Sigrid Maurer: "Wir sind eine grüne Familie"
Warum sich die Grünen von Umfragen nicht nervös machen lassen und weshalb der Postenschacher-Vorwurf der ÖVP ein "gescheitertes Ablenkungsmanöver" war, sagt Klubchefin Sigrid Maurer im Interview.
KURIER: Neo-Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein war Teil des grünen Verhandlerteams. Welche Eigenschaften zeichnen ihn aus?
Sigrid Maurer: Er ist ein Macher, empathisch und sozial. Er ist Hausarzt und als solcher nah an den Bedürfnissen und Sorgen der Menschen, gerade in Zeiten der Pandemie. Zudem ist er ein Pionier als Gründer eines Primärversorgungszentrums.
Politisch ist er unbekannt, übernimmt als Arzt die Agenden Soziales, Konsumenten- und Tierschutz. Wäre seine Besetzung nicht Anlass gewesen, das Mega-Ministerium zu splitten oder einen Generalsekretär zu installieren?
Es ist ein großes Ministerium, doch es ist gut aufgestellt. Negative Umstrukturierungen der Vergangenheit, die unter Beate Hartinger-Klein vorgenommen wurden, sind behoben. In den kommenden Monaten wird die Pandemie weiter im Vordergrund stehen, deshalb ist Dr. Mückstein jetzt der richtige Mann. Für eine Splittung gibt es keinen Grund.
Wie und wann wurden Sie in den Rücktritt von Anschober eingebunden?
Wir haben in den letzten Tagen Gespräche geführt. Was ich extrem an ihm schätze, ist seine große politische, aber vor allem auch menschliche Qualität. Er hat immer als Mensch agiert in dieser Pandemie. Das zeichnet ihn aus.
In Anschobers Abschiedsworten war vom Alleinsein die Rede und kein Wort über den Koalitionspartner zu hören. Lässt das Rückschlüsse über das Verhältnis zwischen ihm und Kurz, der ÖVP und den Grünen zu?
Rudi Anschober hat sich bei einer Reihe von Menschen bedankt. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Kanzler war eng, auch wenn es unterschiedliche Ansichten gab, so hat man sich doch immer auf eine gemeinsame Vorgangsweise verständigt. Insofern würde ich dem keine höhere Bedeutung beimessen.
Kennen Sie das Gefühl des Alleinseins als Klubchefin und wann hatten Sie das zum letzten Mal?
Natürlich gibt es solche Situationen in der Politik, vor allem je mehr Verantwortung man trägt, denn zum Schluss muss man alleine entscheiden. Zuletzt hatte ich das Gefühl 2020, als wir pandemiebedingt 96 Verordnungen durchgebracht haben. Rudi Anschober hat von Freundschaft gesprochen und das trifft auf die Grünen zu. Wir haben einen engen Zusammenhalt und sind eine grüne Familie. Wir alle sind geprägt und getragen von einer gemeinsamen Idee, was wir politisch umsetzen wollen. Egal, wen sie fragen: Die zentralen grünen Themen werden immer dieselben sein. Wir haben eine Mission, einen Zusammenhalt und eine Verbundenheit. Die Menschen arbeiten miteinander und nicht gegeneinander.
Stichwort Zusammenhalt: Nach dem Geschrei-Sager und den Chatprotokollen der ÖVP meinen viele, die roten Linien müssten für die Grünen längst überschritten sein.
Es ist vollkommen klar, dass wir für manche Dinge im Parlament keine Mehrheit haben. Dementsprechend äußern wir uns dazu in den von Ihnen genannten Fällen. Wir haben ein Koalitionsprogramm ausverhandelt, das den Rahmen vorgibt, in dem wir agieren. Wir verhandeln täglich mit der ÖVP. Vieles, was wir besprechen, wird gar nie öffentlich. Wir haben eine Aufgabe: Wir haben Verantwortung für die Republik übernommen.
Wenn man sich die Umfragewerte ansieht, kommt der grüne Kurs bei den Wählern nicht an.
Es ist nicht gut, immer auf Umfragewerte zu schielen und sich von kleinen Schwankungen nervös machen zu lassen. Wir sind zum ersten Mal in einer Regierung, haben eine andere Rolle wie als Oppositionspartei und befinden uns in einem Transformationsprozess. Wir können in der Regierung so viel mehr bewegen als in der Opposition – und genau darauf liegt unser Fokus.
Neuwahlen sind also definitiv kein Thema?
Wir haben die Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre verlängert, mit dem Argument, dass sonst die Regierungen zu kurz arbeiten. Wir sind am Arbeiten, wir setzen sehr viel um. Nur weil es manchmal ein bisschen unbequem ist, ob Umfragewerte oder Konflikte mit dem Koalitionspartner: Wir sind nicht in die Regierung gegangen, um es bequem zu haben, sondern um umzusetzen und zu gestalten. Und das tun wir.
Wo sind Sie der ÖVP unbequem?
Wir haben klare Ziele, bei der ÖVP gehen die Ziele teilweise auseinander. Im Klima- und Umweltbereich geht mit Teilen der ÖVP sehr viel weiter, an anderer Stelle wird gebremst. Die ÖVP könnte den Mut haben, Dinge zu tun, die mehr in die Zukunft gerichtet sind wie beispielsweise in Menschenrechtsfragen. Die ÖVP ist, das muss man sagen, kein monolithischer Block, hat sehr viele Bürgermeister, die anders denken als die Bundes-ÖVP.
Wie viel Schwarz steckt in Türkis?
Die Einbindung der Sozialpartnerschaft hat sicher durch die Pandemie wieder an Bedeutung gewonnen. Türkise Teile der ÖVP haben das auch erkannt.
Im August 2020 sagten Sie in einem KURIER-Interview mit ÖVP-Klubchef August Wöginger, dass es zwischendurch auch lustig ist. Ist dem noch so?
Ja. Ich finde, Humor ist etwas ganz Wichtiges, gerade für Politikerinnen und Politiker. Man hat eine hohe Flughöhe, eine große Öffentlichkeit und wird in der Sekunde immer bewertet. Sich die Fähigkeit der Selbstkritik und Selbstironie zu bewahren, das halte ich für enorm wichtig.
ÖVP-Abgeordneter Andreas Hanger hat den Grünen Postenschacher vorgeworfen. Haben die Grünen – wie es Hanger formuliert hat – den Begriff „Green Jobs“ falsch verstanden?
Es ist logisch, dass das ein Ablenkungsmanöver ist. Und es ist gescheitert. Bei den genannten Namen handelt es sich um extrem kompetente Leute. Nur ein Beispiel: Josef Meichenitsch ist in der Irischen Nationalbank in der Bankenaufsicht gewesen, ein gefürchteter Mann quasi, und bestens qualifiziert für den Aufsichtsrat der Abbag. Der Vergleich mit Thomas Schmid ist völlig verfehlt. Wir reden hier nicht von Leuten, die potenziell ihre eigenen Ausschreibungen umgeschrieben haben.
Es gibt auch abseits grüne Besetzungen – in der Asfinag, den ÖBB. Das ist nicht illegitim, die Grünen haben immer gesagt, es muss um die Qualifikation gehen, nicht ums Parteibuch.
Jede Besetzung, die wir gemacht haben, entspricht den geforderten Qualifikationen. Wir haben vor allem kaum Grüne besetzt. Es ist absolut zulässig, dass jemand irgendwann grüne Bezirksrätin war. Leonore Gewessler hat deutlich gezeigt, dass es anders geht. Ich möchte auch darauf verweisen, dass sie die Frauenquote von 37 auf 49 Prozent gehoben hat. Wir hatten kein Problem, Frauen davon zu überzeugen, dass sie diese Jobs machen, wie es offenbar ÖVP-seitig schon der Fall war. Wir zeigen genau mit unserer Politik vor, dass es anders geht.
Sind Sie, wie Werner Kogler, für ein Vier-Augen-Prinzip bei der ÖBAG?
Ich glaube, dass das internationaler Standard ist und der Aufsichtsrat gut beraten wäre, das auch so umzusetzen.
Der Vertrag von ÖBAG-Chef Thomas Schmid wird nicht verlängert – soll er dennoch vor März 2022 gehen?
Wäre ich er, hätte ich das schon längst gemacht.
Viele vermissen die grüne Handschrift in der Koalition. Bekommen wir 2022 eine ökosoziale Steuerreform?
Die grüne Handschrift, Ökologisches und Soziales miteinander zu verbinden, ist keine Zaubertinte, die erst erscheint. Sie ist schon sichtbar – auch im Budget! Wir haben erst heute durch den EU-Wiederaufbaufonds beschlossen, dass wir die Klimaziele deutlich überschreiten wollen und ja, es wird 2022 eine ökologische Steuerreform geben. Erste Schritte, wie die NoVA, sind bereits umgesetzt. Und wir haben die Klimamilliarden im Budget abgesichert, auch das 1-2-3-Ticket kommt.
Die ÖVP hat klare Vorstellungen, wie die Sterbehilfe ausgestaltet sein soll. Die Grüne Haltung ist vage. Ist aktive Sterbehilfe ein Thema?
Aktive Sterbehilfe ist ausgeschlossen. Was der VfGH festgestellt hat, ist, dass es eine Assistenz beim Suizid geben können muss. Jetzt geht es darum, die Rahmenbedingungen zu schaffen. Dieses sensible Thema verlangt Behutsamkeit, deshalb hat die Justizministerin einen Dialog-Prozess gestartet. Unser Ziel ist es, eine gut austarierte Lösung zu finden.
Können Sie dem Vorschlag der ÖVP etwas abgewinnen, dass das Nicht-Tragen der FFP2-Masken im Parlament mit einem Bußgeld geahndet wird?
Wir sind gesprächsbereit. Eine Geschäftsordnungsänderung bräuchte eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Die SPÖ müsste mit an Bord sein. Grundsätzlich muss ich sagen, dass ich ob der Ignoranz der FPÖ in dieser Frage entsetzt bin. Susanne Raab ist schwanger, sitzt im Ausschuss und es sitzen ihr FPÖler gegenüber, die sich weigern, eine Maske zu tragen. Ich finde das unsäglich. Der Ausgangspunkt für diese Diskussion war, dass der Dienststellenausschuss im Parlament zurecht gesagt, dass er sich unwohl fühlt, weil sich Abgeordnete nicht an Regeln halten, nicht Testen gehen, keine Maske tragen. Dass sich da die Kickl-Linie gegen Hofer durchgesetzt hat, das finde ich sehr befremdlich.
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