"Richter in eigener Sache": Wie Grasser weiter gegen seinen Schuldspruch kämpft
Im Endlos-Verfahren gegen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Co. steht eine Entscheidung bevor. Die Generalprokuratur hat dem Obersten Gerichtshof (OGH) empfohlen, die Schuldsprüche im Wesentlichen zu bestätigen, wie vergangene Woche bekannt wurde. Selbst wenn die Schuldsprüche vom OGH bestätigt und rechtskräftig werden – der Kampf geht weiter, denn Grasser denkt gar nicht daran, aufzugeben.
Ein Aspekt, der schon zu Prozessbeginn vor sieben Jahren Thema war, steht erneut im Zentrum: eine mögliche Befangenheit von Richterin Marion Hohenecker.
Die Verteidiger legten damals, 2017, Tweets von Hoheneckers Ehemann – ebenfalls Richter – vor. Darin äußerte er sich abfällig über Grasser. Der Einwand, Hohenecker könnte durch die Meinung ihres Mannes beeinflusst werden, wies Landesgerichtspräsident Friedrich Forsthuber zurück – und später, in der Verhandlung, auch Hohenecker als Vorsitzende des Schöffensenats selbst.
An ihrer Prozessführung gab es letztlich zwar nichts zu beanstanden, wie die Verteidiger in der Causa bis heute betonen. „Sauber“ sei die Sache aber trotzdem nicht: Hohenecker mag sich subjektiv nicht befangen fühlen; objektiv, also von außen betrachtet, bestehe aber sehr wohl der Anschein einer Befangenheit.
Dass Richter über die eigene Befangenheit urteilen – quasi als „Richter in eigener Sache“ –, ist in Österreich geltende Rechtslage. Diese Rechtslage versuchten mehrere Verteidiger in der Buwog-Causa beim Verfassungsgerichtshof zu bekämpfen. Der Parteienantrag wurde aber abgewiesen (dazu später mehr).
Im nächsten Schritt zieht Dieter Böhmdorfer, Anwalt und Ex-Justizminister, nun für Grasser vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Die Bestimmung sei historisch gewachsen, entspreche aber nicht mehr den heutigen Standards eines Rechtsstaats, sagt Böhmdorfer.
„Ein Verurteilter hat den Anspruch, dass in einem Verfahren von A bis Z alles rechtsstaatlich korrekt ablief. Es darf nicht der geringste Zweifel bestehen bleiben, ob er fair behandelt wurde. Das ist der Anspruch des Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die in Österreich im Verfassungsrang steht.“
Karl-Heinz Grasser und sieben weitere Beschuldigte (darunter Ex-FPÖ-Politiker Walter Meischberger, Ex-Lobbyist Peter Hochegger und Ex-Immofinanz-Chef Karl Petrikovics) wurden nach 168 Prozesstagen am 4. Dezember 2020 am Wiener Landesgericht für Strafsachen u. a. wegen Untreue im Zusammenhang mit der Privatisierung der Bundeswohnungen (Buwog) und mit dem Linzer Terminal Tower verurteilt.
Beim Obersten Gerichtshof (OGH) haben anschließend alle Verurteilten Nichtigkeitsbeschwerden eingebracht. Laut Einschätzung der Generalprokuratur wären die Schuldsprüche im Wesentlichen zu bestätigen.
Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) will Grasser sein Urteil dann weiter bekämpfen – wegen möglicher Befangenheit von Richterin Marion Hohenecker im Schöffenprozess.
Beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) haben einige Beschuldigte bereits 2022 versucht, die österreichische Rechtslage zum Thema Befangenheit zu bekämpfen – erfolglos.
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Der Gerichtshof in Straßburg ist dafür bekannt, es mit dem Thema Befangenheit sehr genau zu nehmen. Anhand des vorgebrachten Falles würde überprüft, ob die österreichische Rechtslage der Europäischen Menschenrechtskonvention entspricht.
Wird Österreich verurteilt, dann müssten die Urteile im Buwog-Verfahren aufgehoben werden. Der Prozess, der im Dezember 2017 begann und nach 168 Verhandlungstagen im Dezember 2020 mit acht Schuldsprüchen in erster Instanz endete, würde dann von vorne beginnen.
Allerdings dürfte sich der EGMR erst des Themas annehmen, wenn der OGH entschieden hat. Ein weiterer Aspekt, den der EGMR prüfen könnte, ist die überlange Verfahrensdauer von rund 15 Jahren.
Dass die Causa nach Straßburg wandert, liegt daran, dass die Verteidiger von Grasser und Co. zuvor beim Verfassungsgerichtshof abgeblitzt sind. Auch hier ist die Optik in Bezug auf eine mögliche Befangenheit nicht ideal: Jener Referent, der den Fall beim Höchstgericht federführend bearbeitet hat, hat als Rechtsanwalt am Handelsgericht gegen Grasser prozessiert: Christoph Herbst.
Herbst ist seit 2011 VfGH-Richter und nebenbei in der Kanzlei Herbst Kinsky in Wien tätig. Ab 2013 vertrat er das Steuerberatungsunternehmen Deloitte mit Partner Peter Haunold, das von Grasser auf Schadenersatz geklagt worden war.
2022 wurde Herbst dann in seiner Rolle als Verfassungsrichter mit dem Parteienantrag von Grasser und anderen Angeklagten in der Buwog-Causa befasst. Das Erkenntnis folgte im Juni 2023.
VfGH-Richter und Anwalt
Auf KURIER-Anfrage im VfGH heißt es: „Es gibt in diesem Fall nicht einmal den Anschein einer Befangenheit.“ Eine Prüfung, ob eine solche vorliegt, sei eine Einzelfallprüfung, sie beziehe sich auf den Inhalt des jeweiligen Antrags bzw. der jeweiligen Beschwerde an den VfGH, wird erklärt. „Es ist offensichtlich, dass das VfGH-Verfahren inhaltlich mit dem Rechtsstreit zwischen Grasser und Deloitte nichts zu tun hat.“
Zudem wird darauf hingewiesen, dass das Verfahren am Handelsgericht 2017 ruhend gestellt worden sei. Ab diesem Zeitpunkt habe es noch jährliche Verzichtserklärungen gegeben, die schriftlich erteilt wurden. „Verhandlungen oder Gespräche unter Involvierung der Anwaltskanzlei Herbst Kinsky gab es ab 2017 nicht mehr.“ Heuer, 2024, wurde dann ein „ewiges Ruhen“ vereinbart.
Das Verfahren am VfGH startete 2022. Die KURIER-Nachfrage, ob eine mögliche Befangenheit von Herbst in der Runde der Höchstrichter Thema war, wird vom VfGH aufgrund des Beratungsgeheimnisses nicht beantwortet.
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