Schwarz-Grüne Vorreiter: "Von den Stärken des anderen profitieren“
Wenn am Ende eines Doppel-Interviews ein schwarzer Ex-Landeshauptmann mit einer grünen Stofftasche (Inhalt: drei Bücher über grüne Politik) heimspaziert und das grüne Gegenüber ausnehmend positiv über die gemeinsame Vergangenheit spricht, dann kann man davon ausgehen: Das hat gepasst. Für beide.
Josef Pühringer, ÖVP, und Rudolf Anschober, Grüne, haben zwölf Jahre lang – von 2003 bis 2015 – in Oberösterreich regiert, sie waren Pioniere. Der KURIER hat sie gefragt, was Türkise und Grüne, die im Bund sondieren, von ihnen lernen können.
KURIER: Herr Pühringer, hätten Sie ein Problem damit, wenn Ihre Kinder grün wählen?
Josef Pühringer: Ich würde natürlich Überzeugungsarbeit leisten, aber auch die Kinder eines Politikers haben das Recht auf Meinungsfreiheit.
Der Sager des geschäftsführenden ÖVP-Klubobmanns August Wöginger hat jüngst gezeigt, dass zwischen Grünen und ÖVP Welten liegen. Wie ist die Annäherung 2003 bei Ihnen beiden gelaufen?
Pühringer: Das Ganze wurde damals relativ spontan aus einer schwierigen Situation geboren: In Oberösterreich kannte man nichts anderes als die Große Koalition. 2003 hat die ÖVP dann nur einen knappen Prozentpunkt dazugewonnen, die SPÖ mehr als zehn Prozentpunkte. Wir haben ihr ein gutes Angebot gemacht, aber irgendwann waren die Verhandlungen für uns nicht mehr zumutbar. Dann haben wir den Grünen ein Angebot gemacht, sie haben es angenommen. Wir haben zehn Tage lang intensivst verhandelt. Die gemeinsame Basis war da – und es hat immerhin zwölf Jahre lang gehalten.
Rudolf Anschober: Wir waren einander ja nicht ganz fremd. Im Land kennt man einander auch in der Politik besser. Zwei Wochen nach der Wahl hat es an einem Sonntagnachmittag ein erstes Gespräch zwischen uns beiden im Grünen-Haus gegeben. Wir haben geschaut, ob eine Basis da ist. Kurz davor ist Schwarz-Grün ja auf Bundesebene gescheitert, was die Situation für uns (schaut zu Pühringer) nicht gerade erleichtert hat (dieser nickt).
Sie waren ja damals im Bund im ÖVP-Verhandlungsteam. Wären Sie für Schwarz-Grün gewesen?
Pühringer: Es hätte mir damals gut gefallen, nur ist es leider nicht zustande gekommen – obwohl man sich de facto einig war …
Anschober: Da streiten die Geschichtsforscher.
Pühringer: Da bin ich mir ziemlich sicher. Ich glaube, die Wiener Partie hat sich Schwarz-Grün nicht vorstellen können. Vielleicht war die Zeit damals nicht reif dafür. Das könnte der Unterschied zu heute sein.
Können die Wiener Grünen jetzt wieder zum Problem werden?
Anschober: Es ging damals nicht um die Wiener Grünen, sondern darum, ob die ÖVP die Schmerzgrenze der Grünen akzeptiert – Stichwort Abfangjäger. Das hat Schüssel überzogen. Zum Aktuellen: Die Wiener Grünen sind super eingebunden, Birgit Hebein ist ein wichtiger Teil des Teams. Wir sind sehr selbstbewusst in die Sondierungen gegangen und sehen diese ergebnisoffen. Es geht jetzt darum, eine Gesprächskultur zu erarbeiten – das ist aus meiner Sicht gelungen. Jetzt müssen wir abklären: Machen Verhandlungen Sinn?
Das dauert im Bund aber wesentlich länger als bei Ihnen beiden …
Anschober: Wir leben in einer anderen Zeit. Wir haben auf Bundesebene auch schwierigere Themen. Aus meiner Sicht war die damalige ÖVP im Land auch anders positioniert als die jetzige türkise ÖVP im Bund. Es geht immer um die handelnden Personen.
Herr Pühringer, was ist an den Türkisen von Sebastian Kurz anders als an Ihren Schwarzen?
Pühringer: Das ist ein künstliches Herbeireden. Es ist doch so, dass jeder Regierungspartner – und das war zuletzt die FPÖ – ein Recht darauf hat, sich einzubringen. Eine ÖVP-Alleinregierung hätte andere Ergebnisse geliefert. Der Kompromiss ist nicht immer faul, er ist das Wesen einer Demokratie.
Herr Anschober, die Linzer Grünen standen 2003 einer Zusammenarbeit mit der ÖVP besonders kritisch gegenüber wegen Schwarz-Blau im Bund. Wie haben Sie den Gegenwind erlebt?
Anschober: Bei uns waren die Diskussionen innerparteilich sehr, sehr intensiv. Für uns war das Neuland. Wir haben nicht gewusst, ob man mit der ÖVP in ökologischen und sozialpolitischen Fragen neue Wege gehen kann. Schon nach 100 Tagen Regierungsarbeit waren die Grünen voll und ganz überzeugt davon.
Ich nehme an, die ÖVP hatte mitunter Wachstumsschmerzen?
Pühringer: Natürlich – ich würde aber von normalen Schmerzen sprechen. Die Landwirtschaft war skeptisch, die Industrie hat auch nicht gerade applaudiert. Es war oft mühsam, keine Frage. Wir haben beide gewusst, wir betreten Neuland. Und wir stehen unter Beobachtung.
Anschober: Grüne und ÖVP haben es geschafft, zu sehr spannenden Lösungen zu kommen. Es ist mit uns Grünen sicher schwieriger und intensiver, inhaltlich zu einer Einigung zu kommen. Aber wenn der Pakt steht, dann hält er. Das haben wir bei allen Regierungsbeteiligungen bewiesen.
Wie kommen zwei so unterschiedliche Parteien auf einen Nenner?
Pühringer: Es klingt paradox, und ich hätte es vor 2003 nicht gesagt: Wenn eine Koalition richtig gestaltet wird – das ist uns über weite Strecken gelungen –, dann kann man von den Stärken des anderen profitieren. Und die Politik wird insgesamt besser. Es gibt heute viel zu viel Vorsichteln in die Richtung: Wird mir der Koalitionspartner eh nicht zu stark? Die Frage muss im Gegenteil sein: Ist unsere gemeinsame Politik stark genug?
Was wäre Ihr Rezept für den Bund?
Pühringer: Leben und leben lassen. Der größere Partner kann nicht verlangen, dass der kleinere alles akzeptiert und nur Mehrheitsbeschaffer ist. Er will auch seine Handschrift im Programm abgebildet haben. Das Wahlergebnis zeigt aber auch deutlich, wer das größere Vertrauen des Wählers gewonnen hat.
Josef Pühringer, geboren 1949 in Traun (Oberösterreich), war Religionslehrer und später einer der längstdienenden Landeshauptleute Österreichs. Im März 1995 folgte er Josef Ratzenböck in diesem Amt nach, bis 2003 war die ÖVP auf Landesebene in Koalition mit der SPÖ. Nach bescheidenen Zugewinnen bei der Landtagswahl und gescheiterten Verhandlungen zu einer Neuauflage wagte es der schwarze Landesfürst mit den Grünen. Eine Koalition, die zwölf Jahre lang ohne gröbere Turbulenzen hielt. Die FPÖ wurde indes immer stärker, 2015 waren die Zugewinne der Blauen unter Manfred Haimbuchner so groß, dass Pühringer umschwenkte. Schwarz-Grün ging sich nicht mehr aus (ÖVP: 36,4; Grüne: 10,3). 2017 verabschiedete sich Pühringer dann – und übergab an Thomas Stelzer, der vorher sein Stellvertreter war. Pühringer, der kürzlich 70 Jahre alt wurde, ist aktuell Obmann des Seniorenbundes OÖ.
Die Grünen müssen sich aktuell im Bund also mehr bewegen?
Anschober: Du kannst aus zwei unterschiedlichen Positionen eine dritte als Lösung entwickeln. Das war für mich einer der größten Lerneffekte.
Pühringer: Ganz entscheidend ist, dass man vom neuen Partner nicht verlangt, dass er sich selbst und das früher Erreichte aufgibt. Es braucht neue Zugänge, neue Strategien, die in die Zukunft gerichtet sind. So verliert niemand das Gesicht.
Die Grünen wollen ja dem Vernehmen nach, dass bei der Mindestsicherung nachgebessert wird …
Pühringer: Man könnte sich sicher auf ein Maßnahmenpaket gegen Kinderarmut einigen. Es ist ganz wichtig, dass sich beide Parteien am Ende in den Spiegel schauen können.
Wäre das was, Herr Anschober?
Anschober: In aller Freundschaft: Wir können die inhaltlichen Gespräche nicht via KURIER führen.
Pühringer: Ich tu mir leichter (lacht).
Anschober: Was stimmt: Beide Parteien müssen sich in den Spiegel schauen können. Wichtig ist nicht nur, dass man sich als Partei damit identifiziert, sondern vor allem, ob die großen Zukunftsfragen verankert sind.
Was ist die größte Herausforderung für die neue Regierung?
Pühringer: Am Klimaschutz kommt momentan kein Mensch, keine Partei vorbei …
Anschober: … weil die Krise zunimmt.
Pühringer: Ja, aber auch, weil diese Freitagsbewegung entstanden ist. Thema Nummer eins kann morgen schon wieder etwas anderes sein, wenn eine Wirtschaftskrise kommt.
Rudolf Anschober, geboren 1960 in Wels (OÖ), war Volksschullehrer und zog 1990 für die Grünen in den Nationalrat ein. 1997, als die Grünen in Oberösterreich den Sprung in den Landtag schafften, wechselte er wieder in sein Heimatbundesland. 2003 schloss seine Partei dann einen Koalitionspakt mit der ÖVP – als damals erste grüne Landespartei. Tirol, Vorarlberg, Salzburg und Wien (mit der SPÖ) sollten folgen. Anschober war als Landesrat für Umwelt, Energie, Wasser und Konsumentenschutz zuständig. Als eine Fortsetzung von Schwarz-Grün 2015 nicht mehr möglich war, blieb er wegen des Proporz-Systems Landesrat, bekam die Integrationsagenden dazu. Mit seiner Initiative „Ausbildung statt Abschiebung“ sorgte er bundesweit für Furore. Zuletzt lenkte auch die Kurz-ÖVP ein und versprach eine „pragmatische Lösung“. Aktuell sitzt Anschober im sechsköpfigen Sondierungsteam der Bundes-Grünen um Werner Kogler.
Wie können ÖVP und Grüne das gemeinsam angehen?
Anschober: Es braucht eine Transformation bei Wirtschaft, Verkehr und Energie. Man muss den Umbau als Chance für den Wirtschaftsstandort begreifen, er muss aber auch sozialpolitisch vernünftig sein.
Pühringer: Es wird darauf ankommen, das alles unter einen Hut zu bringen. Die Gegner von Türkis-Grün werden vor „Arbeitsplatzvernichtung durch Ökologie“ warnen. Man muss so ehrlich sein: Ja, es wird gewisse Arbeitsplätze nicht mehr geben, aber es werden neue, vielleicht bessere, entstehen. Und ja, wir müssen uns auch um Fortschrittsverlierer annehmen.
Anschober: Da lohnt ein Blick zurück. In unserem ersten Arbeitsübereinkommen (das Pühringer mitgebracht hat, es hat kompakte 19 Seiten; Anm.) war das dritte Thema „Wirtschaft & Umwelt“ – nicht beides separat. Die Zukunft heißt „Green New Deal“. Was jetzt auf europäischer Ebene erkannt wurde, war damals einer unserer Eckpfeiler.
Pühringer: Da rennt man bei Industrie und Wirtschaft offene Türen ein. Man muss in Sachen Klimaschutz nur sehr eng mit ihnen zusammenarbeiten.
Herr Pühringer, hat Kurz Sie bei den Sondierungen um Rat gebeten?
Pühringer: Man ist natürlich in Kontakt, darüber aber haben wir noch nicht geredet. Es wird nicht auf meine Weisheiten ankommen, denn die Grundprinzipien sind allen am Tisch Sitzenden bewusst.
Sie kennen Herrn Anschober wohl am besten: Welches Ministeramt würden Sie ihm zutrauen?
Pühringer: Rudi Anschober ist ein hochintelligenter Mensch, hat viel Regierungserfahrung und die damit verbundene Kompetenz. Umweltschutz kann er ganz sicher, Energie würde ich ihm nicht geben, die haben wir ihm in Oberösterreich auch nur sehr ungern überlassen (lacht).
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