Schallenberg: Ukraine-Krieg wird uns noch lange begleiten

Schallenberg: Ukraine-Krieg wird uns noch lange begleiten
Den Einmarsch Putins in die Ukraine bezeichnet der Außenminister als "geopolitischen Eiskübel", der uns "ins Gesicht" geschüttet wurde.

Außenminister Alexander Schallenberg rechnet nicht mit einem baldigen Ende des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. "Der Krieg wird uns leider noch lange in das Jahr 2023 hinein begleiten", prognostizierte Schallenberg in einem zum Jahresende geführten APA-Interview.

Die Frage, ob eine Lösung eventuell leichter zu erreichen sei, wenn Präsident Wladimir Putin in Russland nicht mehr an der Macht wäre, ließ er offen: "Es liegt nicht an uns auszuwählen, wer verhandelt."

Dauerhafter Frieden nur am Verhandlungstisch

Ein Punkt sei aber wesentlich, betonte der ÖVP-Minister: "Es darf nicht über die Ukraine ohne die Ukraine gesprochen werden. Letzten Endes liegt es an Russland und der Ukraine, den Weg zum Verhandlungstisch zurückzufinden." Letztlich habe die Geschichte immer gezeigt: "Dauerhafter Frieden wird nur am Verhandlungstisch geschaffen und nicht am Schlachtfeld."

Allerdings sei auch klar, dass die "Schnittmenge an Gemeinsamkeiten mit Russland" aktuell "unter Null" liegen würden, meinte der Außenminister. "Das ist ein Staat, der einen brutalen Akt gesetzt hat, der alle Prämissen, alle Prinzipien, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg in der UNO-Charta und innerhalb der OSZE aufgebaut haben, mit Füßen tritt und über Bord wirft."

Dialogbereitschaft

"Bei aller Emotionalität" dürfe aber nicht "das Augenmaß verloren" werden, forderte Schallenberg dennoch weiter Dialogbereitschaft. Für seine Kritik an der Entscheidung, dass jüngst bei einem Treffen der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in Polen keine Vertreter Russlands teilnehmen durften, habe er zumindest hinter den Kulissen viel positives Feedback bekommen. Schließlich dürften Gesprächsplattformen wie die OSZE, die ja noch aus der Zeit des "Kalten Kriegs" zwischen dem von den USA angeführten Westen und dem von der Sowjetunion dominierten Ostblock stamme, nicht leichtfertig zerstört werden.

"Wir werden solche Plattformen in Zukunft brauchen, ob man will oder nicht", unterstrich Schallenberg. Russland werde nicht von der Landkarte verschwinden, sondern "der größte Nachbar Europas" bleiben. "Sich vorzustellen, dass wir eine langfristig stabile Sicherheitsarchitektur unter völliger Ausblendung Russlands organisieren sollen, ist unrealistisch."

Konstanter Stresstest

Bei solchen Überlegungen handle es sich aber ohnehin um reine "Zukunftsmusik", so Schallenberg. Aktuell sei für die Realpolitik bezüglich des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Jahr 2023 wohl "ein konstanter Stresstest" zu erwarten. Nach momentanem Stand zeichne sich keine Bereitschaft zu Verhandlungen ab: "Beide Seiten versuchen, am Schlachtfeld eine Lösung im weitesten Sinne herbeizuführen."

Dennoch sei es gut, dass es nach wie vor Kontakt gebe, etwa zwischen den USA und Russland. "Das halte ich für notwendig. Wir haben ja auch im 20. Jahrhundert erlebt, dass es immer Gesprächskanäle geben muss, um das Allerschlimmste zu vermeiden." Ziel bleibe jedenfalls "die Unterstützung der Ukraine in der Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität und Unabhängigkeit".

Bezüglich des unter der Ägide von Präsident Putin am 24. Februar vollzogenen Angriffs Russlands auf die Ukraine räumte Schallenberg rückblickend Versäumnisse der internationalen Staatengemeinschaft ein. Es habe bereits vor 15 Jahren gewisse Vorzeichen gegeben, etwa das historische Weltbild Putins und seine Einstellung zur Eigenständigkeit der Ukraine betreffend. "Im Nachhinein ist man immer klüger. Es stimmt schon, dass wir das nicht glauben und nicht wahrhaben wollten."

Vor allem aber sei nach der Annexion der zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim durch russische Einheiten im Frühjahr 2014 "zu schnell zur Tagesordnung" übergegangen worden. "Hätte man damals stärker reagiert, wäre dieser Angriff vielleicht nicht passiert."

Geopolitischer Eiskübel

Die Invasion sei dann jedenfalls wie ein "geopolitischer Eiskübel" gewesen, "der uns ins Gesicht geschüttet wurde", formulierte es Schallenberg im APA-Gespräch. "Ja, wir waren überrascht, weil wir es für denkunmöglich gehalten hätten, dass jemand auf dem europäischen Kontinent nach den Lehren des Ersten und vor allem des Zweiten Weltkriegs wieder solche Taten setzt. Nur 500 Kilometer von Wien entfernt."

"Wir wurden aus unseren Tagträumen einer posthistorischen, postnationalen Welt rausgerissen", resümierte Schallenberg. Vielfach sei in Westeuropa geglaubt worden, "dass vielleicht Francis Fukuyama doch recht hat, dass sich die anderen unserem Lebensmodell annähern werden, wenn schon nicht die Regierenden, dann zumindest die Menschen." Der US-Politologe Fukuyama hatte nach dem Ende des Ostblocks und dem Zerfall der Sowjetunion den vermeintlich ultimativen Siegeszug der liberalen Demokratie prognostiziert.

Doch sei die Reaktion der westlichen Staaten und der Europäischen Union auf den russischen Angriff "unglaublich stark" gewesen, sah der Außenminister auch positive Aspekte. "Trotz des Überraschungseffekts sind wir nicht ins Taumeln geraten. Wir haben geeint und sehr nachdrücklich reagiert und haben sowohl den energiepolitischen als auch den wirtschaftspolitischen Abnabelungsprozess zu Russland in einer Art forciert, wie wir es gar nicht für möglich gehalten hätten. Wir haben in der Zwischenzeit neun massivste Sanktionspakete verhängt. Und wir haben eine Einigkeit, nicht nur in der Europäischen Union, sondern innerhalb des Westens, der freien Welt, an den Tag gelegt, die ich in dieser Form in den letzten Jahren nicht erlebt habe."

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