Selenskij: Polarisierung im Parlament

Selenskij-Auftritt im norwegischen Parlament im März 2022
Diesmal wählte er Social Media als Plattform: Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine seien Hunderte religiöse Gebäude – Kirchen, Moscheen, Synagogen – zerstört worden, beklagte Wolodimir Selenskij und warb auf Englisch um Spenden zum Wiederaufbau.
Eine „Nebenfront“ im täglichen Werben um Aufmerksamkeit für den Krieg. Aber eine Aufmerksamkeit, die überlebenswichtig für die Ukraine ist. Und die der ukrainische Präsident auf allen Kanälen sucht – mit Interviews bei David Letterman auf Netflix oder Handshakes mit Hollywood-Größen, mit Rede-Übertragungen zu amerikanischen Sportveranstaltungen oder mit Video-Botschaften in den Parlamenten dieser Welt.
Das Talent dafür mag der Volksschauspieler-Vergangenheit des Wolodimir Selenskij geschuldet sein. Oder dem Instinkt des Politikers im zweiten Bildungs- bzw. Kriegserfahrungsweg. Jedenfalls: Es polarisiert. Wolodimir Selenskij polarisiert.
In der Ukraine mehr als man glauben sollte, weil nicht alle den früheren Spaßmacher schätzen – aber hinter dem Kriegspräsidenten steht das Land so gut wie geschlossen. Und draußen in der Welt polarisiert er, weil er die internationale Bühne seit mehr als einem Jahr wie kein Zweiter sucht. Den einen ist Selenskij nicht geheuer, weil zu selbstverliebt (?) und inszeniert im grünen Armee-Pullover. Für die anderen trägt er Mitschuld am Krieg oder ist, für Geschichtsverdreher im geistigen Sold des Wladimir Putin, gar schuld am Krieg.
Am Donnerstag tritt Wolodimir Selenskij per Video-Botschaft im Parlament in Wien auf (wie zuvor in fast allen anderen EU-Staaten) – und trifft dort auf Letztere. Die FPÖ-Abgeordneten werden gegen den Auftritt protestieren. Ob mit Taferln oder durch Nichtteilnahme oder durch Störfeuer, wissen wir nicht. Tenor der traditionell Putin-freundlichen Freiheitlichen: Ein Selenskij-Auftritt geht mit der österreichischen Neutralität nicht zusammen.
Das ist Unfug: Österreich ist militärisch neutral (eine Neutralität, die die FPÖ in den 90er-Jahren gerne gekübelt hätte), mischt sich aber nicht ein, wenn es den Präsidenten eines in den Krieg gezwungenen Landes sprechen lässt. Der Einwand, dann müsste man auch Putin sprechen lassen, ist ebenfalls Quatsch: Putin hat Massenmord an Zivilisten und millionenfache Vertreibung zu verantworten – der Stalin-Epigone dürfte vor einem Kriegsgericht sprechen, nicht vor dem Parlament eines freien Landes.
Man kann die Selenskij-Auftritte inflationär finden; man mag das Werben um Waffen- und Wirtschaftshilfe für zu einseitig halten (wer wirbt für ein Aus der Kämpfe?); man kann streiten, wie und ob Russland ein Kriegsende abzuringen sei. Aber man kann einem, dem unmittelbar Betroffenen zuhören. In der Genetik demokratischer Parteien sollte das verankert sein. Bei der FPÖ weiß man das nicht so genau.

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