Spitäler überlastet: Warum dennoch kein bundesweiter Lockdown geplant ist
Kommt er bald, der bundesweite Lockdown?
Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner kritisierte am Mittwoch zudem, dass es keine "bundesweite Strategie" gebe. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner moniert das seit Wochen.
Und da wären noch weitere Indizien, die für härtere Maßnahmen sprechen: Die Zahl der Neuinfizierten dürfte bis kommenden Mittwoch auf 4.000 Personen pro Tag steigen. Das zeigt eine aktuelle Prognose von AGES, Gesundheit Österreich und weiteren Experten, im Auftrag des Gesundheitsministeriums. Das Dokument liegt dem KURIER vor. Und es beinhaltet eine weitere Hiobsbotschaft: Die Zahl der Intensivpatienten soll bis 14. April noch einmal deutlich steigen. Der Tiroler Intensivmediziner Walter Hasibeder warnt vor einer "harten Triage".
Die Regierung will dennoch auf regionale Maßnahmen setzen. das machten Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Donnerstag nach einer Videokonferenz mit Spitalsvertretern deutlich. Und dieser Schritt hat konkrete Gründe.
Prognose: Konstante Zahlen im Westen
Die Experten des Konsortiums rechnen mit bundesweit 669 Covid-Patienten (Stand Donnerstag: 531). Das entspräche 33,4 Prozent Auslastung der insgesamt 2.003 verfügbaren Intensivbetten für alle Patienten in Österreich – und zwar nur mit Corona-Kranken. Bisheriger Höchstwert: 709 Covid-Intensivpatienten am 25. November 2020.
Die steigende Zahl an Erkrankungen sei auf die dominante britische Virus-Mutante B.1.1.7 zurückzuführen, die bisher in sämtlichen Bundesländern zumindest 70 Prozent aller Fälle ausmacht. Besonders stark von der britischen Mutation betroffen ist mittlerweile die Bundeshauptstadt. Dort weisen bereits 95 Prozent aller Infektionen die B.1.1.7.-Mutation auf.
Mit besonders kräftigen Zuwächsen in der Intensivpflege rechnet das Konsortium in Wien und Niederösterreich. Vor allem in den westlichen Bundesländern kalkuliert man trotz wachsender Infektionszahlen derzeit mit einer konstant bleibenden Belegung der Intensivbetten.
Impfung älterer Menschen entlastet Kapazitäten
Als entscheidenden Faktor für die Auslastung des Intensivbereichs kalkulieren die Experten nämlich auch die Durchimpfungsrate der über 65-Jährigen mit ein. Und hier zeigt sich folgendes Bild: In jenen Bundesländern, wo bereits die meisten Personen dieser Altersgruppe geimpft worden sind, ist der Wert der Covid-Intensivpatienten tendenziell geringer.
Wien hat 26 Prozent der Menschen über 65 geimpft, aktuell sind 45 Prozent der Betten ausgelastet. Tirol hat im Vergleich bereits 46 Prozent geimpft, die Auslastung liegt bei 14 Prozent. Auch in Vorarlberg, Oberösterreich und Kärnten, wo die Impfrate bei älteren Personen klar besser ist, sind die Spitäler nicht so stark betroffen wie der Osten. Statistischer Ausreißer: die Steiermark. Sie hat erst 22 Prozent geimpft, liegt damit am bundesweit letzten Platz und hat dennoch eine vergleichsweise niedrige Auslastung.
Regionale Maßnahmen dürften wirken
In der Prognose heißt es, bei der Durchimpfungsrate im Modell sei "implizit über die Altersstruktur der inzidenten Fälle sowie die gegenwärtigen Hospitalisierungsraten berücksichtigt. Die Prognose des Intensivbelags beinhaltet somit sämtliche durch die Impfung zu erwartende Effekte".
Zum jetzigen Zeitpunkt sei also davon auszugehen, dass der bisherige Weg der Regionalisierung sich als zielgerichtet bestätigt. "Wir werden auch in den kommenden Wochen den Schwerpunkt der Impfungen auf die Gruppe der über 65-jährigen richten und bis Ende April mit einer Entlastung der Situation rechnen", meinte Kurz nach dem Video-Gipfel.
Die Lage wird genau beobachtet und wöchentlich evaluiert. Ob sich andere Bundesländer auf Basis der aktuellen Prognosen zu einem bundesweiten Lockdown überreden lassen, scheint sehr fraglich.
Der nächste Gipfel mit den Landeshauptleuten soll übrigens kommende Woche stattfinden. Ein konkretes Datum gibt es nach KURIER-Anfrage beim Gesundheitsministerium allerdings noch nicht. Frühestmöglicher Termin sei der Dienstag.
Intensivmediziner warnt vor harter Triage
Von einer einhelligen Expertenmeinung kann aber nicht die Rede sein. Intensivmediziner verfolgen diese Entwicklung mit großer Sorge.
Die noch stärkere Belastung der Intensivkapazitäten komme "leider nicht überraschend, ist aber in höchstem Maße besorgniserregend", meinte Walter Hasibeder, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), am Donnerstag. In der täglichen Praxis beobachte man "sehr viel schwerere Verläufe, als dies noch in der sogenannten ersten oder zweiten Welle der Fall war". Der Anteil der schwer kranken Covid-19-Patientinnen und -Patienten, die invasiv beatmet werden müssen, sei "noch höher", hielt Hasibeder auf APA-Anfrage fest.
Dabei liege der Schwerpunkt nicht mehr "bei den alten, vulnerablen Menschen, sondern bei Personen, die mitten im Berufsleben stehen", erläuterte Hasibeder, der als ärztlicher Leiter der Abteilung für Anästhesie und Operativen Intensivmedizin am Krankenhaus St. Vinzenz in Zams vorsteht. Jede weitere zusätzliche Belastung der Intensivstationen durch Covid-19 gehe nun infolge der dadurch entstehenden Versorgungsengpässe "auf Kosten zahlreicher Nicht-Covid-Patientinnen und -Patienten, deren Operationen zum Beispiel verschoben werden müssen", befürchtet Hasibeder.
Der Intensivmediziner zeigte sich besorgt, dass auch andere Bereiche für chronisch kranke Menschen wie Schmerzambulanzen aus Personalmangel nicht offengehalten werden können. "Im schlimmsten Fall steht am Ende einer Überlastung der Kapazitäten die 'harte Triage'", warnte Hasibeder.
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