Das „Pensionsproblem“ ist bekannt: Die Gesellschaft altert rasch und es werden bei Weitem nicht genug Kinder geboren, um die 1,9 Millionen Menschen aus der „Baby-Boomer“-Generation, die bis 2035 in den Ruhestand gehen, zu alimentieren, sagt der Sozialwissenschaftler.
Marin zitiert Zahlen von Heinz Faßmann 2016, die der Bildungsminister vor seinem Eintritt in die Politik erhoben hat. Die Zahlen sind bekannt, doch verhindert ein (rechts-)politischer Abwehrreflex offenbar, einen Plan für kontrollierte Zuwanderung zu entwickeln.
Pläne hat der ÖVP-Teil der Regierung allenfalls beim Thema Asyl. Nach dem Westbalkangipfel in Wien bekräftigten Kanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer in einer Aussendung ihre harte Linie. Ein Abschiebestopp für Afghanistan, der diskutiert wurde, komme „definitiv nicht“. Als Überschrift (gefettet und unterstrichen) steht in der Aussendung der Satz: „Keine Anreize für mehr Migration erzeugen“. Eine EU-Asylreform, die mehr Migration erzeugt, werde es mit ihm, Kurz, nicht geben.
Zuwanderung wird automatisch mit illegaler Migration assoziiert, dabei spiele diese im Gesamtbild „kaum eine Rolle“, sagt Migrationsforscher Rainer Münz. Zwei Millionen Menschen wandern pro Jahr aus Drittstaaten nach Europa ein. Den Großteil machen Heirat und Familiennachzug aus, einen kleineren Teil Bildungs- oder Arbeitsmigration.
Dazu kommen 1,5 Millionen, die innerhalb der EU wandern. Und dann gibt es jene, die beispielsweise in Österreich in Pflegeberufen oder am Bau arbeiten, aber sonst mit ihren Familien in Rumänien wohnen. „Das alles ist ungesteuert. Diese Menschen kommen und gehen – es gibt für sie keinen Plan“, sagt Münz.
Wenig reizvoll
Und wie gehen wir mit unseren Zuwanderern um? Viele systemrelevante Berufe – etwa im Pflege- und Sozialbereich, im Handel oder bei Reinigungskräften – sind schlecht bezahlt.
Aber auch für die Hochqualifizierten im oberen Gehaltssegment – Wissenschaftler, Ärzte, Informatiker – sei es wenig reizvoll zu kommen, sagt Marin: „In Ost-Europa gibt es viele gute Fachleute, die aber nicht wie ,Tschuschen’ behandelt werden wollen. Österreich hat international nicht den besten Ruf. Laut OECD sind wir auf Platz elf unter 35 Ländern.“ Bei der Rot-Weiß-Rot-Card für Schlüsselarbeitskräfte ist trotz schrittweiser Reformen noch Luft nach oben.
Als „Integrationsmotor“ sieht die SPÖ ihren neuen Vorschlag, Einbürgerungen zu erleichtern (siehe unten). Wozu wäre das gut? Sozialforscher Marin sagt: „Ein Großteil der 1,4 Millionen ,Ausländer’, die in Österreich leben, zahlen Steuern, haben aber keine Stimme in der Politik, ihre Anliegen werden kaum beachtet. Diese Ausgrenzung ist demokratiepolitisch schon bedenklich.“ Bei der Wien-Wahl 2020 waren rund 500.000 Wiener nicht wahlberechtigt, weil sie keine Staatsbürger sind – das ist fast jeder Dritte.
Allerdings wollen viele den Pass aus ihrer alten Heimat nicht aufgeben, um exklusiv Österreicher zu werden. Eine naheliegende Lösung: „Doppelstaatsbürgerschaften. Sie bilden die Lebensrealität mobiler Menschen gut ab – in sehr vielen liberalen Staaten der Welt, nicht so in Österreich“, sagt Marin.
Apropos: ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer sprach sich am Samstag im Ö1 für Doppelstaatsbürgerschaften aus – allerdings meinte er damit nur Österreicher, die im Ausland leben. Umgekehrt geht nichts: Die strengen Regeln bei der Einbürgerung sollen bleiben.
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