Pensionsexperte: "Zehn Prozent höhere Pensionen wären unfair"
Das Stichwort heißt Kaufkraft. Oder anders gesagt: Es geht um die Menge an Gütern, die mit einem bestimmten Geldbetrag (also etwa der Pension) bezahlt werden kann. Damit sie trotz Inflation erhalten bleibt, werden die Pensionen jedes Jahr um einen gesetzlich festgesetzten Wert erhöht. Der Richtwert dafür steht nun fest. Wie die Statistik Austria berechnet hat, müssen die Pensionen in Österreich um mindestens 5,8 Prozent steigen. „Mindestens“, weil die Politik sich dazu entscheiden kann, die Pensionen um mehr als diesen Wert zu erhöhen.
Ob und in welcher Größenordnung sie das tun wird, muss bis Herbst entschieden werden. Laut Sozialministerium sollen bis dahin Gespräche mit den Pensionistenvertretern und der Regierung stattfinden.
Soziale Staffelung?
Die Seniorenvertreter haben ihre Forderungen bereits auf den Tisch gelegt. Eine Anpassung von zehn Prozent will der Präsident des Pensionistenverbandes Peter Kostelka (SPÖ). Die Präsidentin des ÖVP-Seniorenbundes, Ingrid Korosec, hält „plakative Forderungen im Vorfeld“ indes für nicht zielführend. Sie fordert eine Inflationsanpassung und zusätzliche Maßnahmen. Seitens der Regierung kommen diesbezüglich positive Signale.
Indirekt sprechen sich Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) bei einer zusätzlichen Erhöhung für eine soziale Staffelung aus. Brunner erklärt, „jene, die besonders unter der Teuerung leiden, stärker entlasten“ zu wollen. Rauch will sich dafür einsetzen, „dass Personen, die derzeit besonders auf soziale Unterstützung angewiesen sind, sich das Leben leisten können“.
Die Opposition ist in Sachen Pensionserhöhung gegenteiliger Meinung. „Alles unter zehn Prozent wäre aus heutiger Sicht ein Hohn und könnte nur als Almosen bezeichnet werden“, sagt FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch. Geht es nach dem pinken Sozial- und Wirtschaftssprecher Gerald Loacker soll es neben den gesetzlichen 5,8 Prozent lediglich eine Einmalzahlung für die Empfänger der kleinsten Pensionen geben. Dass die Seniorenvertreter jedes Jahr das Gesetz infrage stellen, sei „unverantwortlich“. Ähnlich Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP), die sich neuerlich für mehr Generationengerechtigkeit ausspricht: „Ich kann nur im Namen aller Enkel und Urenkel inständig bitten, nicht jedes Jahr aufs Neue mehr auszugeben, als wir haben.“
Die Pensionen auf bis zu zehn Prozent zu erhöhen, wie von Kostelka gefordert, hält indes Bernd Marin, einer der führenden Pensionsexperten, für überzogen. „Zehn Prozent wären lebensfremd und unfair, wenn man sich das Gesamtbild anschaut. Dann wären die Pensionisten deutlich bessergestellt als die Erwerbstätigen, die heuer häufig mit Reallohneinbußen rechnen müssen“, sagt der Sozialwissenschafter im Gespräch mit dem KURIER.
Die Pensionistinnen und Pensionisten hätten jedoch vom ersten Monat an die Inflation stemmen müssen, begründete Kostelka unter anderem seine Forderung in der ZiB2. Die Erhöhung zu Beginn des Jahres sei bei 1,8 Prozent gelegen, die Inflation lag aber deutlich darüber, so Kostelka. Auf die Frage, ob er bei einer deutlichen Erhöhung heuer eine geringere im kommenden Jahr akzeptieren würde, sagte der Präsident des Pensionistenverbandes, man müsse sich anschauen, ob die Inflation wirklich nach unten gehe.
Wackeln die Pensionen?
Denkbar wäre für Marin allerdings, Pensionisten nur vorübergehend gegenüber Erwerbstätigen zu bevorzugen. Dafür müsste allerdings bereits die feste Zusage der Politik kommen, dieses Ungleichgewicht im nächsten Jahr wieder auszugleichen. Längere und komplexe politische Versprechen seien aber schwer verständlich und glaubwürdig zu machen.
Dass politisch erneut für eine Erhöhung über die gesetzlich vorgesehenen 5,8 Prozent hinaus entschieden wird, hält Marin für sehr wahrscheinlich. Schon in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten seien bedürftige Ältere begünstigt worden, während nicht einmal alle Durchschnittsruheständler – trotz millionenfacher Wählerstärke – die Teuerung voll abgegolten erhielten. So werde „das Versicherungsprinzip in Richtung Grundsicherung oder Volkspension ausgehöhlt“, kritisiert Marin.
Das Pensionsloch wird laut dem Experten mit 1,9 Millionen „Boomer“-Neupensionisten bis 2035 noch dramatisch größer werden. Dass die Jungen Angst haben müssten, keine Pension zu erhalten, glaubt er nicht: „Die Frage ist nicht, ob man eine Pension erhält, sondern welche reale Kaufkraft hinter dem Rechtsanspruch stehen wird.“
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