Nach Vorarlberg: Kommen Kurz und Kogler jetzt in die Gänge?

ÖVP-Chef Kurz und Grünen-Chef Kogler
Mit einer Handvoll Leuchtturmprojekten und viel Pragmatismus hüpft Vorarlberg vor, wie es im Bund gehen könnte

Man stelle sich vor, die Vorarlberger Landtagswahl wäre so ausgegangen, wie es Umfragen im Vorfeld prophezeit hatten: drei Prozentpunkte minus für die Grünen, drei Prozentpunkte plus für die Roten. Die Analysen hätten einhellig gelautet: Die Grünen haben die Rechnung für ihre Juniorpartnerrolle neben einer übermächtigen ÖVP bezahlt, wenn sie sogar an die ramponierten Roten verlieren. Also: Hände weg von Türkis-Grün im Bund!

Es kam aber genau anders: ÖVP und Grüne haben zugelegt, und zwar fast im selben Ausmaß.

Experiment gewagt

ÖVP und Grüne haben in Vorarlberg in den vergangenen fünf Jahren erstmals das Experiment einer gemeinsamen Regierung gewagt, und beide sind in ihrem Kurs bestätigt worden. Dieses Signal aus Vorarlberg ist für die Regierungsbildung auf Bundesebene wichtig. Denn hier stehen ÖVP und Grüne vor derselben Entscheidung wie im Ländle 2014: Sollen sie miteinander eine Regierung wagen? Vor allem bei den Grünen herrscht große Unsicherheit, ob Sebastian Kurz der richtige Partner ist.

Nach Vorarlberg: Kommen Kurz und Kogler jetzt in die Gänge?

Regieren - oder nicht regieren? Diese Frage scheint die Grünen noch zu plagen.

Schock noch frisch

Die Grünen haben bei der Nationalratswahl am 29. September zwar sensationelle 13,9 Prozent erreicht – aber der Schock von 2017, als sie aus dem Parlament geflogen sind, ist noch frisch in Erinnerung. Die Grünen haben bitter erfahren, wie volatil die Wähler sind.

„In die Hosen machen brauchen wir uns nicht“, meinte der Vorarlberger Grünen-Chef Johannes Rauch kürzlich im KURIER-Interview. Die Ländle-Wahl gibt ihm recht: Die Sorge, von einer überdimensionalen ÖVP aufgesaugt zu werden, ist nun gedämpft. Das spricht dafür, das Wagnis im Bund einzugehen.

Grüne Ängste

Die Grünen treibt noch eine zweite Angst um, die Rauch mit dem „in die Hosen machen“ angesprochen hat: Wenn die Grünen bei der Regierungsbildung im Bund zu früh vom Verhandlungstisch aufstehen, könnte man ihnen nachsagen, sie hätten eine Neuauflage von Türkis-Blau verschuldet. Ihr Gang in die Opposition wäre ein gebückter.

Im Umfeld der Sondierungsgespräche mit Sebastian Kurz verhalten sich die Grünen jedenfalls ruhig – sehr ruhig. Das einzige Aufbegehren spüren derzeit Medien, die den linken Wiener Flügel als solchen beschreiben. Die Grünen wollen nicht als Blockierer dastehen, am Ende nicht schuld am Scheitern sein.

Der andere Kurz

In Hintergrundgesprächen trachten derzeit selbst prononcierte Linksgrüne, sich konsensual und offen für eine Kooperation mit der ÖVP zu geben. An Sebastian Kurz werden plötzlich positive Seiten entdeckt: Er sei ja gar nicht so wie als türkis-blauer Kanzler. „Da war er eine FPÖ-Kopie, weil das gerade angesagt war“, meint eine Wiener Grüne zum KURIER. „Früher, als Staatssekretär für Integration, zu Beginn seiner Karriere, war er nie so extrem.“ Diesen Kurz, den wünschen sich viele Grüne jetzt zurück.

Grün-intern hält man eine Koalition auf Bundesebene – allen offensichtlichen Differenzen zum Trotz – für machbar. Voraussetzung: Man folgt dem Vorarlberger Beispiel. ÖVP und Grüne haben dort eine Handvoll Leuchtturmprojekte ausgehandelt, der Rest wurde pragmatisch im Kompromiss gelöst.

Eines werden die Grünen ganz sicher nicht sein, betont der Vorarlberger Rauch: ein klimapolitisches Feigenblatt der Türkisen. Auch im Sozialbereich müsse sich etwas bewegen, „sonst fährt der Wagen gleich gegen die Wand“.

Kein Grund zur Flucht

Für die ÖVP zeigt das Vorarlberger Ergebnis: Sie konnte vom krassen FPÖ-Verlust nicht in dem Ausmaß profitieren, wie es mit einem „ordentlichen Mitte-Rechts-Kurs“ (Kurz) möglich gewesen wäre. Aber ein Wahlergebnis von 44 Prozent ist kein Anlass, vor Schwarz-Grün zurückzuschrecken.

So erging es den Grünen bisher in Regierungen

Wien
Die Grünen regieren seit 2010, in zweiter Periode,  mit der SPÖ. Bei der Wahl 2015 verloren sie 0,8 Punkte auf aktuell 11,8 %.

Salzburg
Die Grünen regieren seit 2013, in zweiter Periode,  mit der ÖVP und einem dritten Partner. Bei der Wahl 2018 stürzten sie um 10,9 Punkte auf 9,3 Prozent ab.

Tirol
Die Grünen regieren seit 2013, in zweiter Periode,  mit der ÖVP. Bei der Wahl 2018 verloren sie 1,9 Punkte auf aktuell 10,7 %.

Oberösterreich, Kärnten
In OÖ regierten die Grünen zwei Perioden (2003 bis 2015) mit der ÖVP. In Kärnten flogen die Grünen nach einer Periode Rot-Schwarz-Grün aus dem Landtag.

LH Wallner (ÖVP) zu seinem Wahlerfolg

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