Selenskij sprach im Parlament: SPÖ blieb Debatte großteils fern

Selenskij sprach im Parlament: SPÖ blieb Debatte großteils fern
Der ukrainische Präsident wurde heute Vormittag per Video in den Nationalrat geschaltet. Die FPÖ wettert schon länger dagegen. Für Aufsehen sorgte die Absenz einiger roter Mandatare.

Als einer der letzten EU-Staaten bot Österreich am Donnerstag dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij die Gelegenheit, vor dem Parlament zu sprechen.

Der Staatschef begann um 9.07 Uhr per Video im Nationalrat seine Rede, die etwa eine Viertelstunde dauerte. Danach gab es eine Debatte.

Die FPÖ lehnte den Auftritt in Hinblick auf Österreichs Neutralität ab und hatte vorab eine Protestaktion angekündigt: Tatsächlich hielten die blauen Abgeordneten Schilder vor ihrem Pult, auf denen "Neutralität" und "Frieden" stand, vor Beginn der Rede Selenskijs verließen sie den Saal.

Selenskij sprach im Parlament: SPÖ blieb Debatte großteils fern

Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka eröffnete die Sitzung und verteidigte die Live-Schaltung: "Die Ukraine verteidigt nicht nur ihr Land und ihre Existenz, sie steht auch für europäische Werte ein." Rund 200 österreichische Unternehmen wären in der Ukraine aktiv und würden dort Unterstützung leisten. Österreich sei ein Freund der Ukraine, so Sobotka. Natürlich werde man auch beim Wiederaufbau helfen. 

Der ukrainische Präsident dankte gleich zu Beginn den Österreichern, speziell den Städten Wien, Linz und Graz, weil dort schwer verletzte Ukrainer medizinische Hilfe bekommen haben:
"Wir wollten niemals etwas haben, was uns nicht gehört, wir wollen Leid und Tode vermeiden. Wir wollen Sicherheit und Ruhe", sagte Selenskij.

Parlamentsauftritt Selenskijs mit Nebengeräuschen 

"Ist das zu viel verlangt?"

In seiner Rede betonte Selenskji, dass es wichtig sei, „moralisch nicht neutral gegenüber dem Bösen zu sein“. Seinem Land gehe es nicht um Geopolitik oder um militärisch-politische Angelegenheiten. „Es geht darum, dass ein Mensch immer ein Mensch bleiben muss.“

Selenskij erklärte, dass es nun der 400. Tag im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sei. Es sei ein „totaler Krieg gegen Menschen“, an dem jeden Tag Menschen ihre Leben verlieren würden. Nicht nur in Kampfhandlungen würden Menschen getötet, sondern auch danach. 174.000 Quadratkilometer, etwa die doppelte Fläche Österreichs, seien durch Minen und nicht-explodierte Geschosse kontaminiert. Hunderttausende Minen, Granaten und Sprengfallen seien von den Russen in Gebäuden und Gärten hinterlassen worden. „Wenn wir uns an Sie wenden, um um Unterstützung zu bitten, bitten wir darum, Menschenleben zu schützen.“ Die Ukraine möchte in Sicherheit, Ruhe und Freiheit leben. Er lud die Abgeordneten ein, in die Ukraine zu reisen und sich selbst ein Bild zu machen. "Ist das zu viel verlangt?"

Nur 18 von 40 Abgeordneten der SPÖ anwesend

Für Irritationen sorgte die mangelnde Anwesenheit der SPÖ-Abgeordneten. Die Neos berichten, dass nur 18 der 40 roten Mandatare bei dieser geschichtsträchtigen Sitzung dabei waren. "Anwesend: Bayr, Becher, Bures, Drobits, Feichtinger, Keck, Krainer, Kucher, Kuntzl, Leichtfried, Lercher, Matznetter, Oberrauner, Oxonitsch, Seemayer, Stöger, Troch, Rainer Wimmer.  Abwesend: Ecker, Einwallner, Erasim, Greiner, Heinisch-Hosek, Herr, Holzleitner, Köchl, Köllner, Kollross, Kucharowits, Laimer, Lindner, Muchitsch, Nussbaum, Rendi-Wagner, Schatz, Silvan, Tanzler, Petra Wimmer, Yildirim, Später gekommen: Schroll", berichtete der Neos-Abgeordnete  Douglas Hoyos.

Selenskij sprach im Parlament: SPÖ blieb Debatte großteils fern

S. E. Wolodymyr Selenskyj (in deutscher Simultanübersetzung): Sehr geehrte Führung Österreichs! Sehr geehrter Herr Präsident! (Anm.: Teil der Begrüßung fehlt zurzeit, da Simultandolmetschung nicht übertragen wurde – wird später ergänzt) Zuallererst möchte ich mich bei drei österreichischen Städten bedanken: Wien, Linz und Graz. Die Krankenhäuser dieser Städte haben unsere Menschen aus Browary, einer Stadt im Gebiet Kiew, gerettet, das Leben dieser Menschen gerettet – Menschen, die nach einem Hubschrauberabsturz Verbrennungen erlitten haben. Es war ein sehr wichtiger Ausdruck der Unterstützung, als Ihr Bundeskanzler, Herr Nehammer, und die österreichische Bundesregierung der Ukraine diese Unterstützung angeboten haben. Wir in der Ukraine wertschätzen jedes Menschenleben, und wir verstehen es, dankbar dafür zu sein, wenn uns geholfen wird.

Heute ist bereits der 400. Tag des Krieges, den unser Land durchmachen muss – eines totalen Krieges Russlands gegen unsere Menschen und gegen all das, was Menschen zu Menschen macht. Jeden Tag – leider – verlieren wir in diesem Krieg unsere Menschen, jene, die im Kampf gegen den Besatzer ihr Leben geben für die Freiheit der Ukraine und die Freiheit aller Völker, deren Gebiete Russland in sein Reich zurückholen möchte, und das Potenzial dieser Völker.

Wir verlieren durch terroristische Beschüsse und Bombardements Menschenleben, sogar in den Gebieten, aus denen die Russen sich unter dem Druck unserer Verteidiger und Verteidigerinnen zurückziehen mussten. Wir verlieren Menschenleben und die Gesundheit unserer Menschen durch Explosionen von Minen und Geschoßen, die von den russischen Terroristen zurückgelassen wurden. Wir verlieren diese Menschenleben auch dadurch, dass wir in diesen Gebieten keine rechtzeitige Krankenversorgung leisten können.

Ich möchte noch einige Beispiele anführen, was das bedeutet und wie viele Gefahren dieser Art es durch diesen Krieg noch gibt: 174 000 Quadratkilometer des ukrainischen Gebiets sind durch Minen kontaminiert. Das sind Geschoße, die nicht explodiert sind. Diese kontaminierten Gebiete sind so groß wie die doppelte Fläche von Österreich. Es sind Hunderttausende Antipersonenminen, Panzerminen, Raketenartilleriegeschoße, die in Feldern, in Gebäuderuinen stecken geblieben sind. Es gibt auch Stolperdrahtsprengfallen, die extra in Gebäuden von gewöhnlichen Menschen zurückgelassen wurden, am Straßenrand, in Gärten, in Parks, in Gemüsegärten.

In Browary im Gebiet Kiew, zum Beispiel, gab es eine Handgranate, die mit einem Plastikbecher getarnt wurde. Eine Unterlaufgranate haben die Russen in einem gewöhnlichen Haus unter einem Klavierdeckel versteckt:  Butscha. Eine Handgranate wurde in einem Küchenschrank in einem Haus zurückgelassen, der Eigentümer dieses Hauses wurde von den Russen erschossen und seine Leiche wurde in seinem Garten vergraben: Das war auch in Butscha. Eine Antipersonenmine wurde in einer ganz normalen Tasche mit persönlichen Sachen versteckt: Irpin. Eine Handgranate wurde in einer Waschmaschine zurückgelassen, sodass sie genau in dem Moment explodiert ist, in dem die Person einfach ihre Waschmaschine aufgemacht hat: Das war in einem ganz gewöhnlichen Dorf im Gebiet Kiew.

Es gibt Tausende solcher Fälle, in denen wir Minen weggeräumt haben, in denen wir Leben retten konnten. Leider gibt es aber jeden Tag Berichte über Explosionen, die Leben gekostet und Menschen verstümmelt haben. Das alles ist Teil des Porträts des heutigen Russlands, welches durch seine Aggression, durch solch einen wahnsinnigen Krieg entsteht.

Wenn wir uns an Sie wenden und um Unterstützung für die Ukraine bitten, bitten wir um Unterstützung, um Leben retten zu können. Wir wollten niemals etwas haben, das uns nicht gehört. Uns haben fremde Gebiete niemals interessiert. Wir möchten uns nicht in das Leben anderer Völker einmischen. Wir möchten nicht, dass irgendwo auf dieser Erde jemand durch unsere Soldaten leiden oder sogar sterben muss. Wir möchten Sicherheit und Ruhe, wir möchten Freiheit und Glück für unsere Kinder in unserem ukrainischen Haus. Wir möchten, dass die internationalen Verträge und Konventionen, durch die die Sicherheit der Völker und die Souveränität der Staaten garantiert werden, funktionieren. Ist das zu viel verlangt?

Im Herbst vergangenen Jahres habe ich eine Friedensformel der Ukraine vorgestellt. Es sind zehn sehr konkrete und realistische Punkte, die es möglich machen, die Macht an das Statut der UNO und andere grundlegende internationale Dokumente zurückzugeben, diese wahnsinnige Aggression zu stoppen und die Ukraine von dem russischen Bösen zu befreien.

Wie aber hat Russland auf diese Friedensformel geantwortet? – Wir haben wieder einmal Lügen, Ausreden und einen Ausdruck des Bösen gesehen.

Ich bin Österreich sehr dankbar dafür, dass Österreich noch mehr Unterstützung angeboten hat. Im vergangenen Jahr haben mehrere Delegationen der österreichischen Regierung und des österreichischen Nationalrates die Ukraine besucht. Es gab produktive Treffen mit Herrn Bundeskanzler Nehammer und mit dem Bundespräsidenten. Ich lade Sie, Herr Präsident des Nationalrates, und andere Vertreter des österreichischen Parlaments ein, unser Land ebenfalls zu besuchen, um mit eigenen Augen zu sehen, was es bedeutet, mit Russland konfrontiert zu sein, was Russland in die Welt trägt, was Russland in die Ukraine trägt.

Das zu sehen bedeutet, unsere Menschen zu verstehen, zu verstehen, wie wichtig jede einzelne Stimme der Unterstützung der Ukraine und des Völkerrechts, wenn entsprechende Fragen in der UNO-Generalversammlung, im EU-Parlament oder auf anderen internationalen Plattformen erörtert werden, ist. Es bedeutet, zu verstehen, wie wichtig es ist, moralisch nicht neutral gegenüber dem Bösen zu sein. Da geht es nicht um Geopolitik: Es geht nicht um Geopolitik, es geht nicht um militärisch-politische Angelegenheiten, es geht darum, dass ein Mensch immer – immer! – ein Mensch bleiben muss, seine Menschlichkeit und Zivilisiertheit immer bewahren muss.

Danke, Österreich, für die humanitäre Hilfe für die Ukraine! Ich bedanke mich insbesondere für Nachbar in Not – das ist uns sehr viel wert. Ich bedanke mich auch für die Unterstützung unserer Energiewirtschaft. Danke für die Unterstützung bei der Räumung der Minen auf unseren Gebieten und bei der ärztlichen Behandlung und Rehabilitation unserer aufgrund der russischen Aggression verletzten Menschen.

Ich warte auf den Augenblick, an dem ich mich bei Österreich für die Unterstützung bei der Wiedergewinnung des Friedens in unserem Land bedanken kann. Ich bin überzeugt, dass die Ukraine in diesem Krieg siegen wird, ich bin überzeugt, dass die ukrainischen Friedensformeln der Welt helfen werden, auch andere, ähnliche Aggressionen abzuwehren. Und ich bin überzeugt, dass wir unsere Menschlichkeit, unsere Zivilisiertheit, unsere Moral und unseren Glauben daran, dass das Böse immer verlieren wird, bewahren werden.

Ich bedanke mich bei allen, die den Ukrainern helfen. Danke an jeden, der an die denkt, deren Leben der Krieg weggenommen hat! Danke, Österreich! Ehre der Ukraine! (Beifall.)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka|: Ich danke Herrn Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ganz herzlich für seine Ausführungen.

Parteichefin Rendi-Wagner, die derzeit um ihr politisches Überleben als Parteichefin kämpft, ist außenpolitische Sprecherin des roten Klubs. Auf KURIER-Nachfrage hieß es seitens ihrer Sprecherin, dass sie derzeit krank sei. 

 

Es war heute das zweite Mal, das sich Wolodymyr Selenskij an Österreich wendet. Ende Juni hatte Selenskij im Rahmen des 4Gamechangers-Festivals in der Wiener Marx Halle in einer Live-Schaltung zu österreichischem Publikum gesprochen.

Dabei dankte er jenen, "die verstehen, wer an diesem Krieg schuld ist". Er verteidigte Sanktionen gegen Russland und warnte vor einem "Migrationstsunami" aus Afrika.

FPÖ: "Taschenspielertrick"

Offiziell fand Selenskijs Statement nicht im Rahmen der Nationalratssitzung, sondern bei einer "parlamentarischen Veranstaltung" im Vorfeld der Plenarsitzung statt.

Danach meldeten sich die Klubs zu Wort. Im Vorfeld betonte Nationalratspräsident Sobotka, dass er kein "Störfeuer der FPÖ" erwarte. Er werde "Verbalangriffe" nicht akzeptieren, so Sobotka.

Selenskij sprach im Parlament: SPÖ blieb Debatte großteils fern

Von der Regierung waren Vizekanzler Kogler, Justizministerin Zadic, Außenminister Schallenberg, Gesundheitsminister Rauch, Arbeitsminister Kocher und Staatssekretär Tursky anwesend. Kanzler Nehammer ist auf einer Auslandsreise. Von der Galerie aus verfolgten unter anderen Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der ukrainische Botschafter Wassyl Chymynez und der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Oskar Deutsch die Rede.

Vor dem Parlament demonstrierten dagegen an die hundert Friedensaktivisten, Vertreter der Kulturszene und linken Gruppierungen gegen die Rede Selenskyjs. Aktivist Stefan Krizmanich etwa sprach von einer „Schande für die Republik“, dass ein Präsident, der offen mit Ultranationalisten kooperiere, die Opposition ausschalte und Schwarze Listen dulde, das Wort im Parlament ergreifen durfte.

FPÖ-Chef Herbert Kickl sprach von einem "Taschenspielertrick". Er kritisierte, dass dem "Präsidenten einer kriegsführenden Nation" der Sitzungssaal des Nationalrats zur Verfügung gestellt werde und kündigte Protest an.

Die FPÖ werde keine Beitragstäterschaft zu diesem "Anschlag auf Österreichs Neutralität leisten".

Die FPÖ hat traditionell gute Beziehungen zu Russland, 2016 hatten die Freiheitlichen einen Freundschaftsvertrag mit der Kreml-Partei Einiges Russland abgeschlossen. Kickl wollte diesen 2021 nicht mehr verlängern.

Obwohl dafür eigentlich eine Kündigungsfrist versäumt wurde, bestätigte der Einiges Russland-Funktionär Andrej Klimow auf APA-Anfrage, dass der Kooperationsvertrag trotz der versäumten Frist keine Gültigkeit mehr habe.

Selenskij ist nach Kriegsbeginn in den Parlamenten von fast allen 27 EU-Ländern zu Wort gekommen. Nicht der Fall war dies bisher in Bulgarien, das in einer Dauerkrise steckt und am Sonntag zum fünften Mal innerhalb von zwei Jahren Parlamentswahlen abhält.

In Sofia verhinderten pro-russische Parteien einen entsprechenden Vorstoß mit dem Argument, dass das bulgarische Parlament erst einmal eine Regierung wählen sollte. Auch im als Russland-freundlich geltenden Ungarn ist Selenskyj nicht ins Parlament eingeladen worden.

In Österreich war die NEOS-Initiative vom März des Vorjahres, Selenskij zu einer Videoansprache einzuladen, am Widerstand der FPÖ gescheitert.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) war zwar bereit, Selenskij in den Nationalrat einzuladen. Bedingung sei allerdings ein Einvernehmen unter den Fraktionen, wie er der APA sagte. Die SPÖ hatte sich nach ursprünglichem Zögern später nicht dagegen ausgesprochen.

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