Reform stockt: Staatsschützern fehlt die Kontrolle
Sie ist eine, wenn nicht die zentrale Einrichtung des Staatsschutzes; sie ist die Nachfolge-Organisation des krisengebeutelten BVT; doch obwohl die „Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst“, kurz DSN, seit Dezember 2021 existiert, fehlt ihr ein wesentliches Qualitätsmerkmal: die strukturelle Kontrolle.
Konkret wurde für die neue DSN eine „Kontrollkommission“ vorgesehen. Drei weisungsfreie Experten sollen garantieren, dass sie ihren Auftrag bestmöglich erledigt, sprich: die Demokratie und ihre Bürger schützt.
Symptomatisch
Bis heute existiert die Kommission nur auf dem Papier – die Politik kann sich bislang nicht auf die Besetzung einigen. „Die Reform der DSN ist damit noch nicht abgeschlossen, obwohl mittlerweile bald ein Jahr seit dem Beschluss des diesbezüglichen Gesetzes vergangen ist“, sagt Thomas Riegler, Historiker und Forscher am Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS).
Zwar sei die Kontrolle des täglichen Geschäfts nicht beeinträchtigt. „Um die Frage, ob Observationen und Ähnliches gerechtfertigt sind, kümmern sich der Rechtsschutzbeauftragte und seine zwei Stellvertreter, die politische Kontrolle nimmt der zuständige Parlamentsausschuss wahr.“
Allerdings sei es Aufgabe der Kommission, strukturelle Missstände zu beheben. „Sie ist eine Art Ombudsstelle, die prüft, ob die personelle Ausstattung und die Organisationsentwicklung stimmen“, sagt Riegler. „Das fehlt derzeit noch.“
Über die Gründe gibt es unterschiedliche Theorien. Christian Stocker, Sicherheitssprecher der Kanzler-Partei ÖVP, erklärt den Zustand mit der Komplexität der Aufgabe. „Ich habe mich intensiv bemüht, die gesetzlichen Erfordernisse zu erfüllen. Aber die Kriterien sind eng“, sagt er zum KURIER.
Da seien die Ausschlussgründe. „Dazu gehört das Alter, weil die Funktionsperiode mit zehn Jahren sehr lange bemessen ist.“ – Kandidaten sollten also nicht kurz vor der Pensionierung stehen. Zusätzlich seien Richter, Rechts- und Staatsanwälte sowie Mitarbeiter von Ministerien ausgeschlossen. „Und dann ist noch eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig“, sagt Stocker. Das heißt: Die Mehrzahl der Abgeordneten muss die Kandidaten akzeptieren.
Kandidaten
Vorschläge bzw. Anwärter gäbe es durchaus. Ingeborg Zerbes gilt als Wunschkandidatin für die Leitung – sie ist stellvertretende Chefin am Institut für Strafrecht der Uni Wien und hat die Arbeit der Behörden beim Terroranschlag 2020 untersucht.
Zerbes würde sich die beiden anderen Kandidaten gern selbst aussuchen, heißt es. Aber damit – und das macht die Sache kompliziert – haben ÖVP und SPÖ ein Problem. Sie haben jeweils selbst einen Fixstarter für den Job in petto. Doch dafür fehlt im Parlament die Mehrheit.
Die Konsequenz: Es bleibt vorerst dabei, dass die DSN eben keine Kontrollkommission hat.
Steigert das das internationale Ansehen Österreichs? Wohl kaum. „Die Kontrollkommission war ein wichtiges Kriterium, damit befreundete Nachrichtendienste nach dem BVT-Skandal wieder Vertrauen zu Österreich fassen“, sagt Stephanie Krisper, Sicherheitssprecherin der Neos. „Allein zu wissen, dass man von externen Experten untersucht werden kann, verbessert die Qualität der täglichen Arbeit.“
Der DSN fehlt freilich nicht nur eine Kommission, sondern grundsätzlich das Personal. In der sich zuspitzenden Ukraine-Krise ist das besonders bitter.
Denn glaubt man dem Experten Riegler, hat Wien im Zuge des Ukraine-Kriegs als Agenten-Drehscheibe erheblich an Bedeutung gewonnen. „Während andere EU-Staaten russische Diplomaten in großer Zahl ausgewiesen haben, sind in Österreich 290 Russen bilateral und bei internationalen Organisationen akkreditiert. Hier kann man zumindest ein Drittel den Nachrichten- und Geheimdiensten zuordnen.“
Im Rest Europas frei gewordene Kapazitäten würden nun in Wien arbeiten. Und allein dieser Umstand wäre Grund genug, alles für einen funktionierenden Staatsschutz zu tun.
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