Kommt Erdoğans Ende – oder Putins? So wird die Weltpolitik 2023
Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine? Ein Machtwechsel oder zumindest Reformen im Iran? Aussöhnung oder Gewalt auf dem ewig kriselnden Westbalkan? Die Weltpolitik im Jahr 2022 hat viele Fragen aufgeworfen – und deren Antworten wird man auch 2023 noch suchen.
Russland/Ukraine
Die erste Frage wirft unweigerlich der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine auf. Wie lange kann Russland die verheerenden Verluste und die trotz aller menschenverachtender Gewalt kärglichen Erfolge noch verkraften – und was bedeutet das für die Zukunft Wladimir Putins, der geschwächter scheint denn je in seinen 22 Jahren an der Macht?
Türkei
Nachdem die Parlamentswahl in der Ukraine kriegsbedingt nicht wie geplant im Oktober stattfinden dürfte, wird wohl die türkische Präsidentschaftswahl im Juni die weltpolitisch wichtigste 2023 werden. Denn ein erneuter Sieg von Langzeit-Machthaber Recep Tayyip Erdoğan ist aktuellen Umfragen zufolge keineswegs gesichert.
Der 68-jährige Konservative steht bereits seit 2003 an der Spitze der türkischen Politik – erst als Premierminister, ab 2014 dann als Präsident. Angesichts der großen wirtschaftlichen Problemen der letzten Jahre scheinen sich viele Türken politische Veränderung zu wünschen.
Zuletzt konnte Erdoğan jedoch mit seiner Vermittlerrolle zwischen Russland und der Ukraine wieder etwas Tritt fassen, auch aus Österreich kam Lob dafür. Die Kritik an Menschenrechtsverletzungen im Land sowie Gespräche über die türkischen EU-Beitrittsambitionen sind hingegen leiser geworden.
Großbritannien
Boris Johnson, Liz Truss, Rishi Sunak – keine Frage, 2022 war für Großbritanniens Politik eines der turbulentesten Jahre seit Langem. Neben vielen Skandalen und einem Kommen-und-Gehen von Premierministern erschütterte aber eine Nachricht die Bevölkerung besonders: der Tod von Queen Elizabeth II. im September. Die Krönung ihres Nachfolgers, Sohn Charles III, ist für den 6. Mai 2023 angesetzt. Interessant wird einerseits, ob er die großen Fußstapfen seiner Mutter wird füllen können. Andererseits stellt sich die Frage, wie es mit den Streitereien in seiner Familie weitergehen wird.
Nach der Netflix-Dokumentation, in der Charles’ Sohn Harry und seine Frau Meghan dem Königshaus erneut viele Vorwürfe machten, folgt bereits im Jänner Harrys Autobiografie in Buchform. Charles’ Krönung wird da von manchen ebenfalls als Provokation gedeutet, findet sie doch am Geburtstag von Harrys Sohn Archie statt.
Wie jedes halbe Jahr übernimmt mit 1. Jänner ein neues Land die EU-Ratspräsidentschaft. Diesmal ist es Schweden, das den Vorsitz nach sechs Monaten an Spanien weitergibt. In dieser Periode wird es um ein Thema gehen, über das sich Europas Politiker schon seit vielen Jahren die Köpfe zerbrechen: Migration. Schließlich ist die Zahl illegaler Grenzübertritte in die EU 2022 wieder drastisch gestiegen.
Nach Vorarbeiten des tschechischen Ratsvorsitzes stehen die Chancen auf den lang ersehnten Durchbruch einer gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik aber immerhin so gut wie schon lange nicht mehr. Der Druck, diesbezüglich etwas weiterzubringen, ist in diesem Jahr außerdem höher.
2023 ist das letzte volle Jahr der aktuellen EU-Legislaturperiode, im Frühjahr 2024 stehen Wahlen an. Während das EU-Parlament, die Kommission sowie der Ratspräsident neu bestimmt werden, ist EU-politisch dann zumindest für einige Monate mit wenig Inhalt zu rechnen.
Spanien
Der spanische Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr 2023 könnte von der dortigen Parlamentswahl im Dezember überschattet werden, die wenige Wochen nach der polnischen stattfinden soll. In beiden Ländern hoffen die Oppositionsparteien auf eine politische Wende. So will in Spanien eine Allianz aus Konservativen und Rechtspopulisten die regierenden Sozialdemokraten von Premier Pedro Sánchez schlagen, was ihnen in einer Reihe von Regionalwahlen bereits gelungen ist.
Und in Polen fordert der liberale Ex-EU-Premier Donald Tusk die nationalkonservative Regierung und ihren Mastermind Jaroslaw Kaczynski heraus.
Die erhofften Siege hätten für die Europäische Volkspartei zumindest symbolisch Bedeutung, ist sie aktuell doch in einigen wichtigen EU-Ländern – allen voran Deutschland und Frankreich – nicht an der Macht.
Neben Sanchez und Polens Premier Morawiecki müssen weitere EU-Regierungschefs ihre Ämter verteidigen. So will etwa in Estland die Liberale Kaja Kallas nach der Parlamentswahl im März weiter Premierministerin bleiben. Die Sozialdemokratin Sanna Marin versucht im März, in Finnland als Ministerpräsidentin bestätigt zu werden. Und in Luxemburg möchte Xavier Bettel, wie Kallas ein Liberaler, weiter regieren. Die drei werden aufgrund ihrer pro-europäischen Einstellung bereits als mögliche EU-Ratspräsidenten ab 2024 gehandelt. Ebenfalls mit Interesse beobachtet werden dürfte die Landtagswahl in Bayern im Oktober.
Tschechien
Bereits zu Jahresbeginn, nämlich am 13. und 14. Jänner, wird in einem Nachbarland Österreichs ein neuer Präsident gewählt: Tschechien. Amtsinhaber Miloš Zeman darf kein drittes Mal antreten. Favoriten für die Nachfolge sind neben Ex-Generalstabschef Petr Pavel auch der umstrittene Unternehmer Andrej Babiš, der bis 2021 Premierminister war. Umfragen sehen aber die unabhängige Wissenschafterin Danuše Nerudová im Rennen um das Amt vorne.
Gewinnt die Ökonomin, hätten vier der acht Nachbarländer Österreichs ein weibliches Staatsoberhaupt: In Ungarn amtiert seit Mai 2022 Katalin Novák von Viktor Orbáns Fidesz-Partei, in der Slowakei bereits seit 2019 die sozialliberale Umweltaktivistin Zuzana Čaputová und in Slowenien wurde die ehemalige Journalistin Nataša Pirc Musar am 22. Dezember angelobt.
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