Viele Tage plätscherte der Prozess gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz und seinen damaligen Kabinettschef Bernhard Bonelli dahin. Die bisherigen Zeugenaussagen waren geprägt von Erinnerungslücken und Aussagen, die Kurz’ Version gestützt hatten. Doch dann kamen am Mittwoch die Russen ins Spiel – und sorgten für gehörige Aufregung.
Wie berichtet, wird den Angeklagten Falschaussage im Ibiza-U-Ausschuss vorgeworfen. Kurz erklärte damals, er sei bei Postenbesetzungen in der Staatsholding ÖBAG nur „informiert“, nicht involviert gewesen. Der frühere ÖBAG-Chef Thomas Schmid, der den Kronzeugen-Status will, widersprach und lieferte belastende Chats.
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Glaubwürdigkeit
Immer wieder Thema in der Verhandlung: die Glaubwürdigkeit von Schmid. Daran will die Verteidigung rütteln – und brachte zwei Russen ins Spiel, die Schmid im Sommer zu einem Bewerbungsgespräch getroffen haben.
Ihnen gegenüber soll Schmid gesagt haben, dass er „dem Druck der Staatsanwälte nachgegeben und beschlossen habe, sich auf ihre Seite zu stellen und ihnen zu helfen, indem er in einer Weise aussagte, die die Staatsanwälte zufrieden stellte, obwohl diese spezifischen Aussagen jenseits dessen lagen, was er als wahr in Erinnerung hatte“. So steht es zumindest in einem Affidavit (eidesstattliche Erklärung), das der russische Unternehmer Walerij A. abgegeben hat.
Im Prozess wurde das deutlich abgeschwächt. Schmid habe nicht wörtlich gesagt, dass er die Staatsanwaltschaft angelogen hätte, erklärte A. als Zeuge via Videokonferenz. Das sei nur sein „Eindruck“ gewesen. Plötzlich ging es also nicht um eine konkrete Aussage von Schmid (die de facto auf Amtsmissbrauch durch die WKStA hindeuten und den Kronzeugenstatus für ihn verunmöglichen würde), sondern um eine persönliche Einschätzung.
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„Ganz normal“?
Als der Zeuge offenbarte, dass ausgerechnet Kurz-Verteidiger Otto Dietrich beim Aufsetzen der Erklärung half, ging ein Raunen durch den Saal. Dass dann der zweite russische Zeuge, Aleko A., unmittelbar vor seiner Befragung absagte, weil er sich „unwohl fühle“, setzte dem Ganzen die Krone auf. Der jüngste Verhandlungstag hinterließ vor allem eine seltsame Außenwirkung und Raum für Spekulationen.
Etwa, dass Dietrich ein Beweismittel konstruiert haben könnte, das ihm in seine Verteidigungsstrategie passt. Ein Vorwurf, den Dietrich gegenüber dem KURIER „strikt zurückweist“.
In Anwaltskreisen ist man geteilter Meinung, was das Vorgehen des Kollegen betrifft: Für die einen ist diese Art der Unterstützung „ganz normal“, für andere „hart an der Grenze“. Klar ist nur: Die Grenze ist überschritten, wenn man Zeugen dazu bewegt, etwas Falsches zu behaupten. Der Widerspruch zwischen Aussage und Affidavit könnte auch der Sprachbarriere geschuldet sein.
Ein Strafrichter, der nicht namentlich zitiert werden möchte, wirft noch einen anderen Gedanken ein: Je intensiver ein Verteidiger einen Zeugen „betreut“, desto stärker der Beigeschmack einer möglichen Beeinflussung – und desto schwächer die Beweiskraft. Der entscheidende Unterschied zu einer Zeugeneinvernahme durch die Staatsanwaltschaft: Die Behörde ist in ihrer Arbeit zur Objektivität verpflichtet, während ein Verteidiger einzig und allein im Interesse seines Mandanten handelt.
Aufklärung
Wie Richter Michael Radasztics die Aussagen des Geschäftsmannes nun einordnet – oder ob er sie gleich verwirft – ist offen. Mit dem eigentlichen Thema, der Falschaussage im U-Ausschuss, haben sie ja nichts zu tun. Insofern dürfte dem Angeklagten die Aufregung nicht geschadet haben.
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Beobachter sind sich aber einig: Das Ziel, den Hauptbelastungszeugen Schmid zu diskreditieren, hat sein Anwalt nicht erreicht. Eine „Chance“, wenn man so will, gäbe es noch: Schmid soll erneut als Zeuge befragt werden, und erklären: Hat die WKStA ihn wirklich unter Druck gesetzt? Und hat er deswegen gelogen?
Die Verteidiger könnten ihn auch mit Fragen zu seinem Lebenslauf (der die Russen schwer beeindruckt hat) in Bedrängnis bringen. Denn auch Schmids Angabe, er habe 2017 eine Freilassung von Geiseln im Jemen verhandelt, sorgte im Prozess für Stirnrunzeln. Schmid war von 2008 bis 2013 im Außenamt – aber nur als Pressesprecher.
Zudem soll der zweite Russe noch einmal geladen werden. Und wegen besagter Ungereimtheiten könnte auch Kurz’ Verteidiger Dietrich in den Zeugenstand geholt werden. Dann wird der Spieß umgedreht – und seine eigene Glaubwürdigkeit geprüft.
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