Vertrauen in Österreichs Demokratie ist drastisch gesunken
Pandemie, Korruptionsvorwürfe, Ukraine-Krieg und zweistellige Inflation: Wie wirken sich all diese Krisen auf das Vertrauen in Österreichs Demokratie aus?
Um das zu erheben, wird seit 2018 der "Demokratie Monitor" durchgeführt. Die Befragung von 2.164 Menschen zeigt: Die Zufriedenheit mit dem politischen System befindet sich in Österreich im Sinkflug. "Es ist ein relativ dramatisches Bild einer fünfjährigen Periode, wo eine Krise auf die andere gefolgt ist", sagte Günther Ogris, Geschäftsführer des SORA-Instituts, bei der Präsentation der Ergebnisse am Montag.
Diese Dramatik wird durch die Zahlen untermauert: 2018 waren noch 64 Prozent der Bevölkerung sehr oder ziemlich zufrieden mit dem politischen System. 2022 waren es nur noch 34 Prozent - also um 30 Prozentpunkte weniger. "Heuer haben wir den Tiefpunkt noch einmal unterschritten", sagt Projektleiterin Martina Zandonella. Nach dem Ibiza-Video 2019, hatten sich die Werte 2020 wieder verbessert, um 2021 und 2022 umso stärker zu sinken. Die anhaltende Pandemie, die Chat-Affäre, Krieg und Teuerung hätten sich als "multiple Krisen" stark auf das Vertrauen der Menschen ausgewirkt.
Auch Vertrauen in Institutionen sinkt
Auch das Vertrauen in die Institutionen sank weiter. Der Bundesregierung vertrauen derzeit 33 Prozent (minus 9 Prozentpunkte), dem Parlament 38 Prozent (minus 8 Prozentpunkte) und dem Bundespräsidenten 53 Prozent (minus 6 Prozentpunkte). Relativ konstant blieb hingegen das Vertrauen in die Behörden, Justiz und Polizei. „Der Vertrauensverlust betrifft praktisch ausschließlich die demokratisch gewählten Organe“, sagte Zandonella. 2018 fanden nur 13 Prozent der Österreicher, dass keine Partei ihre politischen Anliegen vertritt. Mittlerweile sind es 38 Prozent.
Als ihr derzeit dringendstes politisches Anliegen nennen die meisten Menschen die Teuerung (42 Prozent), gefolgt von ökonomischer Ungleichheit (20 Prozent), dem Klimawandel (15 Prozent), dem Krieg in der Ukraine (14 Prozent) sowie Zuwanderung und Integration (13 Prozent). Kaum jemand verspürt bei diesen Krisen "Zuversicht", es überwiegen Sorge und Ärger. Zusätzlich müssten sich immer mehr Menschen aufgrund der Teuerung im Alltag einschränken, analysiert Zandonella.
Das Systemvertrauen hat grundsätzlich seit 2018 in allen Bevölkerungsgruppen abgenommen. Aber: Während es im unteren Einkommensdrittel immer schon auf niedrigem Niveau war, ist es im oberen und vor allem im mittleren Segment deutlich stärker gesunken.
Wunsch nach einem "starken Führer"
Zwar wurde die Erhebung kurz nach Bekanntwerden des Antrags auf Kronzeugenstatus von Thomas Schmid abgeschlossen, weswegen Auswirkungen der jüngsten Debatten um die Chat-Protokolle nicht im Demokratiemonitor abgebildet sind. Jedoch stimmte bereits zum Zeitpunkt der Befragung eine Mehrheit von 59 Prozent der Aussage zu, dass "Politik und Medien unter einer Decke stecken". Hat Ex-Kanzler Sebastian Kurz das Vertrauen nachhaltig beschädigt? "Ich würde zu dieser Schlussfolgerung kommen", meint Ogris. Kurz habe Erlösungshoffnungen geweckt und diese nicht halten können.
Was bedenklich stimmt: Die klassische Frage nach dem "starken Führer, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss" wird erstmals seit Erhebungsbeginn nicht mehr mehrheitlich abgelehnt - derzeit stimmen 46 Prozent gar nicht zu, vor einem Jahr waren es noch 56 Prozent. 26 Prozent wünschen sich dezidiert einen starken Führer.
Diktatur keine Alternative
Gleichzeitig hat die Demokratie aber nicht an Zustimmung verloren: Über die fünf Erhebungsjahre hinweg denken jeweils knapp neun von zehn Menschen, dass sie - trotz mancher Probleme - die beste Staatsform ist.
Welche Staatsform wäre überhaupt nach Vorstellung der Österreicher eine Alternative? Eine Diktator wünschen sich nur sechs Prozent. Gestiegen sind autoritäre Demokratievorstellungen - etwa nach dem Vorbild illiberaler Demokratien wie Ungarn oder Polen. 22 Prozent der Bevölkerung vertreten klassisch autoritäre Haltungen wie die Hinwendung zu einer Führerfigur oder Law & Order, ohne jedoch die Demokratie abzulehnen.
"Wir müssen uns als Politik und als Gesellschaft dringend überlegen, wie wir Konflikte angehen", sagt Zandonella. Derzeit laufe alles über Polarisierung und Spaltung, was kein naturgegebener Prozess sei.
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