmelztiegel der Kulturen, das Zusammenleben funktioniert dennoch. "Wir wollen in Frieden leben, schlechte Schlagzeilen schaden uns allen", erzählt eine verschleierte Frau. „Recht hat sie“, ruft eine ältere Dame hinterher.
Neben der Wohnung in Wien schlugen auch in der Josefstraße, nur eine Stunde vor Beginn des Festes der LGBTIQ-Community am Samstag, Spezialkräfte der Cobra zu. Ein 17 und 20 Jahre altes Brüderpaar aus Bosnien, das noch in der elterlichen Wohnung lebte, wurde hier festgenommen.
U-Haft verhängt
Während der 17-jährige bereits polizeibekannte Teenager gemeinsam mit dem 14-Jährigen in Untersuchungshaft sitzt, wurde sein älterer Bruder mittlerweile wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Staatsanwaltschaft St. Pölten hat gegen diese Entscheidung am Dienstag Beschwerde eingelegt.
In der bosnischen Community in der niederösterreichischen Landeshauptstadt sorgt der Polizeieinsatz für viel Gesprächsstoff. „Radikale“, betont Mehmed Fejzic, „haben bei uns keinen Platz.“ Fejzic ist Obmann eines Vereins für Bosniaken in St. Pölten.
270 Mitglieder zählt der Verein, in dem Zentrum gibt es einen Veranstaltungssaal, eine Bibliothek und einen Gebetsraum. Hier soll die bosniakisch-islamische Kultur und Tradition gepflegt werden, heißt es.
Die beiden Verdächtigen kennt der Obmann zwar nicht, mit schwarzen Schafen in der Gemeinschaft hat er aber schon zu tun gehabt. Als im Jahr 2018 sieben Männern wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung der Prozess gemacht wurde, waren unter den Angeklagten auch Bosnier. „Sie haben sofort Hausverbot bekommen“, erinnert er sich. Radikale Islamisten würden die Moschee in St. Pölten auch längst nicht mehr besuchen, versichert Fejzic. „Denen sind wir viel zu wenig streng religiös.“
Wer versucht, in die Gedankenwelt der Verdächtigen einzutauchen, der stößt noch auf eine andere Distanz: Nur 20 Gehminuten von der Wohnung des 14-Jährigen in Wien entfernt liegt die Mescidi Aksa Moschee.
Auch hier distanziert man sich von extremistischem Gedankengut: „Solche Leute sind bei uns nicht willkommen, wir sprechen uns klar für Frieden und gegen jegliche Form von Gewalt aus“, sagt etwa Mustafa Kaymaz, der für Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.
Das Fest
300.000 Menschen feierten am Samstag bei der Pride in Wien die Rechte von LGBTIQ-Menschen. Eine Stunde vor Beginn des Festes kam es in Wien und St. Pölten zur Verhaftung von drei Verdächtigen
Der Vorwurf
Die Brüder aus St. Pölten mit bosnischen Wurzeln (17 und 20) sollen mit einem 14-jährigen Wiener mit tschetschenischen Wurzeln einen Anschlag auf die Parade geplant haben. Der 14- und der 17-Jährige sind in U-Haft
§278b Die Staatsanwaltschaft
Dt. Pölten ermittelt wegen terroristischer Vereinigung (§278b StGB) und krimineller Organisation (§278a StGB)
Den 14-Jährigen kennt Kaymaz nicht. „Ich kann deswegen auch nicht sagen, ob er schon mal hier bei uns in der Moschee gewesen ist.“
Präventionskurse
Radikalisierung finde heute auch eher in sozialen Netzwerken statt, erklärt Kaymaz. Auch das verdächtige Trio soll sich im Internet über sogenannte Influencer Preacher radikalisiert haben. Auf TikTok gelangen sie mit ihrem Gedankengut direkt bis in die Kinderzimmer (siehe Zusatz re.).
Nur die Ermittler, die müssen draußen bleiben. Denn ein Zugriff auf Whatsapp, Spielkonsolen oder Telegram bleibt den heimischen Nachrichtendiensten verwehrt. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) betonte am Montag, dass es „nicht um Massenüberwachung“ gehe: „Da braucht die Polizei die entsprechenden Befugnisse und Kompetenzen dazu.“
Absage von Grünen
Der Regierungspartner reagierte umgehend. „Was die Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen wie die Einführung eines Bundestrojaners betrifft, ist die Grüne Position klar, auch mit Blick auf die Wahrung der Grundrechte: Die Gefahren einer solchen Maßnahme überwiegen ihren Nutzen“, hieß es in einer Stellungnahme.
Doch wie bleibt extremistisches Gedankengut in der Moschee vor der Tür? „Wir haben vor zwei Jahren nach dem Terroranschlag Präventionskurse für Jugendliche angeboten. Angesichts der aktuellen Situation kann ich mir vorstellen, diese im Herbst zu wiederholen“, sagt Kaymaz.
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Denn der Hass ist da. Seit 2020 werden so genannte Hate Crimes in Österreich erhoben. 376 dieser Fälle wurden 2021 wegen sexueller Orientierung erfasst. Die Zahlen aus 2022 sollen demnächst präsentiert werden.
Länger wird es mit den Ergebnissen im Fall des vereitelten Anschlags dauern. Aktuell werden sichergestellte Datenträger ausgewertet. Dann könnte es Antworten auf das Warum geben.
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