Österreicher haben sich zu misstrauischen Staatsbürgern entwickelt
Das Vertrauen in Österreichs demokratische Institutionen ist im Vergleich zu den Vorjahren drastisch gesunken. Nur noch ein Drittel der Bevölkerung vertraut laut Demokratie Monitor 2022 dem politischen System. Doch wie hat sich die Einstellung der Österreicher zu politischen Eliten in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt?
Die Kurzfassung: Der Österreicher hat sich von einem vertrauensvollen Untertanen zu einem misstrauischen und kritischen Staatsbürger gewandelt. Das hat eine Langzeitstudie der Meinungsforscher und Politologen Peter Ulram und Peter Hajek ergeben.
Sehr negatives Image
Das Image der Politiker habe sich seit 1981 "erheblich" verschlechtert, heißt es. Waren damals noch 38 Prozent der Meinung, Politiker seien korrupt, sind es heute 64 Prozent. "Wir haben es mit einer Bevölkerung zu tun, die den Politikern deutlich kritischer gegenüber steht", sagt Hajek. Ein Großteil findet auch, dass Politiker keinen guten Job machen.
Auch die "externe Effektivität" der Politiker hat abgenommen. Was heißt das? Nur 81 Prozent der Menschen glauben, dass sie von Politikern gehört und gesehen werden. Eine ähnlich große Mehrheit geht davon aus, dass sich Politiker nicht um sie kümmern und sie keinen Einfluss auf diese haben. Es sei historisch betrachtet aber immer nur eine Minderheit gewesen, "die geglaubt hat, dass sich die politischen Institutionen um die Meinungen der Wähler kümmern", relativiert Ulram.
Bürger halten sich für kompetenter
Gleichzeitig hält sich eine wachsende Mehrheit für kompetent genug, politische Vorgänge mitzuverfolgen und bewerten zu können. "Die Mehrheit der Befragten glaubt, dass man sich ausreichend politisch informiert fühlt und Einblick in die wichtigsten Themen hat", sagt Ulram.
Dieser Wert ist über die Jahrzehnte stark gestiegen. 1989 hielten sich lediglich 38 Prozent für ausreichend qualifiziert, am politischen Geschehen teilzunehmen, heute sind es 60 Prozent.
Misstrauische Staatsbürger und Untertanen
Da sich die Menschen als kompetenter einschätzen, ändern sich auch ihre sogenannten "Effektivitätstypen". Die größte Gruppe der Österreicher, nämlich 58 Prozent, hält sich für "Misstrauische Staatsbürger". Sie schätzen ihre Fähigkeiten, am politischen System teilzunehmen, als hoch ein, sind selbstbewusst und misstrauisch.
Die zweitgrößte Gruppe bilden die "Misstrauischen Untertanen". Sie stellen 28 Prozent, sind gegenüber den Eliten skeptisch und schätzen ihre politische Kompetenz als niedrig ein.
Nur zehn Prozent "Vertrauensvolle Staatsbürger" halten sich für kompetent und vertrauen der Politik. Vier Prozent vertrauen und halten sich für inkompetent: Diese Gruppe der "Vertrauensvollen Untertanen" war in den 1970ern noch deutlich größer.
Selbstbewusste Bürger, schmollende Politiker
Diese Entwicklung sei in Summe "kein österreichisches Spezifikum", meint Ulram. In den USA habe er etwa eine ähnliche Entwicklung festgestellt. Dass das Misstrauen überwiege, könne nicht nur "den multiplen Krisen der letzten Jahre" zugeordnet werden, bilanziere Hajek. Dass die Bürger kritischer geworden sind, liege auch an der Bildungsexplosion "Ende der späten 1960er-Jahre" und der veränderten Medienwelt. Dazu gehöre die Zunahme unabhängiger Medien statt Parteizeitungen und auch der digitale Wandel.
"Die politischen Eliten haben diese Entwicklung eher zeitverzögert realisiert und zogen sich dann - überspitzt formuliert - in einen Schmollwinkel zurück, man fühlte sich vom Souverän nicht mehr wertgeschätzt", sagt Ulram. Hajek empfiehlt den Politikern nun "Transparenz", um wieder Vertrauen zu gewinnen. "Sie müssen in Zeiten der digitalen Welt vollkommen transparent an Themen herangehen." Ein geheimer Sideletter - etwa die Einigung auf Besetzung öffentlicher Posten - bei Koalitionsverhandlungen, wie es ihn auch bei Türkis-Grün gab, gehe heutzutage einfach nicht mehr.
FPÖ-Wähler haben gar kein Vertrauen
Die Menschen hätten sich nämlich "selbst erhoben", so die Autoren. Dadurch steige natürlich auch automatisch die Kritik an den politischen Eliten. Wähler der ÖVP, Grünen und Neos gehören zu einem erheblich höheren Maß zu Staatsbürgern, die dem System vertrauen. Bei der SPÖ liege das gestiegene Misstrauen auch an der Oppositionsrolle, so Hajek. FPÖ-Wähler vertrauen politischen Eliten de facto gar nicht.
Frauen sehen sich tendenziell eher als Misstrauische Untertanen als Männer. Einen ebenso signifikanten Unterschied zeigen die Bildungsstandards. 34 Prozent der Menschen ohne Matura sehen sich als Misstrauische Untertanen, während es bei den Personen mit Matura nur 14 Prozent sind.
Demokratie "nicht gefährdet"
Ist die Demokratie vor diesem Hintergrund also in Gefahr? Hajek widerspricht: "Wir haben über die Jahrzehnte ein sehr, sehr stabiles Bild an autoritär anfälligen Menschen." Nur zwölf Prozent wünschen sich einen autoritären Staat, in den 1980ern waren es neun Prozent.
Die Demokratie sei trotz des Misstrauens "nicht gefährdet, sondern gefestigt", betont Hajek. 84 Prozent halten die Demokratie für das beste System, 74 Prozent glauben, dass sie das beste System ist, um Probleme zu lösen. Auch diese Werte sind weitestgehend stabil geblieben.
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