Schwarz-Blau in NÖ: „Eine einschneidende Zäsur“
Niederösterreich kann jetzt nur noch eines: hoffen, dass seine Zukunft nicht so ausschaut wie die Vergangenheit Kärntens.
Tatsächlich hat Kärnten mühsam abgestreift, was Niederösterreich mit der Machtübergabe an die Kickl-Landbauer-FPÖ jetzt droht.
Dem Land Kärnten haben ein engstirniger (roter) Landeshauptmann, der sich von den Nazis nicht abgrenzen wollte, und in der Folge 25 Jahre lang regierende Rechtspopulisten international ein braunes Schmuddelimage verpasst. Die Auswirkungen für Kärnten waren enorm, die Abwanderung von Gebildeten und das Schrumpfen der Bevölkerung wurden dadurch verstärkt. Heute, in Zeiten des zunehmenden Arbeitskräftemangels, ist das nicht nur kulturell beklagenswert, sondern schmälert auch den Wohlstand der Bevölkerung.
Wohl nicht zufällig twittert der aus Kärnten stammende PR-Altmeister Wolfgang Rosam bei Bekanntwerden der schwarz-blauen Koalition in Niederösterreich: „Okay, ich bin eigentlich ein Schwarzer, was aber nicht heißt, dass ich alles kritiklos hinzunehmen bereit bin. Die NÖ-SP mag zu hoch gepokert haben. Aber diese FP-Koalition ist ein Fehler, der sich rächen wird.“
Der Politikwissenschafter Fritz Plasser versucht die Aufregung zu dämpfen und führt ein Gegenbeispiel ins Treffen: In Oberösterreich, dem Industrieland Österreichs schlechthin, regiert seit Jahren Schwarz-Blau. Das nehme der schwarz-blauen Koalition in Niederösterreich das „spektakuläre Moment“, meint Plasser.
Rosam, der die türkis-blaue Koalition unter Sebastian Kurz heftig verteidigt hatte, bleibt dennoch bei seiner Kritik an Niederösterreich. Sein Argument: „Die FPÖ-Niederösterreich ist nicht Strache und ist nicht Haimbuchner. Sie ist die schärfste Form der FPÖ. Sie ist die Kickl-FPÖ.“
Herbert Kickl ist als skrupelloser, hetzerischer Pointenschleuderer berüchtigt, und das könnte Niederösterreich auch auf kulturellem Gebiet schaden.
Niederösterreich wurde bis 2017, 25 Jahre lang, von Landeshauptmann Erwin Pröll geprägt. Das bleibende Merkmal Pröll’scher Politik ist eine bemerkenswerte Breite: Er vertrat Law & Order in der Sicherheitspolitik, war persönlich wertkonservativ und holte dennoch das agrarische Bundesland aus der Provinzialität. Pröll war überzeugt, dass kulturelle Vitalität nötig sei, um ländliche Gebiete zu einem attraktiven Lebensraum zu machen und der Abwanderung in die Städte etwas entgegenzusetzen. Unter heftiger Kritik der FPÖ baute er beispielsweise ein Museum für Hermann Nitsch.
Auch außenpolitisch ließ sich Pröll nicht von der FPÖ treiben. Er bewarb im Wahlkampf 2003 die Osterweiterung, stemmte sich gegen alle blaue Polemik – und erhielt dennoch die absolute Mehrheit. Das Europa-Forum Wachau ist seither ein Fixpunkt europäischer Begegnung in Österreich.
„Wir werden ein anderes Niederösterreich bekommen. Was jetzt passiert, ist ein Bruch“, sagt Rosam.
Die Kunstszene revoltiert bereits. In einem an Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner gerichteten Offenen Brief appellieren zahlreiche Künstlerinnen und Künstler an sie, „von dieser folgenschweren Regierungskoalition“ Abstand zu nehmen. Sie führen Mikl-Leitners christliche Werte und ihre europäische Überzeugung ins Treffen. Unterzeichnet wurde das Schreiben neben anderen von den Autoren Robert Menasse, Gerhard Ruiss und Peter Turrini sowie von der Kulturschaffenden Anna Maria Krassnigg.
Bedroht ist auch die vielfältige Festival-Szene in Niederösterreich. Werden die Künstler noch so zahlreich kommen, wenn sie fürchten müssen, sich mit einem Waldhäusl oder Landbauer auf Foto-Postings zu finden?
„Das wird alles passieren“, prophezeit Rosam. „In der Kulturszene wird die Überzeugungsarbeit für die Landeshauptfrau zunehmen“, glaubt auch Plasser. Wobei der Politikforscher einschränkt, dass sich am Kurs der Offenheit nichts ändern werde. Die Kulturpolitik bleibe „Chefinnen-Sache“, und Mikl-Leitner werde ihren Zugang nicht verengen.
Größtes Unverständnis herrscht über die Entschädigungen für Corona-Maßnahmenverweigerer und über die Zustimmung der ÖVP, dass das Land für Corona-Impfungen nicht werben darf. „Was passiert, falls eine neue Coronawelle kommt?“, fragt Plasser. Er halte diese Passagen im Koalitionspakt für „sehr, sehr problematisch“.
Rosam regt am meisten auf, dass die ÖVP akzeptiert, dass die FPÖ Mikl-Leitner im Landtag nicht zur Landeshauptfrau wählen muss. „Was ist denn das für eine Partnerschaft? Das ist einfach nur respektlos.“ Im Vergleich dazu erscheint der dumme Sager von SPÖ-Chef Sven Hergovich, den die ÖVP als Grund für das Abbrechen der Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ angibt, läppisch. „Es bleibt der schale Nachgeschmack, dass man auf die Koalition mit der FPÖ von Anfang an hingearbeitet hat“, sagt Rosam.
Was in Niederösterreich passiert, ist „eine einschneidende Zäsur“, sagt auch Plasser. Und was im mächtigen ÖVP-Kernland geschehe, werde von der Bundespartei immer „sehr, sehr genau beobachtet“. Dennoch glaubt Plasser nicht, dass der Pakt mit der FPÖ ein Präjudiz für die nächste Bundeskoalition sei. Kanzler Karl Nehammer habe bei seiner Rede vor wenigen Tagen „keinen Rechtsruck vollzogen“, so Plasser. Im Gegenteil, Nehammer habe klassische ÖVP-Inhalte wie die Leistungsgesellschaft wieder stärker konturiert. „Er hat versucht, der ÖVP mit einem thematischen Profil ein wenig Halt zu geben.“
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