Türkis gegen Grün: "Scheuklappen" versus "Schlagzeilenpolitik"
Zu Beginn der türkis-grünen Koalition hat der KURIER die Chefinnen der Jugendorganisationen von ÖVP und Grünen zum Interview gebeten. Heute, knapp vier Jahre später, treffen sie wieder aufeinander – in neuen Positionen, und deutlich angriffslustiger.
KURIER: Wir haben damals gefragt, wie lange die Koalition halten wird. Sie beide haben geantwortet, dass nicht die Dauer entscheidend sei, sondern das, was weitergebracht wird. Wie ist nun Ihr Fazit?
Laura Sachslehner: Manches ist gelungen, wie die Abschaffung der kalten Progression. Aber es ist leider vieles auf der Strecke geblieben, auf das man sich im Regierungsprogramm geeinigt hatte. Vom Pensionssplitting bis hin zu Maßnahmen gegen Zwangsehe oder illegale Migration.
Anne-Sophie Bauer: Die Regierung hat ganz große, richtungsweisende Dinge weitergebracht – die ökosoziale Steuerreform, das Transparenzgesetz, die Valorisierung der Sozialleistungen und vieles beim Klimaschutz.
Anne-Sophie Bauer (28) Die gebürtige Wienerin ist seit 2015 Landessprecherin der Grünen Jugend Oberösterreich. Seit 2019 ist die Studentin der Rechtswissenschaften im Landesvorstand der Grünen OÖ. Seit 2021 ist Bauer Landtagsabgeordnete der Grünen und u. a. für Umwelt und Klima, Jugend- und Sicherheitspolitik zuständig
Laura Sachslechner (29) Die Wienerin engagiert sich seit 2014 politisch – erst bei der Jungen Volkspartei, deren Generalsekretärin sie 2017 wird, dann in Wien Ex-ÖVP-Generalsekretärin
Anfang 2022 wird sie zur ÖVP-Generalsekretärin bestellt. Im September 2022 tritt sie ob inhaltlicher Differenzen vom Amt zurück – seither ist sie ausschließlich als ÖVP-Gemeinderätin tätig
Sie wirken unzufrieden, Frau Sachslehner. Heißt das, die Grünen haben sich mit ihren Plänen mehr durchgesetzt?
Sachslehner: Es sind sicherlich auch von ÖVP-Seite viele wichtige Projekte umgesetzt worden. Aber die Frage ist: Was sind die großen Herausforderungen unserer Zeit? Beim Migrationsthema sehen wir, dass sich die Grünen nicht bewegen möchten. Das halte ich für schwierig.
Welche Vorurteile hatten Sie zu Beginn – und was hat Sie beim anderen überrascht?
Bauer: Die ÖVP muss man zu jedem Zentimeter Klimaschutz hinschieben, aber ich war überrascht, dass doch einiges weitergegangen ist.
Sachslehner: Mich hat bei den Grünen wenig überrascht. Ich hätte mir gewünscht, dass sie im Laufe der Periode zu einem realistischeren Zugang finden und musste feststellen, dass sie sich weiterhin sehr stark auf ihre ideologische Politik fokussieren.
Im Laufe der Legislaturperiode haben sich einige Politikerinnen und Politiker verabschiedet. Auch Sie, Frau Sachslehner, sind von der Bundespartei in die Wiener Stadtpolitik gewechselt. Wie unbarmherzig ist der Job?
Sachslehner: Wie in jedem Job gibt es nicht 365 Tage voller Glückseligkeit. Aber wenn man weiß, wofür man kämpft, dann macht Politik auch Spaß. Es ist unerheblich, auf welcher Ebene man das macht.
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Bauer: Es ist ein sehr intensiver Job, aber es geht darum, für die Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher sowie für eine gute Entwicklung des Landes arbeiten zu können. Diese Verantwortung gibt meiner Arbeit Sinn.
Und der Druck, in der Öffentlichkeit zu stehen?
Sachslehner: Der Ton ist sicherlich rau. Gerade als Frau bekommt man auf Social Media sehr unmittelbar Reaktionen hereingespült, die oft sehr untergriffig sind. Mich begleitet das seit vielen Jahren, ich kenne meinen Arbeitsalltag gar nicht anders.
Bauer: Das stimmt. Eine junge Frau in der Politik bekommt andere Kommentare als ein älterer Mann. Es sind viele sexualisierte Angriffe dabei. Nicht alles muss man aushalten. Die Gesetze gegen Hass im Netz, die wir durchgebracht haben, machen da einen großen Unterschied.
Und das Koalitionsklima? Hat es sich verändert, seit der Kanzler nicht mehr Kurz heißt, sondern Nehammer?
Bauer: Ja, es geht mehr um Inhalte. Dass Korruptionsskandale für eine sachliche Arbeit nicht gerade förderlich sind, ist logisch.
Frau Sachslehner, haben Sie es den Grünen schon verziehen, dass sie der ÖVP mit einem Ultimatum den Kanzler herausgeschossen haben?
Sachslehner: Fadenscheinige Ultimaten rückblickend zu kommentieren, halte ich nicht für sinnvoll. Man hat versucht, weiterzuarbeiten in der Koalition – mit nicht gerade berauschendem Erfolg.
Hätte die ÖVP das Ultimatum lieber auslaufen lassen sollen?
Sachslehner: Solche Fragen spielen heute keine Rolle mehr. Entscheidend war und ist immer, was inhaltlich weitergeht in einer Koalition. Ich hätte mir gewünscht, dass sich die Grünen bei einigen Themen mehr bewegen und auf die ÖVP zugehen.
Bauer: Ich finde, wir haben uns sehr viel bewegt – und zwar in die richtige Richtung. Es gab noch von keiner Bundesregierung so viel Geld und Maßnahmen für den Klimaschutz. Und wir sind noch lange nicht dort, wo wir hinmüssen.
Apropos Klimaschutz: Lena Schilling hat jüngst in einem Interview gesagt, die Klimakleberei gehe den Menschen „am Oasch“. Freut Sie diese Einsicht, Frau Sachslehner?
Sachslehner: Es ist eine späte Erkenntnis. Ich halte überhaupt nichts von diesen Aktionen und betrachte die Klimabewegung mit großer Sorge. Das ist eine Gruppe, die nicht akzeptieren will, dass es für gewisse Forderungen keine Mehrheit gibt und die dann versucht, die Bevölkerung zu erpressen. Gerade die Aussagen von Fridays for Future und Greta Thunberg in Bezug auf Israel zeigen, welch erschreckendes Gedankengut dahinter steckt. Wenn linke Parteien wie die Grünen solche Organisationen weiter hofieren, dann machen sie sich des Antisemitismus mitschuldig.
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Bauer: Fridays for Future Österreich und Deutschland haben sich ganz klar davon distanziert. Das muss man auch anerkennen. Wenn man sich dazu äußern möchte, dann muss das Leid benennen, das aufgrund der Verbrechen und des Terrors der Hamas in Israel entstanden ist. Gleichzeitig muss man über das Leid der Palästinenser und der Zivilbevölkerung in Gaza sprechen. Ich glaube, dass wir genug Mitgefühl für beide Seiten aufbringen können, ohne dass darauf ein „Aber“ folgt.
Glauben Sie, dass Ihre Kinder und Kindeskinder auch noch mit diesem Antisemitismus, den wir jetzt erleben, konfrontiert sein werden?
Sachslehner: Oberstes Ziel muss sein, genau das zu verhindern. Der importierte Antisemitismus, den wir auf unseren Straßen erleben, ist ja nichts Überraschendes. Studien, die seit Jahren davor warnen, sind unter den Teppich gekehrt worden, gerade im linken Umfeld.
Bauer: Wir müssen alles tun gegen Antisemitismus – egal, ob er aus dem Hamas-Handbuch oder aus dem Liederbuch einer Burschenschaft kommt. Bildung ist ein zentraler Punkt, aber nicht nur der Besuch von KZ-Gedenkstätten, sondern auch Demokratiebildung. Da geht noch mehr.
Sachslehner: Das ist alles Symptombekämpfung. Ursache ist in vielerlei Hinsicht die illegale Migration. Bei den Pro-Palästina-Demos rufen Zuwanderer oder Menschen mit muslimischem Hintergrund zum Mord von Israelis auf. Man muss das endlich ohne Scheuklappen anerkennen, sonst macht sich die Politik lächerlich.
Bauer: Ich höre Anschuldigungen und einen Generalverdacht, aber keinen Lösungsansatz. Diese fremdenfeindliche Rhetorik schafft Ausgrenzung und ist Wasser auf den Mühlen der Radikalisierer.
Sachslehner: Das ist absurd. Die Menschen da draußen sind wütend und besorgt. Wenn die Politik nicht anfängt, das Problem zu adressieren, dann ist das das Wasser auf den Mühlen radikaler Strömungen.
Was halten Sie von einer gemeinnützigen Arbeitspflicht für Asylwerber, wie Vorarlberg sie gerade plant?
Sachslehner: Ich halte jeden Beitrag, den die Asylwerber gemeinnützig leisten, für sinnvoll. Von einer Aufweichung von Arbeitsbewilligungen halte ich nichts, weil es mehr Menschen nach Österreich locken würde.
Bauer: Das ist Schlagzeilen-Politik. Man kann nicht Dinge fordern, die gut klingen, aber rechtlich nicht umsetzbar sind. Wenn es Ihnen um Lösungen geht, dann bin ich für Arbeitsbewilligungen, weil wir händeringend in allen Bereichen nach Arbeitskräften suchen.
Sachslehner: Die Politik muss Dinge umsetzen, die sie für richtig hält. Es gar nicht erst zu versuchen, weil sie später vielleicht vom EuGH gekippt werden, kann nicht der Anspruch sein.
Fällt Ihnen auch etwas Positives über Ihr Gegenüber ein?
Bauer: ich finde es gut, dass wir überhaupt hier sitzen und diskutieren.
Sachslehner: Ich bin kein Fan der grünen Politik, habe mit manchen Kollegen aber eine gute Gesprächsbasis.
Themenwechsel: Wo spüren Sie persönlich die Teuerung? Müssen Sie sparen?
Bauer: Ich achte allein schon wegen des Klimaschutzes darauf, Energie zu sparen, aber es gibt auch Menschen, die sparen, weil sie sich das heizen nicht leisten können. Deshalb war der Klimabonus auch besonders wichtig.
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Sachslehner: Ich halte den Klimabonus nicht für zielführend, weil er ungerecht ist. Es erhalten ihn Asylwerber, die womöglich gar nicht in Österreich bleiben. Das macht keinen Sinn.
Bauer: Das ist nicht logisch. Der Klimabonus ist die soziale Ausgleichsmaßnahme einer Steuer, die auch Asylwerber entrichten. Und wenn ich mir anschaue, mit welchen Summen zum Beispiel Unternehmen mit ÖVP-Bezug gefördert worden sind, dann ist der Klimabonus ein vergleichsweise kleiner Betrag.
2024 wird der Nationalrat neu gewählt. Werden Sie dabei eine Rolle spielen?
Bauer: Ich lerne im Landtag immer noch jeden Tag dazu und bin sehr zufrieden, wo ich bin.
Sachslehner: Es ist nicht so lange her, da habe ich deutlich gemacht, dass es mir nicht um die Funktion geht, sondern um Themen, die ich bewegen kann. Und das gelingt mir im Wiener Gemeinderat sehr gut.
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