Mitterlehner fordert bei Asyl "Schubumkehr im Denken"

Reinhold Mitterlehner (re.) und Hans Bürger
ÖVP-Parteichef im ORF-Sommergespräch. Seine Sager zu Django, Asyl und Faymanns Frisur.

Am Montag kam im Wiener Ringturm beim ORF-Sommergespräch mit ÖVP-Parteichef Reinhold Mitterlehner erstmals ein Vertreter der Regierung zu Wort (Sendungen mit den Oppositionsvertretern: siehe unten). Beim Thema Flüchtlinge gebe es keine einfache Lösung, verteidigt er die Regierungspolitik und kritisiert das "schamlose" Ausnützen dieses Themas durch die FPÖ. Um notwendige Reformen im Bereich Wirtschaft durchzuziehen würde er sich die Führerschaft in der Koalition wünschen.

Die wichtigsten Aussagen von Reinhold Mitterlehner im Zitat:

Die Entwicklung der ÖVP seit seinem Amtsantritt (Stichwort: Verpuffter "Django" Mitterlehner-Effekt): "Jetzt sind wir genau bei dem Wahl-Ergebnis von 2013. Es könnte schon mehr sein, aber wir haben noch keinen Groschen für Werbung ausgegeben."

Zur Führung Straches in Umfragen zur Kanzlerfrage: "Die Themenlandschaft spielt der FPÖ in die Karten. Und das wird noch dazu schamlos ausgenützt. Außerdem braucht man nur die weggefallenen Stronach-Wähler dazurechnen und dann ist man da (Anm.: Stand der Umfragen)."

Dass die ÖVP in Wien nur bei 10 Prozent liegt: "Das ist nicht die zentrale Frage (...) Wichtig ist, die Herrschaft der einen Partei zu durchbrechen. (...) Wir haben einiges anzubieten, etwa punkto Arbeitsplätze und Verkehrspolitik."

Ungarns Grenzzaun zu Serbien: "Es stört mich, dass überall Einfachheit suggeriert wird, was eine Lösung anbelangt. (...) Etwa Grenzschutz durch das Bundesheer (...) Das ist so nicht machbar. Zunächst muss die EU mehr tun, also Schutz der Außengrenzen. Langfristig muss man den Schleppern die Grundlage entziehen. Jemand muss dort das Asylverfahren bekommen, wo er zuerst europäischen Boden berührt hat."

Die Versorgung der Flüchtlinge in Österreich: "Ich finde, es ist eine Schande, dass man Flüchtlinge wie Material behandelt - nehmen wir sie, oder nicht. Es ist eine Schubumkehr im Denken notwendig. (...) Zuerst ist meist Angst in den Gemeinden da, dann wird großartige Arbeit geleistet. (...) Wir werden einen Regierungs-Koordinator zur Seite stellen. Das wird - wir sind da in guten Gesprächen - Christian Konrad (der KURIER berichtete). Das ist mit dem Bundeskanzler abgestimmt. Wir werden das in den nächsten Tagen konkretisieren."

Zur Aufnahme der Team-Stronach-Abgeordneten: "Dass dort so katastrophale Zustände herrschen (...) da verstehe ich, dass man gerne bei uns mitarbeitet. Denn dort ist man auf verlorenem Posten. (...) Sie werden aber bei uns nicht die Parteilinie verändern."

Zur Frage der Bildungspolitik der ÖVP antwortet er sehr allgemein: "Ich bin der Meinung, wir werden die Reform nur mit den Lehrern und Lehrerinnen machen können (...) Entscheidend ist, dass das Kind im Mittelpunkt der Überlegungen steht. Ich gehe davon aus, dass wir eine gute Lösung finden können. Es ist eine gute Chance da, dass das ein Erfolg wird."

Zum Pensionssystem: "Es ist ein Problem, dass die SPÖ in Sachen Anhebung des Pensionsantrittsalters der Frauen gegen eine Vorverlegung ist. (...) Wir sind das Land, das am meisten Geld aufwendet für Pensionen."

Dass der Wirtschaftsstandort Österreich in internationalen Rankings zurückfällt: "Ganz Europa gerät in Gefahr durchgereicht zu werden. Wir brauchen Reformen und wir sind dabei (...) Wir könnten manche Dinge besser managen, wenn wir die Führung (Anm.: in der Koalition) hätten."

Über den höchsten Anstieg der Arbeitslosenzahlen in Österreich im europäischen Vergleich: "Wir waren immer schon Schwindler. Wir haben vieles dadurch erkauft, indem wir früher in Pension gegangen sind und weniger in die Arbeitslosigkeit (...) Wir müssen wirtschaftspolitisch neu durchstarten."

Im Wordrap

Liberaler als die katholische Kirche bin ich bei... "dem Thema gleichgeschlechtlicher Partnerschaften."

Studiengebühren finde ich... "durchaus richtig. Wir könnten ein solches Steuerungsinstrument brauchen."

Mein Vorbild unter den ÖVP-Chefs ist... "Wolfgang Schüssel, aber auch Alois Mock, und was die weitere Vergangenheit angeht Figl."

An Werner Faymann gefällt mir... "seine Frisur, also dass er so eine ähnliche Haarfarbe wie ich hat. Und er ist ein lockerer und positiver Mensch."

Die bisherigen Sommergespräche

Seit einem Jahr ist Reinhold Mitterlehner ÖVP-Chef, nachdem Michael Spindelegger am 26. August des Vorjahres diesen Posten fluchtartig verließ.

Spindelegger begründete seinen Rückzug damit, dass er sich nicht von der eigenen Partei zu einer Steuerreform drängen lasse, die sich der Staat nicht leisten könne.

Mitterlehner änderte den Kurs und zog die Steuerreform durch. "Sonst hätten wir bis 2018, oder wann immer die nächsten Wahlen sind, über die Schieflage diskutiert, dass von den Bruttolöhnen zu wenig übrig bleibt", sagt Mitterlehner. Außerdem sei die Steuersenkung als Konjunkturimpuls "notwendig und richtig".

Doch auch mit der Steuerreform wurde die ÖVP nicht glücklich. Schuld daran ist der Wirtschaftsbund. Die ÖVP hat zwar Erbschafts-, Schenkungs- und Vermögenssteuern verhindert, aber andere "Gegenfinanzierungen" wie die Registrierkassenpflicht eingeführt. Sonst wären fünf Milliarden Steuersenkung nicht finanzierbar gewesen.

Negativpropaganda

Die Negativpropaganda des Wirtschaftsbundes verfehlt ihre Wirkung nicht. Am vergangenen Samstag, als sich Mitterlehner im heimatlichen Mühlviertel an seine Wählerbasis begab, musste er sich anhören, dass "eine Steuerreform, bei der man auf der einen Seite gibt und auf der anderen nimmt, keine Steuerreform sei". Die Betriebe fordern Ausgabendämpfung durch Bürokratieabbau.

Mit Mitterlehner an der Spitze ist die ÖVP liberaler und offener geworden. In den Umfragen liegt die ÖVP konstant vor der SPÖ. Allerdings ist auch die ÖVP nicht mehr auf Platz eins, dort rangiert die FPÖ. Ursache für letztere Entwicklung ist neben einer latenten Unzufriedenheit mit der Bundesregierung auch das Flüchtlingsthema. Die Unfähigkeit der Regierung, den Flüchtlingsandrang zu bewältigen, wirkt wie ein Treibsatz für die FPÖ.

"In ganz Europa sind die Regierungen mit dieser Situation sehr gefordert," verteidigt Mitterlehner die Regierung. Aber nur, was das Thema Flüchtlinge betrifft.

Ansonsten sind auch dem Vizekanzler die Ergebnisse der Regierungspolitik zu mager. Zu Beginn der Herbstarbeit erhöht Mitterlehner den Druck auf die SPÖ, Strukturreformen zu machen. Über die jüngste Kanzlerkampagne "Zusammenhalt" ätzt er: "Die SPÖ interpretiert Zusammenhalt als ‚zusammen stillhalten‘." Die Regierung müsse "ihre Arbeitsleistung steigern".

Der nächste entscheidende Stichtag für die Regierung ist der 17. November. An diesem Tag hat sie die Präsentation einer großen Bildungsreform versprochen.

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