Russischer Kanal Telegram: Wo Impfgegner ihre "Meinungsfreiheit" leben
Der russische Messengerdienst Telegram ist der digitale Stammtisch für Impfgegner. Auf Plattformen wie Facebook werden Falschbehauptungen immer öfter gelöscht, auf Telegram nicht. Und das ist nicht das einzige, was Telegram zum Tummelplatz für Ausgestoßene macht. Der KURIER hat die Besonderheiten dieses Social Media-Netzwerks recherchiert.
Die Telegram-App ist einfach zu bedienen, ähnelt WhatsApp. Der Unterschied: Man kann sein Profil anonymisieren, Chatgruppen können 200.000 statt 265 Mitglieder haben und in Kanälen kann man Inhalte an ein unbegrenztes Publikum ausspielen – wie in einem Liveticker.
Entzieht sich demokratischen Regularien
Telegram hat sich als Medium der Ausgestoßenen etabliert: von Herbert Kickl über die MFG bis zu Reichsbürgern. So wuchern wildeste Verschwörungsmythen unwidersprochen. Die politische Gegenstrategie: das Kommunikationsplattformengesetz. Es verpflichtet Telegram, Rechtswidriges zu löschen. Doch der russische Dienst ignoriert Regulierungsbehörden, verlegt laufend den Firmensitz, ist rechtlich nicht greifbar. Deutsche Politiker debattieren, die Plattform deshalb „abzuschalten“. Geht das?
Auswirkungen unterschätzt
„Man müsste technische und rechtliche Maßnahmen ergreifen, die wohl nur in Diktaturen wie China oder Russland üblich sind, um stark beschränkend eingreifen zu können – was in unseren Demokratien zum Glück nicht geht“, sagt Internetforscher Stephan Humer. Die Debatte offenbare: „Digitalisierung wurde mit ihren starken soziotechnischen Auswirkungen mehr oder weniger dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Nun sieht man, wohin das führen kann.“
Experte rät zu "klarer Kante"
Neben massiven Investitionen in die „digitale Kultur“ brauche es im Kampf gegen Desinformation einen „Aufstand der Anständigen“, sagt Humer: bei digitalen Debatten auf Telegram, aber auch in Familien und im Freundeskreis. Dieser müsse aus der Mitte der Gesellschaft kommen: „Man ist gegenüber den Intoleranten viel zu tolerant. Es braucht eine klare Kante gegen Spinnerei, Schwurblerei und Hetze. Wer beispielsweise mit Neonazis auf einer Demo marschiert, macht sich mitschuldig. Punkt. Wer das schönreden will, macht sich lächerlich – und sollte das auch so zu hören bekommen.“
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