Sigrid Maurer: "Nehmen die ÖVP-Abtrünnigen gerne bei uns auf"
Sigrid Maurer ist für manche eine Reizfigur. Warum eigentlich?
War es das Mittelfinger-Posting nach dem Rauswurf aus dem Nationalrat 2017, das ihr noch immer übel genommen wird? Dass sie Peter Pilz als "erbärmlichen Sexisten" bezeichnet hat? Ihr Kampf gegen Hass im Netz?
Ihre Gegner wissen es selbst nicht mehr ganz genau. Sie auch nicht - sieht sie sich doch als Sachpolitikerin, die die Aufregung um ihre Person so gar nicht nachvollziehen kann.
Nun wurde ausgerechnet die "Reizfigur" Vize-Klubchefin, und ihre Aufgabe ist es, den Grünen Klub aufzubauen und den bunten Haufen an Quereinsteigern und Nationalrats-Neulingen auf Kurs zu bringen.
Der KURIER traf Sigrid Maurer am Rande der Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag, sprach mit ihr über ihr Image und ihre Sicht auf Türkis-Grün.
KURIER: Frau Maurer, mal ehrlich: Wollen Sie Innenministerin werden?
Sigrid Maurer: Nein, ich habe keine Ambitionen, Innenministerin zu werden, die hatte ich auch nie. Das war eine Hetze der FPÖ – diese Hetze gab es immer, aber zuletzt hat das bizarre Ausmaße angenommen. Höhepunkt war dieses Hassposting des Linzer Vizebürgermeisters (der sie mit einer Fotomontage mit Messerattacken durch Migranten in Verbindung gebracht hat, Anm.).
ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat Sie in einer TV-Diskussion ganz generell als Ministerin ausgeschlossen – warum?
Das müssen Sie ihn fragen. Das war im Wahlkampf, ich sehe das sportlich.
Sie gelten als Reizfigur. Haben Sie eine Ahnung, was die Leute für ein Problem mit Ihnen haben?
Nein. Ich war in meiner politischen Arbeit – sei es in der Hochschülerschaft (ÖH) oder im Parlament – immer Sachpolitikerin. Es ist eine von außen aufgebauschte Diskussion um meine Person, die ich über weite Strecken überhaupt nicht nachvollziehen kann. Ich habe aber auch viel Unterstützung und das zweitbeste grüne Ergebnis bei den Vorzugsstimmen nach Werner Kogler.
Sie sagen "von außen aufgebauscht" – haben Sie intern im Klub den Rückhalt?
Ich bin zur Stellvertreterin und geschäftsführenden Parlamentarierin gewählt worden. Das wäre nicht passiert, wenn ich den Rückhalt nicht hätte.
Den Rückhalt kann man ja in Zahlen ausdrücken. Mit wie viel Prozent der 27 Stimmen im Klub wurden Sie gewählt?
Der Klub wählt in einer vertraulichen Sitzung, das Ergebnis bleibt intern.
Es ist bekannt, dass Werner Kogler zu 100 Prozent als Klubobmann gewählt wurde.
Bei den Stellvertretern gibt es einen anderen Modus, ich halte mich ans Protokoll und gebe keine Zahlen heraus. Ich wurde jedenfalls mit einer sehr, sehr großen Mehrheit gewählt. Ich würde diesen Job nicht machen können ohne den entsprechenden Rückhalt. Und ich werde ihn in der gebotenen Professionalität ausüben.
Wenn Werner Kogler Vizekanzler wird, könnten Sie zur Klubchefin aufsteigen…
Ewa Ernst-Dziedzic und Leonore Gewessler sind ebenso Stellvertreterinnen. Wir sind jetzt in der Aufbau-Phase und die Klubleitung ist nur auf ein halbes Jahr gewählt. Wie die Gespräche mit der ÖVP ausgehen werden, steht noch in den Sternen, allfällige Personalentscheidungen werden dann getroffen.
Was sagen Sie zu Ihrem Gegenüber im ÖVP-Klub, dem geschäftsführenden Klubchef August Wöginger, der meint, es könne nicht sein, dass Kinder aus Wien als Grüne zurückkommen?
Ich kann verstehen, dass Herr Wöginger traurig ist über diese Entwicklung, aber zum Glück geht es auch in den konservativen Familien Österreichs nicht mehr so patriarchal zu, dass die Eltern bestimmen können, wen die Kinder wählen. Wir nehmen die ÖVP-Abtrünnigen jedenfalls gerne bei uns auf.
Bei der konstituierenden Sitzung des Nationalrats gab es zwischen Grün- und ÖVP-Mandataren ja freundliche Begrüßungen, mit ÖVP-Chef Kurz haben Sie sogar geplaudert. Wie ist die Stimmung momentan?
Die Stimmung ist gut, und das ist auch wichtig, aber letztlich geht’s um Inhalte.
Inhalte aus den Sondierungen erfährt man ja nicht - es geht aber viel um Vertrauen. Haben Sie Vertrauen zu den Türkisen?
Ich bin nicht Teil des Sondierungsteams, aber Vertrauen ist die Grundvoraussetzung, und das besteht offenbar auf beiden Seiten.
Es gibt zwei Mentalitäten: Die einen sehen die Grünen eher als Oppositionspartei im Parlament, die anderen wollen lieber mitregieren. Wozu tendieren Sie?
Wir sind angetreten, um Veränderungen herbeizuführen. Wo man das am besten tun kann, ist eine inhaltliche Frage. Ich halte es für problematisch zu sagen: auf jeden Fall regieren; und ebenso: auf keinen Fall regieren. Wir würden uns ja selbst nicht ernst nehmen, wenn wir nicht versuchen würden, unser Programm für Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit umzusetzen. Ob es sich ausgeht, ist eine andere Frage.
Wie hoch darf der Preis für eine Koalition sein?
Das ist eine unbeantwortbare Frage. Klar ist: Das Wesen der Politik ist der Kompromiss. Und der Weg wird je nach Thema mal für die eine Seite, mal für die andere Seite länger sein.
Der Klub ist ein recht bunter Haufen – es gibt viele Neulinge, Quereinsteiger oder Grüne aus der Regionalpolitik. Wie schwierig wird es für Sie als Vize-Klubchefin und als eine der wenigen Parlamentarierinnen mit Erfahrung, die alle auf eine gemeinsame Linie zu bringen?
Da mache ich mir keine Sorgen, im Gegenteil. Die Grünen waren historisch gesehen immer eine Bündnispartei mit engem Kontakt zur Zivilgesellschaft. Es ist ja auch eine tolle Ressource, dass wir so unterschiedliche Perspektiven haben.
Für eine Partei, die so diszipliniert ist wie die ÖVP, dürfte es doch was befremdlich wirken, dass bei den Grünen jeder seinen eigenen Kopf hat. Stichwort Klubzwang - wie halten Sie es damit?
Es gibt bei uns keinen Klubzwang und es hat immer wieder Abstimmungen mit unterschiedlichen Meinungen gegeben.
Eine türkis-grüne Regierung müsste sich dann aber fürchten, dass ihre Vorhaben in den Klubs keine Zustimmung finden.
Ich kann diese Befürchtung überhaupt nicht nachvollziehen. Wir sind seit vielen Jahren in diversen Landesregierungen – wir haben noch nie eine gesprengt, die Zusammenarbeit wurde im Gegenteil sogar mehrmals verlängert. Es lässt sich empirisch belegen, dass die Grünen sehr stabile Partner sind. Sollte es soweit kommen, dann ist Stabilität gewährleistet.
Angenommen, die Koalition einigt sich nicht auf Maßnahmen gegen Kinderarmut, zum Beispiel im Rahmen von Änderungen bei der Mindestsicherung – würde dann der Grüne Klub Initiativen setzen?
Jetzt sind wir mal in Sondierungen, dann vielleicht in Koalitionsverhandlungen. Und je nachdem, wie diese Phase ausgeht, werden wir das natürlich auch im Parlament thematisieren. So weit sind wir noch nicht.
Der Klub hält also die Füße still, bis die Regierung steht?
Das Parlament ist gerade im Aufbau, die Ausschüsse sind noch nicht konstituiert. Es ist noch Zeit.
Die Verhandlungen könnten ja bis Ostern dauern.
Das Parlament wird seine Arbeit aufnehmen. Wir haben auch schon einen Antrag eingebracht, zum nationalen Energie- und Klimaplan. Die Arbeit geht schon los.
Werner Kogler wollte als erstes ein umfassendes Transparenz-Paket vorlegen. Wie schaut es da aus?
Die Neos haben da schon etwas eingebracht, das wird diskutiert, da gibt es sicher gemeinsame Ansätze. Die Themen, die da drinnen stehen, entsprechen unseren jahrelangen Forderungen.
Themenwechsel: "Uni brennt", die Studentenbewegung, jährt sich zum zehnten Mal – was ist davon übriggeblieben, wenn man sich die heutige Hochschul-Landschaft anschaut?
Manches, das die Bewegung als Forderungen aufgestellt hat, war unerreichbar. Ja, „Uni brennt“ hat nicht geschafft, dass die Zugangsbeschränkungen gefallen sind, aber es hat ganz viele kleinere, konkrete Änderungen gegeben. Etwa die Wiedereinführung der freien Wahlfächer, die Curricula sind überarbeitet worden, es gibt eine bessere Ausstattung der Unis und die Studienvertretung wird vermehrt eingebunden. Das ist vielleicht weniger sichtbar, aber die Bewegung war insgesamt schon ein Turning Point.
Sie waren damals ÖH-Vorsitzende. Was haben Sie aus dieser Zeit für Ihre spätere politische Karriere gelernt?
Ich bin damals von Tirol nach Wien gezogen, war plötzlich ÖH-Vorsitzende und habe mich einfinden müssen in Medienarbeit, in Verhandlungen mit Ministern. Das war eine sehr intensive Schule, ich habe bestimmt viel Handwerkliches gelernt.
Haben Sie Ihr Studium mittlerweile abgeschlossen?
Meinen Bachelor habe ich schon länger, und jetzt, im Sommer, hätte ich die Masterarbeit schreiben sollen. Dann ist mir der Wahlkampf dazwischengekommen. Ich möchte sie auf jeden Fall noch schreiben, aber das wird sich in nächster Zeit nicht ausgehen.
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