Dornauer: "Punkt, an dem wir nicht noch mehr Zuwanderung schaffen, ist erreicht"
Tirols Vize-Landeshauptmann und Flüchtlingsreferent Georg Dornauer warnt, der Zustrom von Wirtschaftsflüchtlingen in der Teuerungskrise berge sozialen Sprengstoff. Man dürfe die Österreicher in der Situation einer multiplen Krise nicht überstrapazieren.
Was Dornauer zu Orban, Nehammer, Rendi-Wagner und Schneekanonen auf Tiroler Schipisten sagt, lesen Sie hier.
KURIER: Herr Dornauer, Sie waren gerade bei einem Treffen der Flüchtlingsreferenten der Bundesländer. Österreich hat die meisten Asylanträge von allen EU-Ländern. Bekommen Sie das Problem bald in den Griff?
Georg Dornauer: Die jetzige Situation, dass an der burgenländischen Grenze täglich bis zu 500 Menschen aufgegriffen werden, muss raschest beendet werden. Ich sage dem Innenminister in aller Deutlichkeit, ich spiele das Spiel „die Letzten beißen die Hunde“ sicher nicht mit, denn das bedeutet, dass die Länder und Gemeinden die Konsequenzen des Versagens der EU und der österreichischen Bundesregierung an den Grenzen zu tragen haben. Die Realität schaut nämlich so aus: Wir dürfen die Solidarität der Österreicherinnen und Österreicher gerade in der jetzigen Phase nicht überstrapazieren. Es ist auch nicht sozial, wenn man jene Menschen, denen man Schutz gewähren sollte, nicht adäquat unterbringt, und jene, die helfen sollten, damit massiv gesellschaftspolitisch überfordert.
Gibt es eine Schwelle, wo man sagen muss, wir schaffen nicht noch mehr Zuwanderung?
Dornauer: Der Punkt ist jetzt erreicht. Wenn wir einen geordneten Zuzug von offenkundig notwendigen Arbeitskräften brauchen, dann steht das auf einem ganz anderen Blatt Papier. Das muss man strikt von der illegalen Einwanderung trennen. Bei aller menschlichen Nachvollziehbarkeit, dass sich Menschen ein besseres Leben wünschen – aber bei offenkundigen Wirtschaftsflüchtlingen müssen wir auf europäischer und nationaler Ebene das klare Signal senden, dass es keinen Sinn macht, sich auf den Weg zu machen. Allein in Tirol müsste ich 2.800 zusätzliche Quartiere bereitstellen. Diese Aufgabe bringt das Land und unsere Gemeinden an die Grenzen des Möglichen.
Da sind die Ukrainerinnen noch nicht dabei, oder?
Sehr richtig. Derzeit sind 3.200 Frauen und Kinder aus der Ukraine in Tirol und weitere 1.820 meist junge Männer aus anderen Ländern. Und trotzdem sollten wir noch weitere 2.800 Plätze bereitstellen.
In Ungarn kam im August ein Asylantrag auf eine Million Einwohner, in Österreich waren es 1.563 Asylanträge pro Million Einwohner. Warum lässt sich Österreich das gefallen? Nach EU-Regeln müsste Ungarn entweder die EU-Außengrenze schützen oder selbst die Flüchtlinge registrieren.
Es ist für mich politisch völlig unverständlich, warum sich Karl Nehammer mit diesen Protagonisten gemein macht. Er hat das Problem nun offenbar erkannt, ist aber auf diplomatischer Ebene völlig unfähig, es zu lösen. Wir sind in einer multiplen Krisensituation, mit dem Krieg in der Ukraine, der anhaltenden Teuerungswelle, der Energiekrise und einer anrollenden zweiten Teuerungswelle im kommenden Jahr. Dazu droht eine handfeste Flüchtlingskrise. Daher braucht es jetzt eine verantwortungsvolle Politik, die das Richtige anspricht und tut.
Sie befürchten sozialen Sprengstoff in der Situation?
Ehrlich gesagt, ja.
Wie wollen Sie Nachbarländer wie Ungarn dazu bringen, dass sie Flüchtlinge nicht mehr durchwinken?
Man wird auf EU-Ebene Sanktionen finden müssen, die sinnstiftend sind, und man soll sich nicht mehr von Orbán & Co auf der Nase herumtanzen lassen. Es geht wohlgemerkt nicht um Ukrainerinnen oder Frauen aus dem Iran, sondern um offenkundige Wirtschaftsflüchtlinge. Dafür braucht man massiven Grenzschutz an den europäischen Außengrenzen.
Wiens Bürgermeister will den Zugang zur Staatsbürgerschaft erleichtern. Was meinen Sie?
Die Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut, mit dem man sorgsam umzugehen hat, was aber nicht bedeutet, dass es nicht in manchen Punkten einer Modernisierung bedarf. Aus Tiroler Sicht ist aber derzeit keine Änderung nötig.
In der SPÖ ist ein Streit darüber ausgebrochen, ob die Partei das Asylthema zu sehr vernachlässige und die FPÖ ihr in der Folge den ersten Platz in den Umfragen wegschnappe. Wie sehen Sie diese Auseinandersetzung?
Fakt ist, die SPÖ hat das Innenministerium zuletzt 1999 geführt. Seither ist die ÖVP zuständig, bis auf das Intermezzo Herbert Kickl, und der hat nachweislich die wenigsten Rückführungen von allen Innenministern zustande gebracht. Aber natürlich hat die Sozialdemokratie sich des Themas anzunehmen. Ich präferiere ganz klar das wirkungsvolle sozialdemokratische Modell von Mette Frederiksen in Dänemark. Aber in Österreich trägt die Verantwortung derzeit nicht die SPÖ, sondern die schwarz-grüne Bundesregierung. Diese wird das Problem nicht lösen, weil der Kanzler offensichtlich den Überblick verloren hat und die Grünen blockieren. Daher wäre es nur recht, wenn Schwarz-Grün bald abtreten würde, damit die SPÖ wieder Verantwortung in der Republik übernehmen kann.
Wird Rendi-Wagner SPÖ-Spitzenkandidatin? Wird es von Ihnen eine Umfrage geben, wie die SPÖ mit einem Spitzenkandidaten Dornauer abschneiden würde?
Ich lasse mich nie von Umfragen leiten. Ich unterstütze Rendi-Wagner voll und ganz bei ihrer Arbeit als Parteichefin, und ich führe sicher keine sinnlose Spitzenkandidatendiskussion. Die Österreicher haben jetzt andere Sorgen und ein Recht darauf, dass wir unsere Aufmerksamkeit uneingeschränkt darauf richten, Probleme zu lösen.
In Tirol startet jetzt die Skisaison. Werden die Schneekanonen in Betrieb sein wie immer?
Unsere Seilbahner und Touristiker wissen, was zu tun ist. Sie setzen alles daran, ihren Beitrag zum Energiesparen zu leisten. Aber eines in aller Deutlichkeit: Die Lebensader Wintertourismus brauchen wir in Tirol, dazu stehe ich, und dazu wird es auch in diesem Winter eine gewisse Pistenbeschneiung geben.
Wie werden die Hotels mit den hohen Energiekosten zurande kommen? Sie können ja nicht die ganze Teuerung an die Kunden weitergeben, sonst wird der Winterurlaub unleistbar.
Wir werden auch hier während der Krise um eine finanzielle Stützung als Energiekostenausgleich für unsere Betriebe nicht herumkommen, wenn wir Arbeitsplätze sichern wollen.
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